Bum, bum, huiuiui, Bautz

Ernst Jünger wäre wohl kaum auf die Idee gekommen, diese Kriegstagebücher in ihrem Rohzustand zu publizieren. Das Originäre war ihm kein Wert an sich. Er pflegte seine Texte immer weiter zu verändern, auch noch lange nach der ersten Veröffentlichung. Sie blieben für ihn prozesshaft, im Fluss – eine Praxis, die dem eher marmornen Bild widerspricht, das von ihm dominiert. Damit hoffte Jünger, sich dem „Wesenskern“ einer Sache immer weiter anzunähern, zu präzisieren, zu verbessern. Das gilt besonders für das Kriegsbuch „In Stahlgewittern“. Dass dabei auch politische und ideologische Schwankungen kenntlich werden, die man durchaus als nachträgliche Retuschen werten kann, irritierte ihn nicht. Die nun erstmals aus dem Nachlass publizierten Tagebücher dokumentieren auch insofern den Urzustand, als sie noch vor aller Ideologie stehen. Sie zeigen den Krieg als Krieg, die unverfälschte Faszination des Kampfes und des Tötens – ganz unabhängig davon, wofür gekämpft wird. Volk, Vaterland, Kaiser, Nation – all das hat Ernst Jünger herzlich wenig interessiert.

Dass „In Stahlgewittern“ aus dem „in Form gebrachten Inhalt der Kriegstagebücher“ entstand, ließ Jünger seine Leser schon im Vorwort zur Erstausgabe aus dem Jahr 1920 wissen. Er wolle „beschreiben wie es war“. Worin die Formgebung bestand, konnte allenfalls aus den eigenen Ansprüchen abgeleitet werden, so wenn er schrieb: „Der Grad der Sachlichkeit eines solchen Buches ist der Maßstab seines inneren Wertes“. Doch diese Sachlichkeit war hart erarbeitet und stellte sich erst im Lauf der Jahre und mit größerer Distanz ein. 1920 dominierte noch das Pathos des hochdekorierten Kriegshelden nach der Niederlage, der sich „inmitten dieser Zeit weichlichen Gewinsels, der moralischen Verkümmerung und des Renegatentums“ vornahm, die „ehrenvolle Erinnerung an die herrlichste Armee und den gewaltigsten Kampf, der je gefochten wurde“ zu pflegen. So hätte Jünger das 1978 sicher nicht mehr formuliert. Folglich fehlt das Vorwort in der letzten Fassung in der Werkausgabe.

Der Tonfall war zunächst expressionistisch aufgereizt und metaphorisch überladen. So sah er den Tod „im Gewitter der Schlacht als roten Ritter mit Flammenhufen durch wallende Nebel galoppieren“. Er beschrieb den Krieg nicht nur – das auch, und in aller Brutalität –, sondern überhöhte ihn zugleich. Er deutete ihn, wie schon der Titel nahelegte, als einen Naturvorgang, in dem die Zerstörung den Humus schafft für das notwendige Neue. Und er sah ihn als industriellen Produktionsprozess von Stärke und Heroismus, in dem der stählerne, soldatische Mensch entstand: „Die Verbände wurde wieder und wieder an den Brennpunkten der Front zu Schlacke zerglüht, zurückgezogen und einem schematischen Gesundungsprozess unterworfen.“ Doch zugleich war das Schlachtfeld „eine Wüste des Irrsinns“, und die müden Kolonnen „wälzten sich auf zermahlenen Straßen dem brandigen Horizont entgegen“.

Dagegen hebt das nun aus dem Nachlass publizierte Kriegstagebuch als echtes Schützengrabenprotokoll wahrhaft sachlich an: „Nachmittags, Empfang von Patronen und eiserner Ration. Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten. Als wir antraten, nahmen einige Mütter Abschied, was doch trübe stimmte. Ein eher ungeübter Schreiber hält das Geschehen um sich herum fest, um es so besser bewältigen zu können. Die Sprache ist schmucklos und einem Neunzehnjährigen angemessen, der neugierig in den Krieg zieht, weil er auf Abenteuer hofft. „Am Abend kam die Feldküche angewackelt und brachte einen Scheißfraß, der wahrscheinlich aus den erfrorenen Schweinerüben zusammengekocht war.“ Solche Sätze hatten keine Chance, in die „Stahlgewitter“ übernommen zu werden. Und wo dort heroische Überhöhungen vorkommen, gibt es hier allenfalls angeberische Passagen, wenn der junge Rekrut sich mitten im Geschosshagel der Schlacht erst einmal „gemütlich ein Pfeiflein ansteckt“, um seine Abgebrühtheit herauszustreichen.

