Das Regieduo Tizza Covi und Rainer Frimmel aus Österreich überrascht in schöner Regelmäßigkeit (allerdings viel zu selten) mit Filmen, die sich allen Einordnungen entziehen. Ihr erster Spielfilm „La Pivellina“ (2009) ging um die Welt. Ein Spielfilm? Laiendarsteller und eine dokumentarische Kamera stellten die Zuordnung in Frage.
Ihr bisher letzter Film, ausgezeichnet im vorigen Jahr in Locarno und in diesem in Saarbrücken, bleibt dem in „La Pivellina“ liebevoll gezeigten Milieu der Wanderartisten nah. Da ist der Messerwerfer Walter (der schon aus „La Pivellina“ bekannte Walter Saabel). Und da ist Philipp, der durch verschiedene Theatererfolgen berühmt gewordene Schauspieler (Philipp Hochmair). Die Zwei treffen einander. Walter ist der Philipp bisher nicht bekannte Onkel, ein Bruder seines Vaters. Dies, das Verwandtschaftsverhältnis, haben Covi und Frimmel, ihren Akteuren vorgegeben. Die „Handlung“ ergibt sich aus den Improvisationen des Duos und den Bildern, in denen das Regieteam diese Improvisationen eingefangen hat. Wirkliches und Erfundenes gehen dabei eine faszinierende Gemeinsamkeit ein. Hamburg und Wien sind die Stationen der Begegnungen der zwei sehr verschiedenen Männer, die sich ähnlich sind nur in der Lust an der Selbstdarstellung. Neben den Beiden ist da auch Philipps Nachbar Victor (Vitali Leonti). Er muss allein für zwei kleine Kinder sorgen, da seine Frau nicht aus Moldawien nach Österreich einreisen darf. Victors Not wird zum Spiegel der Persönlichkeiten von Walter und Philipp. Der alte Artist stürmt geradezu los, um zu helfen, der junge Star versucht mühsam, zwischen allen Selbstvermarktungsnummern auch noch Zeit für den Mann nebenan und dessen Bedürfnisse zu finden. Da prallen also höchst unterschiedliche Lebensformen und -wahrnehmungen aufeinander – und der Betrachter erwischt sich plötzlich beim Nachdenken über sich selbst und das eigene Dasein.
Wie sieht er aus, wie schmeckt er, wie duftet er, der Glanz des Tages? Ist er durch eigenes Tun herstellbar? Anders gefragt: Was ist Freiheit? – Die in unserer genormten bürgerlichen Welt fast schon subversive Frage wird nicht plump beantwortet. Es werden Möglichkeiten von Antworten deutlich, wenn sich die Protagonisten miteinander auseinandersetzen, was vor allem in oft komischen Gesprächen erfolgt. Dabei knallen keine Pointen. Viel Schöneres geschieht: es werden Denkanstösse an das Publikum weitergereicht.
Peter Claus
Der Glanz des Tages, von Tizza Covi und Rainer Frimmel (Österreich 2012)
Bilder: Peripher
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