Eine der schönsten Komödien um die Schwierigkeit, erwachsen zu werden, kam vor drei Jahren aus Norwegen: „Der Mann, der Yngve liebte“. Regisseur Stian Kristiansen, der damit 2008 sein Debüt gab, setzt nun die Geschichte der Hauptfigur fort. Und von einem Aufguss kann keine Rede sein! Zugegeben: Sonderlich toll klingt die Story in Stichworten nicht: Jarle (Rolf Kristian Larsen) bekommt einen Schock, als eines Tages eine siebenjährige Göre (Amina Eleonora Bergrem) vor der Tür steht. Die Kleine erklärt dem 25-jährigen Studenten, dass sie seine Tochter sei, und dass er jetzt eine Zeitlang auf sie aufpassen müsse. – Ähnliches gab es schon mehrfach, etwa im Vorjahr, arg schick und snobistisch erzählt, in „Somewhere“ von Sophia Coppola. Anders als sie aber interessiert Regisseur Stian Kristiansen, der sich das Drehbuch wieder von dem Schriftsteller Tore Renberg schreiben ließ, die soziale Realität von Leuten der Marke „Du und ich“. Jarle, den wir beim ersten Mal Ende der 1980er Jahre trafen, diesmal Mitte der 1990er, liebt nur eins: das Werk von Marcel Proust. Da ist natürlich kein Platz in seinem Herzen für ein Kind, auch nicht für deren Mama. Behauptet jedenfalls Jarle – und ist der einzige weit und breit, der das glaubt. Klar, dass die Geschichte anders weitergeht als er es sich zu Beginn vorstellen kann. Übrigens, im Detail, auch anders, als wohl die meisten Zuschauer erwarten dürften.
Handfeste Milieuzeichnungen und sensible Charakterstudien fesseln von Beginn an. Jarle, der Jung-Intellektuelle, der laut Eigeneinschätzung lieber mit einem Buch ins Bett geht als mit einer Frau, der aber trotzdem grad ganz furchtbar darunter leidet, dass er ungewollt Single ist, wird dabei nie zur Witzfigur. Buch, Regie und Schauspiel nehmen Jarle erfreulich ernst, was dem Humor eine schöne Schärfe verleiht. Seine oft verzweifelten Versuche, sich aus aller Verantwortung, vor allem auch gegenüber sich selbst, zu ziehen, liefern dabei die besten Pointen.
Klar: komödiengerecht kommt auch die Frau Mama (Marte Obstad) noch gehörig ins Spiel. Fader Familienkitsch à la Hollywood jedoch gibt es nicht. Hier wird kein verlogenes Hohelied auf den angeblich unschätzbaren Wert der Familie gesungen. Aber es wird auch kein Klamauk der billigen Art geboten! Bis zum Schlussbild bleibt der Humor trotz aller Schärfe im Ton eher sanft. Und es werden auch Fragezeichen gesetzt, die ohne Antworten stehen bleiben. Hier ist nach dem Lachen Zeit zum Nachdenken. Dabei stellt sich ein interessanter Nebeneffekt ein: Die 1990er Jahre erscheinen einem als Paradies, fern der heute allgegenwärtigen Hektik, weitab von Finanzkrisen und Terrorangst. Da wird der Film sogar zeitkritisch. Wunderbar! – Das Kino Skandinaviens ist nun mal immer wieder gut für schöne Überraschungen.
Peter Claus
Ich reise allein, von Stian Kristiansen (Norwegen 2011)
Bilder: Neue Visionen
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