Ein Report aus der Hölle der deutschen Nazis. Das ist nicht neu im Kino. Dennoch überrascht dieser Spielfilm mit einer ungewohnten Wucht. Selten zuvor wurde der Nazi-Terror im Kino derart eindringlich reflektiert.

Drei Charaktere stehen im Zentrum: die Russin Olga, der Franzose Jules und der Deutsche Helmuth. Wir erleben sie vor allem in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Olga wird als Widerstandskämpferin verfolgt, Jules dient als Polizist in Frankreich zur Zeit der deutschen Besatzung als Handlanger der Gestapo, während Helmuth, der SS-Mann, im KZ arbeitet, nicht als Aufseher, sondern als Kontrolleur, als einer, der den Helfershelfern des Teufels auf die Finger sehen muss, damit das Quälen und Morden, bitteschön, nach den Regeln deutscher Ordnung verläuft.

Der Film wurde in in Schwarz-Weiß gedreht. Die drei Hauptfiguren erzählen mehrfach von sich selbst – zwischen langen Spielsequenzen –  direkt in die Kamera . Das bewirkt eine große Intensität. Dazu packen die Schicksalswege der Protagonisten das Publikum mit Spannung, durch die formale Originalität der Inszenierung und dank philosophischer Tiefe. Olga, die selbstbewusste Exil-Russin, wird rasch zur Identifikationsfigur. Sie arbeitet für den französischen Widerstand. Nach einem Verrat kommt sie ins Gefängnis. Dort verspricht ihr der mit den Nazis kollaborierende französische Polizist Jules Hilfe. Seine Bedingung: Olga soll ihm sexuell willfährig dienen. Das könnte ihre Rettung bedeuten. Doch es kommt alles ganz anders: Olga wird in ein Vernichtungslager verschleppt. Dort trifft sie ausgerechnet auf Helmuth. Er trägt eine SS-Uniform. Damals, als sie sich kennengelernt haben, vor dem Krieg, war Helmuth in sie verliebt. Und nun? Verraten sei nur: 08/15-Erzählmuster werden nicht bedient. Der angebliche Schöngeist, Verehrer der Literatur von Tschechow, könnte Olga helfen. Oder ist er der Nazi-Ideologie derart verfallen, dass er gar nicht mehr fähig ist, menschlich integer zu handeln.

Der Film gibt grundsätzliche Antworten auf wichtige Fragen dazu, was Menschlichkeit ausmacht – und wie fragil sie ist, wie einfach es sein kann, Menschen dazu zu bringen, um des eigenen Vorteils willen andere Menschen zu quälen. Ganz langsam werden die Motive der Protagonisten, dies zu tun und jenes zu lassen, erhellt. Das Modellhafte der Situation vergisst man dabei als Zuschauer rasch. Denn mit bitterer Nüchternheit werden Mechanismen des Grauens deutlich. Dabei ist keiner der Drei nur gut oder nur böse – was dem wuchtigen Drama eine enorme Sogwirkung verleiht. Wesentlich ist dabei, wie hier klar gezeigt wird, dass es ein Leichtes sein kann, als falscher Prophet erfolgreich zu sein und Menschen zur Unmenschlichkeit zu verführen. Am Ende ist da auch Hoffnung, allerdings kleidet Kontschalowski das Finale in eine märchenhafte Überhöhung. Vielleichte ist er skeptisch, wenn der Menschheit zugetraut wird, letztlich doch immer Verstand und Vernunft über alles zu stellen. Formal mutet das leider ein wenig kunstgewerblich an. Das schadet aber dem Gesamteindruck nicht. Wenn da ein SS-Offizier von einem „deutschen Paradies auf Erden“ schwafelt, steigen die Bilder der Hölle vor einem auf. Bilder auch aus der Gegenwart.

Peter Claus

Bilder:

Paradies, Andrej Kontschalowski (Deutschland / Russland 2016)