Verrückt, genial, durchgedreht, überzogen, lächerlich – nach der Uraufführung dieses spanischen Films unter seinem Originaltitel „Balada triste de Trompeta“ im Vorjahr beim Internationalen Filmfestival Venedig schwirrten die verschiedensten Begriffe durch die Reihen der Kritiker. Kalt gelassen hatte der furiose Rückblick auf die Geschichte Spaniens zur Zeit der Franco-Diktatur niemanden. Laue Reaktionen gab es keine. Die einen waren total begeistert, die anderen winkten ab. „Mad Circus“ ist einer dieser Filme, die wunderbar polarisieren.

Meine Begeisterung war und ist enorm. Das visuell überbordende Historien-Panorama entführt in einen wahrlich kühnen Kino-Alb-Traum. Erzählt wird von einem Mann, der von den gesellschaftlichen Umständen zermalmt wird. Ein großes Thema. Regisseur Álex de la Iglesia hat es in einen großen Film umgesetzt. Extravaganz der Erzählung und der Inszenierung sowie eine Flut heftigster Gefühle halten den Zuschauer in atemloser Spannung.

Die Handlung beginnt in den 1930er und endet in den 1970er Jahren. Alles beginnt mit einem Akt totalitärer Brutalität: Faschistische Militärs unterbrechen eine Zirkusvorstellung. Sie wollen die Künstler als Kanonenfutter verheizen. Ausgerechnet der Clown, der Dumme August, leistet heroischen Widerstand. Das kostet ihn das Leben. Er wird vor den Augen seines kleinen Sohnes ermordet. Als Erwachsener wird dieser auf Rache sinnen. Klugerweise wird der Figur dabei kein großes politisches Bewusstsein unterstellt: Javier (Carlos Areces), der als Clown beruflich das Erbe des Vaters angetreten hat, handelt erst einmal aus Liebe. Die miese Behandlung der schönen Trapezkünstlerin Natalia (Carolina Bang) durch den ungehobelten Artisten Sergio (Antonio de la Torre) treibt Javier auf die Palme – und schließlich auf die Barrikade gegen das Franco-Regime.

Knallig, farbenfroh, grell, satirisch überspitzt und mit kräftiger Romantik gewürzt – das sind wesentliche gestalterische Bausteine. Man denkt oft an einen Comicstrip. Wer zudem Action mag, die sich nicht selbst genügt, sondern wirklich aus der erzählten Geschichte erwächst, wird bestens bedient.

Álex de la Iglesia verknüpft die persönliche, sehr anrührende Lebens- und Leidensgeschichte des Clowns Javier geschickt und effektsicher mit dem Geschick Spaniens in der Zeit des Faschismus. Die Gewalt, in die sämtliche Protagonisten immer wieder verstrickt werden, wird dabei eindeutig als Folge der gesellschaftlichen Missstände deutlich. Damit illustriert der Film überaus effektvoll die bekannte Tatsache, dass es die Umstände des Lebens sind, die den einzelnen Menschen entscheidend prägen.

Kinokenner dürften ihre Freude an -x Zitaten aus berühmten Filmen haben: Fellini, Lubitsch, Almodóvar und andere lassen grüßen. Am auffälligsten Alfred Hitchcock. Álex de la Iglesia zitiert das Finale aus dessen Krimi „Der unsichtbare Dritte“ in köstlich-überdrehter Art und Weise zum Ende seiner Ballade von der Würde des Menschen: ein riesiges Kreuz in schwindelnder Höhe ist Schauplatz des Showdowns und verweist nachhaltig auf die unheilige Allianz von Kirche und Staat im Spanien der Franco-Zeit. Grandios!

Schade nur, dass wieder mal ein guter Originaltitel einer ziemlich dussligen deutschen Version weichen musste: „Balada triste de Trompeta“ trifft Inhalt und Stil des Film sehr viel genauer und weitaus eleganter als der hiesige Titel. Bitte davon nicht abschrecken lassen!

Peter Claus

Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod, von Álex de la Iglesia (Spanien 2010)

Bilder: Koch Media (Cine Global)