Jüngers Kriegstagebücher sind eine Fundgrube soldatischer Sprechweisen. Soldaten schlafen nicht, sie „pennen“, wenn möglich in ihrer „Bude“. Die Stimmung ist „fidel“, feindlicher Beschuss wird als „Schweinerei“ gewertet, und was da geflogen kommt, sind „dicke Dinger“. Unverzichtbar sind Worte wie „kolossal“, „famos“, „gemütlich“ oder „putzig“, das Jünger verwendet, um eine tote Kuh zu beschreiben, die nur noch aus einem Haufen Knochen mit Fell besteht. Für ein paar Monate hatte an der Front das Wort „antöten“ Konjunktur: Wir haben den Feind „angetötet“. Das fand man wohl „schneidig“. Doch auch die elaboriertere Sprache kam an ihre Grenzen. Jünger greift ins Lautmalerische aus wie im Comic, wenn er gewaltiges Artilleriefeuer schildert:„Bum, bum, huiuiui, huiui, Bautz, Bautz“. Und manchmal versagte sogar ihm, dem Unerschrockenen, die Sprache ganz: Eine Seite ist geschwärzt und mit einem Totenkopf verziert.

Krieg ist ein ganz besonderer Kick, eine Frage von Testosteron und Adrenalin. Der bald schon als Offizier fungierende Jünger erklärt das damit, dass man dabei nicht nur die Erregung des Jägers genießt, sondern zugleich auch die Überreiztheit des gejagten Tieres. Diese doppelte Daseinsteigerung sucht er, indem er sich gezielt in Gefahr begibt. Ritterlichkeit und edles Kriegertum, wie er es im Nachhinein kultivierte, treten dabei eher zurück, und es dominiert die reine Mordlust. „Leider konnten wir keinen erlegen“, heißt es nach einem Scharmützel mit den Engländern. Oder: „In der Hitze des Augenblicks sah und hörte ich nichts mehr als die Kerls, die ich vernichten wollte.“ Oder: „Ich schieße meine Pistole ab einem Kerl mitten ins Gesicht. Er schlug mit einem grässlichen Schrei ‚Uäh!’ zusammen.“ Und wenn das Kampfgetümmel so richtig heiß wird, sagt er zu sich und seinen Untergebenen: „Jetzt zieht Leutnant Jünger seinen Mantel aus.“ Und dann: „Immer feste druff in alter Frische“.

Man kann nicht sagen, dass dieser Leutnant im Lauf von vier Kriegsjahren und sieben Verwundungen sympathisch werden würde. Im Gegenteil: Je länger der Krieg dauert und je mehr er zur Normalität dieser Generation wird, die keine andere Ausbildung hatte, als den Krieg, umso seltsamer wirkt das soldatische Gebaren. Wenn Jünger nuancenreich die Leichen beschreibt und den allgegenwärtigen Leichengestank, die fetten Fliegen, die sich auf den Toten verklumpen, die mumifizierten Gesichter oder auch nur einen Stiefel, der aus der Erde ragt, wenn er einem Toten mit dem Fuß die Arme beiseite schiebt, um ihm ins Auge blicken zu können oder schildert, wie ein Kamerad neben ihm mit Kopfschuss zusammensackt und verröchelt, ist zu ahnen, was es mit einem Menschen macht, der jahrelang mit der Allgegenwart des Todes leben muss. Körper sind nur provisorische Einheiten aus Knochen und Fleisch, die bei geringem Beschuss zerplatzen. Dass in den zerfetzten Gehirnen einmal Gedanken, Wünsche und Hoffnungen lebendig waren, kommt ihm als leiser Schauder zu Bewusstsein. Dann erweckt der Anblick der Toten in ihm „die selbe Rührung, die man beim Anblick alter Burgruinen empfindet“.

