Wunderbares Bilderbuch eines unermüdlichen Bildersammlers

Ein Buch, das „Wenzel Storch: Die Filme“ heißt, ist natürlich nicht das nächste Filmbuch, obwohl es, was die Filmographie, die Kassettographie und die Bibliographie anbelangt, der angewandten wie der theoretischen Storchologie durchaus einiges zum Forschen und zum Denken geben kann. Doch doch.

Aber ansonsten ist es erst einmal, wie es sich für einen in so gottverdammt katholischem Umfeld herangewachsenen Autoren, der erst mit Hilfe bewusstseinserweiternder Drogen das ästhetische Potential eines Alltags entdeckte, der, so Wenzel Storch, entgegen anders lautenden Klischees am ehesten grau und trist erscheinen muss, vor allem eine Art Bekenntnis im lockeren Gespräch.

Denn was ist schon die Kunst im Allgemeinen und die Film- und Bildkunst im Besonderen? Doch wahrscheinlich nichts anderes, als eine lust- und leidvolle Zerlegung des eigenen Lebens und ein neues Zusammensetzen, mal sehr feinerer und mal eher kräftiger Schnipsel.

Also können wir in „Wenzel Storch: Die Filme“ zusehen, aus welchen Lebensschnipseln die Filme dieses Filmemachers, und dann seine weitere Bilder-Arbeit, zusammengesetzt sind.

Wenzel Storch ist nämlich zuerst einmal ein unermüdlicher Bildersammler. Und auch dieses Buch ist zuerst einmal ein wunderbares Bilderbuch, nicht bloß eines, das Bilder aus seinen Filmen versammelt, sondern vor allem eines, das die Bilderspuren widergibt durch das Leben von einem, der sich aus den engsten Gefängnissen von Familie, Kirche, Kleinstadt, Schule befreien musste, als die „Großen Befreiungsgeschichten“ längst schon zu Ende erzählt waren.

Das macht gerade diese Geschichte eines Lebensweges aus dem Rosenkranz- und Ministrantenmilieu mit Hilfe, unter anderem, einer Super 8-Kamera und auf dem Umweg eines Lebens über einer Trinkhalle mit sehr bemerkenswerten Charakteren und im Umfeld des Labels Pissende Kuh, so angenehm lakonisch und uneitel.
Und daraus entstand diese einzigartige Poesie aus Christenkitsch, Kinderzimmer, Do-it-yourself-Punk, Psychedelia, Pop Art, Happening und einer Portion Traumatologie. Das alles dreht immer sehr schön ab, und was will man schließlich mehr?

Klar, man kann es auch „tiefer“ angehen, und dann sieht man in der Storchschen Form der Arte Povera eben auch eine der radikalsten Formen von Kritik. So radikal, dass man sie nicht in die Form von „kritischen Sätzen“ oder „Sätzen zur Kritik“ zurück verwandeln kann.

So also begleitet Wenzel Storch uns in diesem Buch als angenehmer Plauderer durch seine Filme und erklärt doch viel mehr als ein übliches „Making-of“ oder die Erklärung, wie man aus ein paar Klo-Rohren vom Schrottplatz und ein paar Briketts eine Kirchenorgel macht. Film und Leben, das war, jedenfalls zu Zeiten des Debüts, „Der Glanz dieser Tage“, noch eine funktionale, wackelige Einheit. Und ein Drehbuch ist kein Evangelium, aber aus wimmeligen großen schwarzweißen Zeichnungen kann man ein schönes Evangelium machen.

Auf den ersten Film, den katholischen Monumentalfilm „Der Glanz dieser Tage“, den nur wenige sehen wollten und der sehr kreative Kritiker-Prosa erzeugte („Postpubertäre Idiotie eines rotznäsigen Pseudofilmers“), folgte mit „Sommer der Liebe“ der gelungene Versuch, den Geist der siebziger Jahre aus dem Sperrmüll zu rekonstruieren. Und da gehen Jesus-Freaks, Hippietraum, pseudotolerante und pseudorevolutionäre Spruchweisen und Handlungsanweisungen in einem Rausch der Formen und Farben nicht mehr ganz unter. Oleander (der Hauptdarsteller Jürgen Höhne, ohne den Wenzel Storch-Filme auch nicht das wären, was sie sind) hat hier eine richtige Geschichte, eine Passion.

Und so wie ein „Kommando Filmriss“ den Film von Christoph Schlingensief,  „Terror 2000“ attackierten, so griffen „Die wilden Spulen“ den „Sommer der Liebe“ an.  Sie entführten diesen „schlechten, pubertären, sexistischen, brutalen, rassistischen und dummen Film“ und bekamen zum Lohn ein taz-Interview mit Mariam Niroumand. Ach, was waren das für Zeiten.

Kritikerinnen und Kritiker lieben es, den Godard-Satz von einem Film zu zitieren, der aus dem Müll gezogen wird. Wenn einer kommt, der sich wirklich auf die Kunst versteht, einen Film aus dem Müll zu ziehen – dann laufen sie davon. So ist das nun mal.

Und so verwundert es auch nicht, dass auch der dritte Wenzel Storch-Film, der Kunst-Reise-Fantasy-Film „Die Reise ins Glück“, dessen Produktion alles in allem so seine zehn Jahre in Anspruch nahm, nicht den Zuspruch fand, den er verdiente. Wahrscheinlich hat Wenzel Storch nur einen großen Fehler gemacht. Er hat nicht ganz groß KUNST auf die Plakate und auf die Förderanträge geschrieben. Weil, wenn man KUNST drauf schreibt, dann versteht das ja in aller Regel plötzlich wieder jede und jeder.

Und jetzt? Jetzt sammelt Wenzel Storch weiter Bilder und bastelt sie zu Essays und Büchern um. Wenn es nutzt, dann schreiben wir halt KUNST darauf. Oder macht es dazu zu viel Spaß?

Georg Seeßlen, © getidan.de

Bild ganz oben: Wenzel Storch mit Bär in REISE INS GLÜCK

Website Wenzel Storch: wenzelstorch.de

 

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