Farbenkreis zur Symbolisierung des „menschlichen Geistes- und Seelenlebens” (Goethe, 1809)

Klassik Stiftung Weimar ehrt Goethes Farbenlehre

Vor 200 Jahren, genau am 16. Mai 1810, erschien Goethes „Zur Farbenlehre“ in zwei Bänden. Am 17. Juni 2010 wurde von der Klassik Stiftung Weimar im Goethe-Nationalmuseum dazu eine Ausstellung eröffnet.

Als die beiden am 20. Juli 1794 nach einer Tagung der Naturforschenden Gesellschaft endlich miteinander reden, da trägt Goethe, so wird er später schreiben, Schiller die Metamorphose der Pflanze vor. Schiller entgegnet daraufhin „Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee“.

Die Wahrhaftigkeit dieser Episode ist so umstritten wie die jener bei Valmy, doch sie beschreibt tatsächlich Goethes Blick als Naturforscher: Sein Blick auf die Natur ist geprägt durch seine Idee von der Welt. Vor 200 Jahren, genau am 16. Mai 1810, erschien Goethes „Zur Farbenlehre“ in zwei Bänden. Im Entré der Ausstellung, die von der Klassik Stiftung Weimar heute im Goethe-Nationalmuseum eröffnet wird, zitieren sie Goethes legendäre Äußerung zu Eckermann vom 19. Februar 1829: „Auf alles, was ich als Poet geleistet habe, bilde ich mir gar nichts ein. … Daß ich aber in meinem Jahrhundert in der schwierigen Wissenschaft der Farbenlehre der einzige bin, der das Rechte weiß, darauf tue ich mir etwas zugute, und ich habe daher ein Bewußtsein der Superiorität über viele.“

So selbstbewusst, so siegessicher, ja so anmaßend begegnet uns Goethe, der in anderen Zusammenhängen derlei mit ungleich größerem Recht hätte sagen dürfen, sonst kaum. Und beschreibt so, welche Bedeutung er gerade diesem Werk zumaß. Einem Werk, das in jenem Teil, der gegen Newton ein anderes Wesen der Farben behauptet, der große Irrtum seines Lebens ist.

Goethe widersprach Newtons, schon lange nicht mehr bestreitbarer, Erkenntnis, dass die Farben bereits im weißen Licht enthalten seien. Das Licht war für Goethe eine unteilbare Einheit, ein „Urphänomen“, die Farben entstünden unter bestimmten Bedingungen durch die Polarität von Hell und Dunkel, Licht und Finsternis. „Wir wissen nur zu sehr“, schreibt Goethe im „Polemischen Teil“ der Farbenlehre, „dass die Überzeugung nicht von der Einsicht, sondern von dem Willen abhängt… Es ist eine Bejahung oder Verneinung dessen, was unsere Natur anspricht oder ihr widerspricht…“. Und Goethes Natur wurde angesprochen von einer ganzheitlichen Sicht, sein Empfinden für die Welt übertrug er auf seine Forschungen in der Natur. So war es im Neptunistenstreit, da er die Erdoberfläche lieber als Ergebnis des sanften evolutionären Wassers sehen wollte denn als Resultat der eruptiven, jähen und gewaltsamen tektonischen Bewegungen. So war es in der Pflanzenkunde, wo ihn die Idee der „Urpflanze“ bewegte, aus der sich alles Übrige ableiten ließ. „Wir nennen sie Urphänomene“, schreibt er im § 175 der Farbenlehre, „weil nichts in der Erscheinung über ihnen liegt, sie aber dagegen völlig geeignet sind, dass man stufenweise… von ihnen herab bis zu dem gemeinsten Falle der täglichen Erfahrung niedersteigen kann.“ Nicht von ungefähr druckte er „Urworte. Orphisch“, ein großes Weltanschauungsgedicht, in dem Band „Zur Morphologie „, so verbanden sich Welt- und Naturbetrachtung zu einem untrennbaren Gewebe.

Eines dieser unteilbaren Urphänomene war für Goethe das Licht. Deshalb konnte und durfte Newton nicht recht haben, deshalb bekämpfte der große Dichter den großen Wissenschaftler so erbarmungslos, deshalb verteidigte er seine Farbenlehre so selbstherrlich: Es ging ihm da nicht nur um Licht und Farbe, es ging ihm um Welt und Wissenschaft. So musste er mit dem physikalischen Teil der Farbenlehre scheitern. Indessen: Ein Goethe ist auch im Scheitern groß, steht dieses Werk doch für die faszinierende Komplexität seines Denkens. Und die physiologischen Aspekte, die Wirkungen der Farben auf die Psyche, die Emotionen des Menschen haben alle Zeit hindurch bis auf den Tag immer wieder Künstler angeregt.

Von dem grandiosen Scheitern Goethes indessen vermittelt die Ausstellung „Augengespenst und Urphänomen“ nichts. Die Kuratorinnen Gisela Maul und Sabine Schimma haben gegenüber allen anderen Ausstellungen, die sich in diesem Jahr dem Thema stellen, einen deutlichen Vorteil: den unmittelbaren Zugriff auf die authentischen Sachzeugen. Und davon machen sie einen verschwenderischen Gebrauch, der diese Exposition in jedem Falle zum Gewinn für den interessierten Besucher macht. Sie versinnlichen gleichsam die Struktur von Goethes Werk und lassen dieses so sinnlich erfahrbar werden. Dieses Konzept führt zu einer sehr anschaulichen Darstellung, indessen, es birgt auch ein Problem.

Die erklärte Absicht, Goethes Werk gleichsam pur darzustellen, verhindert, wenigstens für die mit dem Gegenstand unvertrauten Besucher, jegliche Einordnung. Nirgendwo wird reflektiert, dass der naturwissenschaftliche Forschungsansatz eine gleichsam weltanschauliche Grundlage hat. Und nirgendwo wird der, aus heutiger Sicht, bleibende wissenschaftliche Mehrwert beschrieben. Das mindert, vor allem für die erhofften jungen Besucher, den Erkenntnisgewinn. Und ein wenig entsteht der Eindruck, als scheue man sich, dem, dem dieses Museum gewidmet ist, in seinem eigenen Hause mit kritischem Respekt zu begegnen. „Das Ein- und Ausatmen der Welt, in der wir leben, weben und sind“ nennt er das Wirken der Natur. Und dem galt all sein Schreiben, sein Forschen und Denken: dem Atem der Welt. Das ist Goethes Größe.


Autor: Henryk Goldberg

Text erschienen in Thüringer Allgemeine, 18.06.2010


Augengespenst und Urphänomen

200 Jahre Goethes Farbenlehre

19. Juni 2010 bis 19. Juni 2011

Goethe-Nationalmuseum

Frauenplan 1 | 99423 Weimar