Der Titel ist klug: „Hell“ steht sowohl für die Hölle als auch für kräftiges Licht. Das passt zum glühenden Inferno, in dem die Geschichte spielt. Sie führt in die nahe Zukunft, ins Jahr 2016: Die Sonne strahlt mörderisch. Es ist heiß, zu heiß. Die Durchschnittstemperatur ist um einiges zu hoch. Auf der Erde sieht es wüst aus. Trockenheit beherrscht überall das Bild. Die Landwirtschaft ist zusammengebrochen, Nahrungsmittel knapp. Damit ist auch die bürgerliche Gesellschaft dahin. Hunger und Durst treiben die noch Lebenden um. Gier ist an der Tagesordnung. Drei junge Leute und ein Kind ziehen Richtung Gebirge. Angeblich gibt es dort noch Wasser. Vielleicht stimmt es. Sicher ist: im vermeintlichen Paradies lauern viele Gefahren. Und die gehen vor allem von verzweifelten Menschen aus.

Den Inhalt des Films sollte man vorab nicht im Detail kennen. Die Spannung erwächst aus dem Unvorhersehbaren. Drehbuch und Regie bauen dabei erfreulicherweise nicht en masse, sondern wohl dosiert auf plötzliche Schocksequenzen. Der Horror erwächst meist aus scheinbar ganz Banalem. Phillip (Lars Eidinger), Marie (Hannah Herzsprung), Tom (Stipe Erceg) und die kleine Leonie (Lisa Vicari) versuchen dabei mühsam, sich ihre Menschlichkeit zu bewahren. Von Moment zu Moment wird die Frage gewichtiger, ob sie das durchhalten können. Und der Zuschauer darf sich fragen, wie er’s halten würde.

Wir leben in unsicheren Zeiten. Kein Wunder, dass Endzeitdramen Konjunktur haben. Im Vorjahr hat Lars Kraume mit „Die kommenden Tage“ eine düstere Vision entwickelt. Die Kritik reagierte eher verhalten, das Publikum ebenso. Tim Fehlbaums „Hell“ nun konnte diesen Sommer auf den Festivals in München und Locarno bei Rezensenten und Zuschauern punkten. Die Chance, auf einen Kassenerfolg ist also durchaus gegeben. Zu recht. Der Film hätte es verdient. Tim Fehlbaum, beraten von Roland Emmerich („The Day After Tomorrow“), der auch mitproduziert hat, lässt, anders als Lars Kraume, das gesellschaftskritische Moment im Hintergrund. Genre-Kino ist angesagt. Abgesehen von ein, zwei etwas vordergründigen Dialogen ist das gut gearbeitet. Zuschauer, die über die Spannung hinaus nachdenken möchten, bekommen reichlich Anstöße dazu. Doch erst einmal nimmt die geschickt eingefangene Atmosphäre der Angst gefangen. Die flirrenden, vom die Luft durchtränkenden Sandstaub geprägten Bilder von Kameramann Markus Förderer wirken durchgängig bedrohlich. Dies und die klare Inszenierung der geradlinig erzählten Story sorgen nach etwas holprigem Einstieg durchgängig für eine gänsehautträchtige Spannung.

Schauspielerisch fällt zunächst Hannah Herzsprung („Vier Minuten“) auf. Erst verschreckt, dann kämpferisch lädt die von ihr verkörperte Figur sofort zur Identifikation ein. Man bibbert mit ihr mit. Anhänger klug gebauter Horror-Filme der softeren Art (wobei es mitunter durchaus zur Sache geht!) kommen so ganz leicht in den Film. Neben Hannah Herzsprung hat Stipe Erceg die vieschichtigste Rolle. Lange ist unklar, ob der von ihm verkörperte Tom nun ein Guter oder ein Böser ist. Erceg spielt die Doppelbödigkeit genüsslich. Das sorgt für effektvollen Schauder. Der schauspielerische Clou: Angela Winkler. Die vor allem im Theater agierende Schauspielerin ist im Kino – „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1975), „Die linkshändige Frau“ (1978) oder „Die Blechtrommel“ (1979) – aufs Sanftmütige abonniert. Es ist ziemlich clever, wie der Film in diesem Fall mit den entsprechenden Erwartungen des Publikums jongliert. Ein schöner Spaß.

Wie gerade erst bei den meisten Spielfilmen, die während des Festivals Venedig gezeigt wurden, erweisen sich auch hier die Frauen als stark und mutig. Die Männer sind mal wieder Schlaffis. Klar also: Hier wird durchaus gegenwärtiges Lebensgefühl der so genannten westlichen Welt gespiegelt.

Peter Claus

Hell, Tim Fehlbaum (Deutschland 2011)

Bilder: Paramount