Die Bomber und das Begehren

Max Färberböcks Film „Aimée & Jaguar“ erzählt von einer lesbischen Liebe im Nationalsozialismus

Was für ein Kinostoff! Die wahre Geschichte einer deutschen Hausfrau und Mutter, wie sie sich die Machthaber des „Dritten Reiches“ wünschten: Sie kann, sagt man von ihr, Juden am Geruch erkennen und hat sich mit vier Söhnen das bronzene Mutterkreuz verdient. Nur daß sie sich immer wieder Liebhaber sucht, während der Mann an der Front ist, passt vielleicht nicht ganz ins Bild, ist aber wohl nicht ungewöhnlich im Berlin der Bombennächte des Jahres 1943, der Mischung aus Angst und Lebensgier. Lilly aber sucht nicht nur das schnelle Vergessen in der Lust. Da ist etwas, das sich noch erfüllen soll. Und es erfüllt sich auf eine ebenso wunderbare wie grausame Weise. Lilly Wust lernt auf einem Konzert die Journalistin Felice Schragenheim kennen. Sie erlebt das Glück mit der leidenschaftlichen Geliebten, und sie leidet an ihr, die tagelang verschwindet und nicht preisgeben will, was sie tut. Schließlich bekennt Felice die Wahrheit: Sie ist Jüdin, arbeitet unter falschem Namen bei einer Nazi-Gazette und versorgt eine Widerstandsgruppe mit geheimen Papieren. Lilly lässt sich scheiden und nimmt Felice bei sich auf. Doch Felices Situation wird immer bedrohlicher. Eine letzte Chance zur Flucht bietet sich, aber Felice will Lilly nicht verlassen. Sie wird verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. Als Lilly sie dort besuchen will, hat sie damit ihr Todesurteil gesprochen.

Und welche Schauspielerinnen geben dieser einfachen, anrührenden und zugleich aberwitzigen Geschichte Gestalt! Maria Schrader als Felice, die sich Jaguar nennt, die selbstbewusste, kluge Frau, die sich von ihren Gefährdungen stimulieren lässt; Juliane Köhler als Lilly, die den Namen Aimée erhält, zickig und unerlöst zuerst, dann ganz und gar Begehren und Liebe. Und zwischen ihnen Johanna Wokalek als Lillys Pflichtjahrmädchen Ilse, die skeptische Überlebenskünstlerin, die den Part der Erzählerin innehat und dabei immer wieder nüchterne Distanz ermöglicht.

Und noch in den Nebenfiguren beweist der Regisseur Max Färberböck sein Gespür für subtile Charakterisierung. Das sind Personen, denen Widersprüche und Geheimnisse gelassen werden, Heike Makatsch als Felices ängstliche Freundin Klärchen, Detlef Buck als Lillys dumpfer Ehemann, der sich die Welt in brutal-sentimentalen Phrasen zurechtredet, Peter Weck als Chefredakteur der Nationalzeitung , der die Widersprüche zwischen Korruption und Wissen mit dem Schnapsglas bekämpft. Immer scheinen diese Charaktere anzubieten, dass da noch ganz andere, vielleicht gegenläufige Geschichten erzählt werden könnten. Und daß, andersherum, auch der Hauptgeschichte nicht vollständig zu trauen ist, läßt die knappe Rahmenhandlung zumindest als Möglichkeit offen: Am Anfang erleben wir, wie Lilly Wust im Jahr 1997 ihre Wohnung räumen muß und im Altersheim wieder auf Ilse trifft. Am Ende sehen wir die beiden im Gespräch. „Das Schicksal hat mich betrogen“, meint Lilly bitter, und Ilse antwortet sarkastisch: „Erst der Führer, dann das Schicksal.“ So bleibt etwas durchaus Zweifelhaftes an dieser Projektion der großen, unmöglichen Liebe.

Lange Zeit scheint es, als werde da eine sehr private Geschichte vor dem Hintergrund einer furchtbaren Zeit erzählt, als seien Nationalsozialismus und Krieg auch ganz buchstäblich undeutlicher Hintergrund. Beinahe sind wir versucht, uns von der „Tanz auf dem Vulkan“-Stimmung anstecken zu lassen, die Schrecken der Geschichte als Ferment des erotischen Dramas zu erleben, im Blick des Begehrens sogar Bomber am Nachthimmel, Leuchtspurgeschosse und zerberstende Häuser als schön zu empfinden. Doch im letzten Teil, als Felice ihre Flucht abbricht und nach dem Ausflug an einen See, nach Momenten des offenbar vollkommenen Glücks, verhaftet wird, als alle sie verleugnen, bricht diese Konstruktion zusammen. Es ist mehr als die Auflösung der Illusion, das private Glück über den Zusammenbruch des Regimes retten zu können. Wir haben eine Reihe von Modellen gesehen, den Faschismus mit einer Maske nach außen und einem menschlichen Handeln nach innen zu überleben. Keines davon hält wirklich stand.

Max Färberböck gilt zu Recht als ein Fernsehregisseur, dessen Können über handwerkliche Kompetenz hinausgeht. Er hat ein seltenes Gespür für die Entwicklung vielschichtiger Charaktere, ein ausgeprägtes Gefühl für die angemessene Zeit von Bewegung und Blick. Die künstlerische Entscheidung, auch in seinem ersten Kinofilm das Augenmerk ganz auf die Personen zu richten, ist achtbar und wird von seinem Ensemble wundervoll getragen. Aber sie lässt andere, bedeutende Elemente des Kinos ungenutzt.

Was in der Dramaturgie durchaus angelegt ist, nämlich die Möglichkeit des Perspektivwechsels, ist in den Bildern nicht eingelöst, sie reichen weder in die Tiefe noch lassen sie den Blick sich weiten. Alles, was wir wissen können, müssen wir aus den Gesten und Blicken der Figuren lesen, und wenn wir einen Dialog im simplen Schuss/Gegenschuss-Ablauf erhalten, so mögen wir uns ein wenig auch betrogen fühlen um all das, was das Bewegungsbild auf der großen Leinwand erzählen könnte, wenn man es nicht nur wie einen Guckkasten behandeln wollte.

Max Färberböck ist auf dem Weg vom Fernsehen zum Kino erst auf halber Strecke. So mag uns sein Film vor den Augen in Aspekte des Großartigen und des Mediokren zerfallen. Unberührt jedenfalls lässt er uns nicht.

Autor: Georg Seeßlen

Text geschrieben 1999

Text: veröffentlicht in DIE ZEIT 07/1999