Noch einmal deutsche Befindlichkeit, diesmal aber in komödiantischem Ton reflektiert. Die schön wuselige Geschichte beginnt damit, dass Hüseyin (Vedat Erincin) und Fatma Yilmaz (Lilay Huser) sich nach mehr als 45 Jahren Leben in Deutschland einbürgern lassen. „Wir sind Deutsche!“ verkünden sie stolz. Nicht nur ihr Enkel, Cenk (Rafael Koussouris), ist nun verwirrt. Alle in der Großfamilie grübeln. Eine Reise der Großfamilie in die Türkei, wo Hüseyin ein Haus gekauft hat, soll Klarheit über die eigenen Identitäten bringen. Was, ganz klar, schief geht.

Wie Cenk, der in der Schule weder von den deutschen noch von den türkischen Mitschülern anstandslos akzeptiert wird, haben alle mehr oder weniger schwer an der Last der „Woher und Wohin“ zu tragen. Hüseyin etwa schon seit seiner Ankunft in Deutschland. Das war 1964. Seine Kinder sind nie wirklich heimisch geworden. Wieso eigentlich? Dieser Frage gehen viele Rückblenden nach. Sie sind überwiegend sehr komisch. Da stellt sich beispielsweise heraus, dass es Hüseyin in jungen Jahren faustdick hinter den Ohren hatte, und dass er Erfolg um fast jeden Preis anstrebte. Auch den, dass die Seinen oft das Gefühl hatten, nicht wirklich wichtig zu sein. In diesem Zusammenhang kommt denn auch Ernstes zum Tragen. Sehr anrührend ist eine Szene an einer Bar: die erwachsenen Brüder Veli (Aykut Kayacik) und Muhamed (Ercan Karacayli) machen sich heftige Vorwürfe, der jeweils andere habe eine Entfremdung herbeigeführt. Zum Glück wird das Traurige dieser Auseinandersetzung nicht mit irgendeinem Witz abgewürgt. Es bleibt, so wie selbst im fröhlichsten Leben das Bittere ja auch nie ganz verschwindet.

Die für Buch und Regie verantwortlichen Schwestern Yasemin und Nesri Samderelis, beide in den 1970er Jahren geboren, haben spürbar viel an eigenem Erleben und eigenen Erfahrungen in ihr Spielfilm-Debüt eingearbeitet. Das gibt dem von ihnen auch inszenierten Film einen Charme, der einen als Zuschauer regelrecht überrumpelt. Ein sehr gelungenes Debüt. Nur ein Manko fällt auf: der mangelnde Mut, wirklich hart zu werden. Die Verulkung deutscher und türkischer Unarten wird nie scharf. Mehr als Comedy-Niveau wird dabei, anders als sonst in diesem Film, nicht erreicht. Vermutlich wollten die Schwestern niemand auf die Füße treten. Schade. Man sollte sich dem Film, der übrigens mit einem sehr originellen Umgang mit Sprachproblemen zwischen Türken und Deutschen verblüfft, trotzdem ansehen. Die nach wie vor und immer wieder neu wabernde pseudoakademische Debatte um Immigranten, Integration und Islam wird pointiert und sehr unterhaltsam ergänzt.

Peter Claus

Almanya – Willkommen in Deutschland, Yasemin und Nesri Samderelis (Deutschland 2011)

Bilder: Concorde