Friedrich Schillers Theaterstück „Don Carlos“ beginnt damit, dass der Beichtvater des Königs von Spanien eben jenem König sagt: „Die schönen Tage in Aranjuez / Sind nun zu Ende. Eure königliche Hoheit / Verlassen es nicht heiterer. Wir sind / Vergebens hier gewesen.“ Der Versuch des Monarchen, sich ganz auf sich selbst und die Schönheit der Natur zurückzubesinnen ist fehlgeschlagen, es war ihm nicht möglich, sich aus dem Weltgeschehen herauszunehmen.

Peter Handke hat Schillers Gedanken um den Gegensatz bzw. die untrennbare Verbindung von Privatem und Gesellschaftlichen zum Titel seines Theaterstücks genommen. Treffend. Seine Figuren fokussieren aufs Private – und kommen am Gesellschaftlichen partout nicht vorbei.

Die visuelle Gestaltung ist von bezwingender Schönheit. Liebhabern toller Bilder geht sofort das Herz auf. Wim Wenders, der Fotograf und Maler, entführt in einen üppigen Garten mit Wiesen, Blumen und Bäumen. Er stilisiert die Natur zur idealen Bühne für den Gedankenaustausch über den Sinn des Menschseins. Da zahlt sich der Einsatz von 3D erstaunlich gut aus. Die Bilder lassen eine fürs Kino ungewöhnliche Nähe entstehen. Man meint oft, im wahrsten Sinne des Wortes eingreifen zu können, wird als Zuschauer Teil des Films, fühlt sich mitten unter den Protagonisten, redet und streitet mit ihnen, tritt im Geiste in den Austausch der Argumente ein, versucht, die Charaktere genauestens zu erkunden, um sich selbst zu entdecken.

Im Zentrum steht das Gespräch einer namenlosen Frau (Sophie Semin, Handkes Gattin, für die der ursprüngliche Text auch geschrieben worden ist) und eines namenlosen Mannes (Reda Kateb) im Garten einer kleinen Villa auf dem Lande vor Paris. Der Dialog wirkt anmutig, wie schwer die Reden auch um Fragen der Identität, der Sexualität, des Weltverständnisses kreisen. Dazu hat Wim Wenders eine entscheidende Veränderung vorgenommen: Er hat die Figur des Schriftstellers (Jens Harzer) eingefügt, der das Gespräch des Duos imaginiert und niederschreibt. Immer wieder geht die Kamera, die meist sehr langsam und in freundlicher Distanz um das Paar auf der Terrasse kreist, zu dem Mann an der Schreibmaschine ins Haus. Wir sehen also sozusagen Wim Wenders selbst bei der Arbeit zu, erleben, wie er, der Autor, Figuren erschafft, Ideen verwirft, Details verändert, den Protagonisten Worte schenkt, die sein Innerstes nach außen kehren. Sein wichtigstes Instrument neben der alten Reiseschreibmaschine ist eine Jukebox der Marke Wurlitzer. Immer wieder wählt er seelenvolle Songs zur Inspiration. Da versinkt er denn auch mal in seinen Träumen und hat plötzlich Nick Cave, singend am Flügel, in seinem Domizil. Der Zauber, der hier entsteht, den kann nur das Kino entfalten!

Interessant am Rande: der Umgang mit dem, was so gern als „Krieg der Geschlechter“ bezeichnet wird. Wenders zeigt: der Krieg ist aus. Zwar ist der Friede noch nicht perfekt, aber greifbar. Die Frau braucht zum Gedankenaustausch ein kluges Gegenüber, egal ob Mann oder Frau. Was für eine wunderbare Gelassenheit im Umgang mit dem Thema Emanzipation.

Schauspielerisch fesseln vor allem die zwei Herren. Sie spiegeln den Sinn der jeweiligen Rede geschickt in kleinen Gesten, in feiner Mimik, wirken durch ihre Aura. Sophie Semin gelingt das leider weniger. Dennoch: fesselnd, wenn man das Angebot zum intellektuellen Diskurs gern annimmt. Ja, Wenders bekennt sich mit dem Film als Intellektueller, als Mann des Denkens, der das Nachdenken befördern möchte. Das tut gut in diesen denkarmen Zeiten.

Peter Claus

Bilder: © 2015 Alfama Films Production

Die schönen Tage von Aranjuez, von Wim Wenders (Deutschland 2016)