Finnland, man weiß es hierzulande kaum, ist eine Filmnation. Das Publikum strömt in die Kinos, es wird fleißig produziert, der Nachwuchs wird eifrig gefördert – zum Beispiel Autor und Regisseur Juho Kuosmanen. Sein Debüt wurde von Finnland gar – völlig zu Recht! – zum „Oscar“ eingereicht. Warum der Film es in Los Angeles nicht auf die Shortlist gebracht hat, ist völlig unverständlich.

Liest man die Werbung zum Film, meint man, ein Sport-Drama serviert zu bekommen, einen Boxerfilm, wie es schon Legionen gibt. Ja, der Boxsport spielt eine Rolle, aber nicht die Hauptrolle. Hier wird nicht zum wiederholten Mal das Alphabet des Sportlerdramas von A wie Aufstieg bis Z wie Zerstörung durchdekliniert. Regie-Debütant Juho Kuosmanen überrascht aufs Angenehmste mit Originalität und Einfallsreichtum. Kuosmanen, der gemeinsam mit Mikko Myllylahti das Drehbuch geschrieben hat, setzt nicht auf die vordergründige Dramatik sportlicher Wettkämpfe. Er zieht Spannung daraus, dass er den inneren Kampf des Titelhelden Olli Mäki, einen Kampf um Selbstbestimmung und Würde, ins Zentrum der Erzählung rückt.

Olli Mäki gibt es wirklich. Der jetzt 80jährige gehört, obwohl schon seit 1973 nicht mehr im Ring aktiv, zu den populärsten Sportlerpersönlichkeiten in seinem Heimatland. Der Film blickt auf eine besonders turbulente Episode in seiner Karriere als Boxer: 1962 soll Olli Mäki im WM-Kampf im Leichtgewicht gegen Davey Moore (John Bosco jr.), den US-Titelverteidiger, antreten. Manager Elis Ask (Eero Milonoff) wittert Popularität und Profit. Doch Olli erklärt nicht nur öffentlich, dass es ihm völlig schnuppe ist, ob er gewinnt oder nicht. Er setzt seine gerade erst erblühte Liebe zu Raija (Oona Airola) über alles andere.

Finnisches Kino? Aki Kaurismäki fällt einem als erster ein. Wie in den Hits des wohl bekanntesten finnischen Regisseurs, etwa „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“, „Der Mann ohne Vergangenheit“ oder „Le Havre“, ist es auch hier als erstes die genau eingefangene Atmosphäre ganz alltäglichen Lebens fern glanzvoller Abziehbilder, die fasziniert. Leise Melancholie gibt dabei den Ton an, gewürzt mit feinem Humor. Da sieht man etwa Olli, wie er sich abrackert, um ein paar Pfunde zu verlieren, doch kaum entdeckt er einen Papierdrachen, der sich in einem Baum verheddert hat, vergisst der Mann allen Ehrgeiz und wird zum übermütigen großen Jungen. In Szenen wie dieser wird klar, wie klug es war, den Film in Schwarz-Weiß zu drehen. Die harten Lichtkontraste betonen wie nebenbei das Wesentliche, dienen der Stimmungsmalerei vortrefflich. Wobei die nie ins Sentimentale oder Verklärende abgleitet. Das Finnland der 1960er Jahre, wie es hier gezeigt wird, wirkt absolut authentisch.

Hinreißend in der Titelrolle: Jarkko Lahti. Er brilliert im Part des kommunistischen Bäckers Olli aus der kleinen Stadt Kokkola, der sich aufmachen könnte, die Welt zu erobern. Könnte. Er zeigt den Helden in einer Lebensphase, die von vielen möglichen und denkbaren Lebenswegen geprägt wird. Wobei nicht entscheidend ist, wozu er sich entschließt, sondern warum, welche Motive er hat. Jarkko Lahti zeigt das mit kleinsten darstellerischen Mitteln, mit viel Schalk in den Augen, mit einer unprätentiösen Nachdenklichkeit im Gang, mit ruhigen Blicken. Besonders stark ist er in Momenten unfreiwilliger Komik, etwa dann, wenn der ungelenke Olli, bar jeder Erfahrung im Umgang mit einer sensationslüsternen Öffentlichkeit, vor Kameras posieren soll. Wohl nie zuvor hat man im Kino geballte Fäuste erblickt, die derart zärtlich anmuten.

Schöne Überraschung am Ende des Films: der wirkliche Olli und die echte Raija kommen hochbetagt ins Bild. Ihr Erscheinen verweist ganz leise auf die Quellen zu menschlichem Glück. Man verlässt das Kino in bestem Sinne bezaubert.

Peter Claus

Bilder: © Camino Filmverleih

Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki, von Juho Kuosmanen (Finnland 2016)