Wieder mal: Die Wahl des deutschen Verleihtitels ärgert. Auf der Berlinale lief der Film noch unter „Postcards From The Zoo“. Dieser Titel trifft viel genauer. Denn das ist es vor allem, was Regisseur Edwin bietet: Postkarten, Skizzen, Momentaufnahmen. In der Fülle sind die von großem Reiz.

Reizvoll allein ist schon die Idee, den Alltag eines Zoos zum Spiegel der bürgerlichen Gesellschaft zu machen. Der aus Indonesien stammende Multi-Künstler Edwin setzt sie in seinem zweiten abendfüllenden Spielfilm mit großer Originalität um. Mit dem Mut zum Verhaltenen, Stillen, auch Zögerlichen gelang ihm ein Drama von großem Zauber. Das enthüllt, und da darf gestaunt werden, auch eine gehörige Portion Sozialkritik.

Im Zentrum des Lustwandelns durch die Welt der Tiere steht das Mädchen Lana (Ladya Cheryl), halb noch Kind, halb schon erwachsen. Einst vom Vater ausgesetzt, wuchs sie im Zoo fern der menschlichen Realität auf. Jahrelang fühlte sie sich pudelwohl. Doch mit dem Älterwerden genügt ihr die Zwiesprache mit den Tieren nicht mehr. Die Welt „da draußen“ lockt, vor allem in Gestalt eines Mannes, eines Zauberers im Cowboy-Dress (Nicholas Saptura). Er amüsiert gegen kleines Geld die Zoo-Besucher und zieht Lana magisch an.

Draußen aber lockt nicht das Paradies. Die junge Frau landet in einem wahren Dschungel. Es ist fraglich, ob sie hier ihre Erfüllung findet.

Edwin offeriert zunächst ein einfach wundervolles Film-Gedicht. Das changiert zwischen  Wachen und Wahn, Traum und Alpdruck, Illusion und Wirklichkeit. Da finden sich Anspielungen auf berühmte Filme, Zitate aus der Sagenwelt Asiens, wird auf Legenden Indonesiens angespielt. Wer’s versteht, hat noch mehr Vergnügen als das Poem ohnehin bietet. Aber auch so versteht man, dass letztlich darauf abgezielt wird, ein von Oberflächenreizen bestimmtes Leben im Bannstrahl der Profitgier zu geißeln – und hat einen hohen visuellen Genuss.

Der Bildfluss ist herrlich ruhig. Man kann sich geradezu in den Reigen der Eindrücke fallen lassen. Staunend registriert man, wie sich die Tiere in Gefangenschaft eine ungeheure Würde bewahren – und wie die freien Menschen nichts als Gefangene der eigenen Dummheit sind. Die oft in melancholische Halbschatten gehaltenen Szenen von Lana und dem Cowboy lassen zunächst vermuten, dass sich eine handfeste Liebesgeschichte entwickelt. Die aber wird zur bitteren Ballade vom Erwachen aus allen Träumen, davon, dass es die Vernunft ist, die die Menschheit antreibt. Lana endet im Zwielicht. Die Menschen machen sie zum Tier. So mündet denn alle Poesie in Schockstarre. Die Welt der Menschen hat wohl wirklich keinen Platz und keine Zeit mehr für Zauber.

Peter Claus

Die Nacht der Giraffe, von Edwin (Indonesien, Deutschland, Hongkong 2012)

Bilder: Neue Visionen Filmverleih