Toleranz fürs Kino gerettet
Gelegentlich darf man erfreut zur Kenntnis nehmen, dass die DVD nicht nur ein Mittel ist, den Vermarktungsreigen von Filmen zu beschleunigen, sondern auch eine Möglichkeit, vergessene Filmgeschichte zurückzubringen. Nathan der Weise, den der Regisseur Manfred Noa im Jahr 1922 für den Münchner Produzenten Erich Wagowski drehte, ist so eine Trouvaille, gerettet aus den Tiefen Moskauer Archive, restauriert und mit ansprechendem Begleitmaterial vorgelegt vom Münchner Filmmuseum, publiziert in der edition filmmuseum.
Dieser Nathan ist Teil einer anderen Geschichte des deutschen Films, die wir vielleicht nicht nur wegen der schwierigen Archivlage zu schreiben vergessen haben, sondern auch, weil die Überführung des Ufa-Mainstreams in die nationalsozialistische Propagandamaschine eine so einleuchtende Legende ist. Wagowski, der mit der Filmhaus Bavaria GmbH einen Gegenpol zur Ufa zu bilden versuchte, ist ebenso noch zu entdecken wie Manfred Noa. Schwankend zwischen Sendungsbewusstsein, Größenwahn, Pleite und Wiederaufstieg, gelang es Wagowski nicht nur, die widerspenstigeren Talente um sich zu scharen, sondern auch, thematisch ein Gegengewicht zu bilden. Er glaubte daran, dass die Bilder ihren Teil im Kampf gegen den rechten Ungeist leisten würden.
Die Verfilmung von Lessings Stück, auch ökonomisch ein ungeheures Risiko, war ehrgeiziges künstlerisches Projekt und politisch-moralischer Appell: Wenn es den NS-Filmen gelang, Verachtung und Gewalt aus den Tiefengründen der deutschen Kultur ins populäre Leinwand-Bild zu projizieren, warum dann nicht auch Toleranz, Verstehen und, nun eben, Weisheit?
Der Film zeigt auch heute noch die Energie und Lust, mit der man sich dieser Aufgabe widmete. Zunächst erscheint die Aufgabe unlösbar, eine so sprachgroße Feier der religiösen Toleranz von der Bühne zu übertragen in die Kunst des Kinos, die vor allem eine Kunst der Bilder-Konfrontation ist. Alles innere Wissen muss sich hier in äußerer Konfrontation ausdrücken.
Noa gibt erst einmal dem Kino, was des Kinos ist. Die Schauwerte beginnen mit Schlachtenbildern von der Eroberung Jerusalems durch die Türken, und natürlich ist die Rettung Rechas, Nathans Tochter, aus dem brennenden Haus mit so viel Thrill und Action inszeniert wie das opulente Budget nur eben hergab. Aber Noa beherrscht auch subtilere Methoden, indem er etwa einen Dialog in ein poetisches Schattenspiel übersetzt. Wenn der Film droht sich in Effekten zu verlieren gelingt es ihm immer wieder, zu Lessingscher Klarheit zurückzufinden. Am Ende allerdings erlaubt sich Noa eine spektakuläre Änderung, die schon fast an Frechheit grenzt indem er im Gegensatz zu Lessing den Tempelherren Nathan direkt verraten lässt. Der landet, vor dem Happy End, im pittoresken Kerker des Patriarchen, während die christlichen Truppen, gleichsam in Umkehrung der Eingangssequenz, wieder vor den Toren der Stadt stehen. So ist dieser Nathan der Weise auch ein Vorgriff auf die Hollywood-Ästhetik, er nutzt das Melodram, um Lessings Plädoyer der Toleranz zu vermitteln. Ein schönes Scheitern am Text, aber auch ein Triumph der cineastischen Energie.
Doch dieser Nathan kam zu spät. In Berlin konnte der Film, angefeindet zwar, Premiere und Kino-Einsatz erleben, in München allerdings, wo er entstand, verhinderte bereits die NSDAP jede Aufführung. Und Werner Krauss, der großartige Darsteller des Nathan, musste im Jahr 1940 in Jud Süß antisemitische Karikaturen geben.
Autor: Georg Seesslen
Text veröffentlicht in Die Zeit Nr.27 vom 28.06.2007
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