Gut möglich, dass es einen „Oscar“ gibt, oder gar mehrere: Das auf Tatsachen beruhende Drama ist mit drei Nominierungen, darunter in der wichtigsten Kategorie „Bester Film“, im Rennen um die Auszeichnung mit dem nach wie vor weltweit bedeutendsten Filmpreis. Durchaus zu Recht.

Inszeniert hat der 2014 mit dem Bill-Murray-Film „St. Vincent“ bekannt gewordene Regisseur Theodore Melfi. Er blickt in die USA Anfang der 1960er Jahre: Frauen und Männer mit schwarzer Hautfarbe gelten als Menschen zweiter Klasse. Sie werden von den herrschenden Weißen separiert, ob in Kinos, Restaurants oder Hotels. Auch bei der Arbeit. So müssen die drei dunkelhäutigen Mathematikerinnen Katherine G. Johnson (Taraji P. Henson), Dorothy Vaughan (Octavia Spencer) und Mary Jackson (Janelle Monáe) bei der NASA ihre Berechnungen fern von den hellhäutigen Kolleginnen und Kollegen ausführen. Sie werden gebraucht. Geachtet werden sie nicht. Doch in der hektisch betriebenen Vorbereitung eines bemannten Raumflugs ist ihr Wissen von unschätzbarem Wert. Das Prestigeprojekt ist von enormer politischer Bedeutung. Denn noch spricht vieles dafür, dass die Sowjets nicht nur als erste zu den Sternen reisen werden, sondern dass sie gar das Rennen um den Erstbesuch des Mondes gewinnen könnten. Al Harrison (Kevin Costner), einer der großen Chefs, zuständig für die rechnerische Ermittlung von Raketenflugbahnen, will den Erfolg. Und dazu, das erkennt er rasch, braucht er die Intelligenz und das Können von Katherine. Er holt sie gegen alle Widerstände in sein bisher allein aus weißen Männern bestehendes Team. Aber auch Dorothy und Mary wollen mehr. Und, unerhört in jenen Tagen, sie beginnen für ihre Karrieren zu kämpfen, allerdings nicht lautstark, sondern ganz leise, und damit umso wirkungsvoller.

Die Geschichte ereignet sich vor wichtigen Entscheidungen in den USA: Erst 1964 wurde in der Civil Rights Act verabschiedet, die formal-juristische Aufhebung der Trennung von Weiß und Schwarz, 1965 dann der Voting Rights Act, der auch in Sachen Wahlberechtigung für Gerechtigkeit sorgte. Zumindest auf dem Papier. Bevor beide Gesetze wirklich gegriffen haben, vergingen noch Jahre. Zur Handlungszeit des Films ist die Situation höchst dramatisch, durch das Erstarken der Bürgerrechtsbewegung einerseits und Aktivitäten einflussreicher reaktionärer Gruppen andererseits sogar explosiv. – Und die Schlagzeilen heute, etwa über unverhältnismäßige Gewalt von weißen Polizisten gegenüber Schwarzen, zeigen, dass die Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe selbst nach zwei Amtszeiten eines schwarzen Präsidenten in „Gottes eigenem Land“ noch immer äußerst fragil ist.

Angeregt wurde der Spielfilm von einem Sachbuch über die drei Wissenschaftlerinnen. Das hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass es hier für ein Produkt aus Hollywood recht verhalten zugeht. Süßliche Momente gibt es. Doch sie dominieren die Erzählung nicht, setzen allenfalls Akzente. Gut so. Die Geschichte an sich ist ja „ungeheuerlich“ genug. Da braucht es keinen übermäßigen Zuckerguss. Die Erzählung fokussiert, von wenigen Nebensträngen abgesehen, auf den alltäglichen Kampf der Frauen um Anerkennung, um schlichte Wahrung ihrer Würde im Berufsleben. Interessant daran ist, dass die drei keine lautstarken Kämpfernaturen sind. Sie gehen nicht auf Barrikaden. Sie leisten hervorragende Arbeit und überzeugen mit Kompetenz. Krawall brauchen sie nicht, und braucht drum auch der Film nicht. Es reicht, wenn man als Zuschauer beispielsweise entsetzt miterlebt, wie sich Weiße davor ekeln, Geschirr, das zuvor eine Schwarze benutzt hat, auch nur anzufassen. Die nie forciert anmutende Präsenz des Hauptdarstellerinnen-Trios sorgt zudem dafür, dass man ganz auf der Seit der Protagonistinnen ist. Neben ihnen begeistert Kevin Costner in der Rolle des Chefs, der aus rein pragmatischen Gründen zum Vorreiter der Gleichberechtigung wird. Costner verklärt diesen Al Harrison keineswegs zum Ideal eines liberalen Freigeistes. Er zeigt einen Mann, der keine politischen und keine emotionalen Gründen für sein Handeln hat, sondern nur einen: seine Erfolgssucht. Mit einem eisernen Gesichtsausdruck zeigt Costner, dass Al ausschließlich aus Geschäftssinn handelt, selbst dann, wenn er persönlich die Tafel zertrümmert, die Schwarzen die Benutzung der Toiletten der Weißen verbietet. Costner zeigt genau, dass dies nichts mit Menschlichkeit zu tun hat. Al nervt es einfach, dass seine effektivste Mitarbeiterin tagtäglich lange Zeit fehlen muss, nur weil sie einen schier endlos langen Weg zu dem für sie reservierten Klo zurückzulegen hat. Momentaufnahmen wie diese bestärken den Eindruck, dass die Filmemacher absolut redlich gearbeitet haben. Kevin Costner fungiert dabei tatsächlich als Nebendarsteller. Der Star stiehlt den Frauen in den tragenden Rollen keineswegs die Show. Ihnen gehört der Film. Nahezu alle Szenen dominieren sie, und das mit Vitalität und Dezenz in schöner Balance. Keine Szene wirkt überdreht, keine Dialogzeile ausgedacht. Das vielfältige Mienenspiel und die beredte Körpersprache setzen die entscheidenden Akzente, lenken das Interesse der Zuschauer auf das Wesentliche. Dazu gehört, dass die drei Frauen einen hohen Anteil am Erfolg des US-Raumfahrtprogramms haben. Die breite Anerkennung dessen erfolgt erst jetzt, mit diesem Spielfilm. Er macht die Geschichte erst heute wirklich bekannt. Politisch gab es bereits im Vorjahr Ehren: Katherine G. Johnson, die in diesem Jahr 98 wird, erhielt Ende 2015 für ihre Leistungen die Presidential Medal of Freedom, einer der höchsten Auszeichnungen in den USA. Dort wird der Film vor allem als Beitrag zur Demokratisierung gesehen. Hierzulande wirkt er bei aller Kraft eher wie ein Feel-Good-Movie. Wobei am Ende angesichts der jüngsten geistigen Entwicklungen auch in Deutschland die Frage steht, ob wir in Sachen Gleichberechtigung wirklich so weit sind, wie wir uns immer gern einreden.

Peter Claus

Bilder: © Fox (Ausschnitt Poster)

Hidden Figures, von Theodore Melfi (USA 2016)