Dagegen hilft die Betäubung. „Kolossale Sauferei“. „Biertrinken mit den Offizieren“, bis alle „strandkanonenvoll“ sind. Zu jedem Kampfeinsatz gehört der Schluck aus der Pulle – „Mittel gegen Schlangenbiss“. Eine ähnliche Funktion als natürliches Rauschmittel haben die Frauen. Jünger erwähnt eine französische Geliebte im Hinterland; bei ihr wird er eines Nachts fast verhaftet, weil er sich nicht ausweisen kann. Anschließend plagt ihn die Angst vor Geschlechtskrankheiten, und der Tod, der auch aus dieser Richtung droht, treibt ihn erneut in den Kampf. Das, so heißt es mit der Weisheit eines Zwanzigjährigen, ist für einen Mann allemal besser, als „Abend für Abend in einer stinkigen Kneipe herumzuloddern“.

Das Leben ist nicht viel wert. Leutnant Jünger setzt es bedenkenlos ein, aber eben nicht nur sein eigenes, sondern auch das seiner Leute. Wenn einer feige zurückweicht, zögert er nicht, das bei den Vorgesetzten anzuzeigen. Wenn eine Leichtkugel unnötig abgeschossen wird, echauffiert er sich, weil das so teuer ist und den Staat „wieder eine halbe Million Mark gekostet hat“. Und wenn der Feldgeistliche nicht ermunternd predigt, sondern mitleidsvoll, kritisiert er das scharf. Er neigt mehr und mehr zu übersteigertem Selbstbewusstsein und berauscht sich am eigenen „schneidigen Verhalten“: „Führer sein mit klarem Kopfe, heißt der Gottähnlichkeit nahe sein. Wenige sind auserkoren.“

Überdeutlich ist diesen Notizen abzulesen, dass all das Morden, Vergasen, Erstürmen, sich im Schlamm wälzen, Vernichten, das Pulverisieren von Dörfern und Zerwühlen der Landschaft völlig unsinnig gewesen ist. Die absolute Sinnlosigkeit dieses Krieges tritt umso beklemmender hervor, als sie dem Autor selbst kein einziges Mal zu Bewusstsein kommt. Es gibt nur wenige Augenblicke von Mutlosigkeit, Verzweiflung und Überdruss. Und wenn Jünger einmal schreibt: „Wann hat dieser Scheißkrieg ein Ende?“, dann nur deshalb, weil er sich, wie so oft, von Vorgesetzten ungerecht behandelt fühlt. Vom großen Schlachten aber hatte er noch lange nicht genug. Er kämpfte bis zur finalen Verwundung, als ihn im August 1918 endlich ein Lungenschuss außer Gefecht setzte.

Umso größer aber – das lässt sich da schon ahnen – wird die Anstrengung sein, dem Geschehen im Nachhinein dann doch noch einen Sinn zu verleihen, um nicht neben der Niederlage auch noch die Bedeutungslosigkeit ertragen zu müssen. Von da aus ergibt sich das ganze Drama der Weimarer Republik. „Wir haben viel, ja vielleicht alles verloren“, schreibt Jünger dann, und so blieb nur noch die „ehrenvolle Erinnerung“ und die metaphysische Überhöhung des Krieges. Im praktischen Vollzug aber ist davon nichts zu bemerken. Die Kriegstagebücher sind – wie auch „In Stahlgewittern“ – ein grandioses Anti-Kriegsbuch, auch wenn das der Absicht ihres Verfassers zuwider läuft.

Zum Kriegstagebuch gehört als Komplementärstück das „Käferbuch“. Zumindest bis 1916 ging Jünger an der Front in ruhigeren Momenten und zur Entspannung seinen entomologischen Neigungen nach und listete seine Käferfunde sorgfältig auf. Dem Krieg als Naturschauspiel korrespondiert die Natur als Sammelgebiet. Später überlebten vermutlich nicht einmal mehr die Käfer in der aufgewühlten Erde. Da bricht diese letzte Erinnerung an zivilere Vergnügungen ab. Das „Käferbuch rundet diese Ausgabe ab. Herausgeber Helmuth Kiesel hat den Band mit einem informativen Nachwort und detaillierten, hilfreichen Anmerkungen bereichert. Das Jünger-Bild ist mit dieser Publikation zu korrigieren. Jünger war vor 1918 weniger der abgeklärte, mit den Verhaltenslehren der Kälte zu begreifende Soldat, als der er sich später inszenierte, sondern ein hitziger, mordlustiger Kämpfer.

Text: Jörg Magenau




Ernst Jünger: Kriegstagebuch 1914 – 1918

Herausgegeben von Helmuth Kiesel
Klett-Cotta, Stuttgart 2010, 656 Seiten
32,95 Euro


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