Man muss sich wundern. Darüber, dass die Berlinale, die in ihrem diesjährigen Wettbewerb Misslungenes wie „Gold“ für Deutschland präsentierte, Oskar Roehlers neuen Spielfilm nicht eingeladen hat. Gut möglich, dass es dafür Bären-Ehren gegeben hätte. Denn Roehlers Film steht qualitativ nicht nur über „Gold“, sondern über der Mehrzahl der Filme, die in der internationalen Konkurrenz ins Rennen geschickt wurden.

Oskar Roehler, dessen „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ vor drei Jahren auf der Berlinale zu Recht einige Buhs einstecken musste, zeigt einen seiner besten, vielleicht sogar seinen besten Spielfilm mit dieser Adaption seines eigenen Romans „Herkunft“. Das Buch übrigens sei wärmstens empfohlen. Roehler verfügt über eine wunderbare Sprache, voller Kraft und Schönheit, reflektiert in diesem von eigenem Erleben und Erinnern angeregten Buch auf spannende Weise deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Bestechend an dem Buch: es ist von großem, manchmal fast heilig anmutendem Ernst. Der Film hingegen nun ist stärker mit Humor gespickt, hat eine leichtere Erzählhaltung. Was ich persönlich schade finde. Des mitunter flapsigen Tons hätte es nicht gebraucht. Aber: Der schadet auch nicht wirklich.

Oskar Roehler verarbeitet (wie auch schon im Film „Die Unberührbare“) Geschichten und Geschichtchen aus seiner Familie. Mutter, Vater, die Generation der Großeltern, Oskar Roehler selbst treten auf. Robert heißt er nun. Und dieser Robert (erst gespielt von Ilyes Moutaoukkil, dann von Leonard Scheicher) wird durch den Blick auf seine Eltern und Großeltern tatsächlich als Kind seiner Zeit erfahrbar. Die Erwartungen, die der Untertitel des Films – „eine deutsche Familiengeschichte“ – auslöst, werden ohne Wenn und Aber eingelöst. Die westdeutsche Historie der letzten mehr als sechzig Jahre wird punktuell genau gespiegelt: Nachkriegszeit, Wirtschaftswunder, Aufbruchzeit nach 1968. Die Stationen werden aber nicht abgehakt. Sie werden durch geschickte Illustrierungen wirklich erhellt. Schön, dass Oskar Roehler dabei zwar pointiert vorgeht, zuweilen auch bissig, aber niemals bösartig. Er zeigt, was war, bzw. das, was er meint, so oder so erlebt und beobachtet zu haben. Das löst beim Betrachter sofort die Lust am Wühlen in den eigenen Erinnerungen aus, auch die Lust, nachzufragen. Aufs beste werden so Wurzeln heutiger deutsche Realität frei gelegt. Roehler doziert dabei nie, sondern versucht immer, über Sinnliches ans Eigentliche zu kommen. So spielen denn etwa Essen und Trinken eine große Rolle. Das ist so gut eingefangen, dass man als Zuschauer gelegentlich sogar meint, man rieche diesen Film. Wie im Roman, so nimmt auch im Film die Faszination etwas ab, je älter die Hauptfigur, Robert, also Oskar Roehler selbst, wird. Es ist nun mal nicht wirklich aufregend, wenn vor allem auf die ersten sexuellen Erfahrungen eines jungen Mannes geschaut wird. Zum Glück aber bleibt’s nicht dabei, so dass die Begeisterung für den Film nicht geschmälert wird. Die übrigens durch die Berlinale noch gesteigert wurde. Dort lief ja (außerhalb des Wettbewerbs) die Verfilmung des Romans „Nachtzug nach Lissabon“, ein schaurig öder Euro-Pudding, der den gehaltvollen Bestseller zur niveaulosen Schmonzette degradiert. Roehlers Film ist um Klassen besser! Interessanterweise habe ich den Film, weil die Pressevorführung verpasst, trotz Berlinale-Trubel in einer Nachmittagsvorstellung fern der Festivalhektik gesehen. Nicht nur war es rappelvoll, es waren auch einige KollegInnen aus dem Ausland da, die den Film unbedingt sehen wollten und sich deshalb vom Filmfest-Stress eine Auszeit nahmen. Schon gelegentlicher Szenenbeifall zeigte, wie gut der Film aufgenommen wurde. Insgesamt lag eine Atmosphäre hoher Konzentration im Saal. Nur einmal wurde ungut gelacht. Dieser Lacher galt einer Szene, die von Moritz Bleibtreu beherrscht wird. Oskar Roehler liebt diesen Schauspieler ja nach eigenem Bekunden über alles. Nun macht Liebe allerdings bekanntlich manchmal blind… Bleibtreu überzieht (mal wieder) zu sehr. Das fällt diesmal auch besonders auf, weil dies ja ein Ensemblefilm ist. Und Oskar Roehler hat ein erstklassiges Ensemble verpflichtet. Stellvertretend genannt seien Jürgen Vogel und Margarita Broich. In zugespitzten Szenen führen sie ins Gestern und entblättern somit die Schattenseiten des Heute in Deutschland, verweisen tatsächlich mit zu Herzen gehender Intensität auf die Quellen des Lebens. Das – ganz nebenbei – ist einer der wohl schönsten Titel, die ein Spielfilm in den letzten Jahren hierzulande hatte. Und dessen Anspruch wird mit enormer Lust am Erzählen eingelöst.

Peter Claus

Quellen des Lebens, von Oskar Roehler (Deutschland 2013)

Bilder: X-Verleih