Ein Heer von grünen Segelbooten segelt auf ein Pier zu. Ihnen entsteigen runde Männlein mit auffallend großen Gesichtern, im Hintergrund dräut ein stürmisch bewegter Ozean. „Here comes the investors“, das Werk des griechischen Künstlers Michalis G. Kallimopoulos stammt zwar aus dem Jahr 2009. Aber es drückt noch immer gut die Angst vor dem aus, was auch nach der jüngsten Brüsseler „Einigung“ der EU mit dem neuen Regierungschef Alexis Tsipras bevorsteht: Der Einmarsch der Investoren in dem Land an der Ägäis.
Zu sehen war Kallimopoulos‘ Arbeit im Sommer 2014 in der Schau „No Country for young men“ im Brüsseler Kunstpalast Bozar. Mit Arbeiten von 32 Künstlern und Kunstkollektiven brachte die griechischstämmige Kuratorin Katerina Gregos darin das Gefühl von Wut und Auswegslosigkeit auf den Punkt, das sich in dem Land sieben Jahre nach dem Ausbruch der „Finanzkrise“ aufgestaut hatte.
Die Ausstellung war auch ein Akt künstlerischen Widerstands. Denn sie konterkarierte die Ausstellung der damaligen griechischen Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Andonis Samaras zum Auftakt ihrer EU-Ratspräsidentschaft. „Nautilus. Navigating Greece“ (ebenfalls im Bozar) beschwor mit einem Panorama antiker Artefakte einmal mehr den gefahrlosen Mythos der großen Kulturnation. Gregos dagegen zeichnete ein ungeschminktes Bild des zeitgenössischen Desasters in dem Griechenland von heute.
Wenn Jannis Pissis, der Berater des griechischen Kulturministers Arestides Baltas sagt: „Diese Jahre der Krise sind natürlich auch reizvoll für Künstler, für kulturschaffende Menschen“ klingt das zynisch angesichts der Probleme arbeitsloser Künstler in Griechenland. Ganz falsch ist die Analyse nicht. Mit 12 Millionen Euro hat das Land den kleinsten Kulturhaushalt Europas. Und er wird weiter gekürzt. Das in 15 Jahren für 34 Millionen Euro neu erbaute Museum für Gegenwartskunst (EMST) kann nicht öffnen. Griechenlands großes „Athens&Epidauros-Festival“ musste diesen Sommer viele Veranstaltungen absagen. Und ohne EU-Fördergelder hätte die 5. Thessaloniki-Biennale im Mai nicht stattfinden können.
Katerina Gregos spricht von einem wahren „Schauer künstlerischer Kreativität“ in ihrer Heimat. Das Künstlerkollektiv „Depression Era Project“ dokumentiert seit 2012 die Folgen der Sparpolitik im Land. Das deutsch-griechische Ausstellungsprojekt „Tempus Ritualis“ präsentierte vergangenen Sommer in Thessaloniki Arbeiten zu neuen, spontanen Formen der Vergemeinschaftung in Zeiten der Krise. In der Galerie Ausstellung „Quar-t“ entdeckten Absolventinnen der Kunstabteilung der dortigen Aristoteles-Universität im gleichen Jahr den Minimalismus neu als Ausdruck der Krise.
In Athen zeigt die Kuratorin Iliana Fokianaki in ihrem Non-Profit Project Space „State of Concept“ derzeit die Ausstellung der griechischen Malerin Margerita Bofiliou mit dem paradigmatischen Titel „Everything is wrong“. In diesem Sommer lud die Neon-Stiftung des griechischen Sammlers Dimitrios Daskalopoulos zur Ausstellung „Terrapolis“ in die Französische Schule in Athen. Und im Ausstellungsraum „Slaughterhouse“ der Deste-Foundation des Sammlers Dakis Joannou auf der Insel Hydra versuchte sich der Künstler Paul Chan an einer installativen Neuauflage der Platonischen Dialoge (Paul Chan – Hippias Minor, bis 30.9.).
„Die griechischen Künstler lebten eigentlich immer in einer Krise“ bringt Georgios Divaris, der Dekan der Kunstabteilung der Universität von Thessaloniki, die besondere Geisteshaltung der Kunstszene in dem Land auf den Punkt. „Sie sahen Wohlstand sowieso nicht als das Ziel in der Kunst an. Kunst war ja kein Beruf, vielmehr ein Lebensausdruck. Die Kreativität hat bei uns dennoch nie aufgehört. Und die Ausstellungen sind in der Krise nicht weniger geworden.“ „Learning from Athens“ – Adam Szymczyks Motto für die 14. Documenta 2017 muss man derzeit wohl mit „von der Krise lernen“ übersetzen.
Von wohlfeiler Solidarität können sich die Künstler in Griechenland zwar nichts kaufen. Aber dass Künstler und Mitarbeiter kürzlich vor dem Schriftzug „GERMANIA“ über dem Deutschen Pavillon in Venedig als Zeichen der „Solidarität mit den Menschen in Griechenland und aus allen anderen Ländern, die durch Sparpolitik leiden“ eine griechische Flagge mit dem Wort „GERMONEY“ aushängten, verschafft ihnen zumindest Aufmerksam- und Sichtbarkeit. Und es stärkt den wichtigsten Effekt der florierenden Kunstaktivität: Das Gefühl von Solidarität und Zusammengehörigkeit. So wie bei dem „Souzy Tros“-Projekt der griechischen Künstlerin Maria Papadimitriou. Am Stadtrand von Athen konnten Menschen bei dieser ungewöhnlichen Aktion zusammen arbeiten, kochen, tauschen – bescheidener Vorschein dessen, was Giorgio Agamben einmal „die kommende Gemeinschaft“ genannt hat.
Ingo Arend
https://souzytros.wordpress.com/about/
zuerst erschienen in Kunstzeitung Nr. 229, September 2015
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