Dicker geht’s nicht: der deutsche Verleihtitel sagt überdeutlich, wovon dieser französische Spielfilm handelt. Der Originaltitel „La loi du marché“ („Das Gesetz des Marktes“) ist jedoch klüger und letztlich genauer. Autor und Regisseur Stéphane Brizé gelang eine philosophisch grundierte Erzählung, die einige Theorien über den alltäglichen Kapitalismus illustriert, ohne dass es schulmeisterlich vordergründig wird.Die Erzählung dreht sich um die Versuche des 51-jährigen Thierry (Vincent Lindon), eine Anstellung zu finden. Der Facharbeiter ist seit Monaten arbeitslos. Er müht sich, absolviert Lehrgänge, doch der Erfolg bleibt aus. Schließlich bekommt er eine schlecht bezahlte Arbeit als Sicherheitsmann in einem Supermarkt. Er muss Kunden und Angestellte, die aus wirtschaftlicher Not heraus kleine Diebstähle begehen, dingfest machen. Thierrry, der weiß, was es heißt, kaum Geld zu haben, fühlt sich dabei überaus unwohl. Und dieses Unwohlsein steigert sich. Immer mehr stellt sich sein Gerechtigkeitssinn gegen ihn selbst. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er versuchen muss, auszubrechen. Die Frage ist, ob das ganz lies oder mit großem Knall passieren wird …

Stéphane Brizé erzählt ganz ruhig, spektakuläre Momente gibt es auf den ersten Blick nicht. Mehr und mehr aber spitzt er die Geschichte zu. In einer Schlüsselszene versucht Thierry, einen Bankkredit zu bekommen. Angeboten wird ihm eine Sterbeversicherung, damit, wie es heißt, „seine Lieben abgesichert sind, wenn Ihnen etwas passiert“. Deutlich heißt das: verschwinde, und zwar für immer, räum dich selbst aus der Welt.

A und O des Films ist das Spiel von Vincent Lindon. Er spiegelt in seinem Gesicht Fassungslosigkeit, Angst, Wut, den Kampf um die Würde Thierrys. Subtil, ohne große Worte, zeichnet er das Porträt eines „Aussortierten“. Dafür bekam er bereits einige Preise, beispielsweise im Vorjahr auf dem Filmfestival von Cannes die Auszeichnung als bester Darsteller. Tatsächlich spiegelt er intensiv den Versuch eines Menschen, sich nicht auch noch das Letzte, die eigene Würde, die Achtung seiner selbst, rauben zu lassen. Kameramann Eric Dumont hat ihn dabei aufs Beste unterstützt. Die Bilder werden von einer großen Nähe zum Protagonisten geprägt. Sie haben Lindon eine große Freiheit der Gestaltung geschenkt, die keine aufwändigen Mittel braucht. Selbst das leiseste Aufblitzen von Zorn in Thierrys Gesicht oder das Flackern von Ohnmacht in sekundenkurzen Blicken ist sichtbar. Da wird genau gezeigt, was es heißt, wenn der Mensch zur Ware wird, wenn er seine Selbstbestimmung verliert.

Stéphane Brizé fragt es nicht laut, doch bringt er den Zuschauer dazu, sich diese Frage zu stellen: Was muss passieren, um die Entmenschlichung des Alltags in der so genannten westlichen Welt auszuhebeln?

Peter Claus

Der Wert des Menschen, von Stéphane Brizé   (Frankreich 2015)