Horst Buchholz entstammt der lost generation der deutschen Nachkriegsgesellschaft, und er war der schönste Ausdruck ihrer Energie und ihrer Verzweiflung auf der Leinwand. Geboren am 4. Dezember 1933 in Berlin als Sohn eines Schusters träumt er von einem Medizinstudium, muss aber schon früh damit beginnen, Geld zu verdienen, weil der Vater in Kriegsgefangenschaft ist. An der biografischen Glaubwürdigkeit seines Leinwand-Charakters aus bockiger Einsamkeit und Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit gibt es keinen Zweifel. Mit 14 beginnt er als Statist auf dem Theater, dann spielt er in „Emil und die Detektive“, arbeitet bei Film-Synchronisierung und beim Radio. 1950 verlässt er das Gymnasium und finanziert durch kleine Rollen und Radio-Arbeiten den Schauspielunterricht. Daneben spielt er schon mit Erfolg auf verschiedenen Bühnen in Berlin und tritt 1952 zum ersten Mal in einem Kurzfilm auf. Seinen Einstand gibt er dann 1955 in dem Film „Marianne, meine Jugendliebe“ von Julien Duvivier. Er ist der Junge in einer Welt, die immer eine fremde Kälte behält, der der schönen Frau begegnet, von der man nicht weiß, wie wirklich sie ist.
Georg Tressler, ein ehemaliger Dokumentarfilmer, der sich immer einen realistischen Blick bewahrte, der in seinen Vierzigern den Höhepunkt seines künstlerischen Eigensinns erreichte und der in der überalterten deutschen Filmproduktion jener Jahre noch als „Jungregisseur“ galt, wurde der Regisseur, der Buchholz als vollständig zeitgemäßen Charakter entdeckte und seine Leinwand-Persona entwickelte. Oder doch mehr: entwickeln ließ. Denn kaum einer hat den Schauspielern so viel Raum zur eigenen Entfaltung gegeben, hat die Kamera so auf sie reagieren lassen. Tressler sah den jungen Schauspieler so, als würde er ihn beobachten, [ad#hbuchholz]nicht so, als würde er ihn inszenieren. Sein Freddy Borchert in „Die Halbstarken“ (1956) ist der Anführer einer jugendlichen Gang, die kleine Verbrechen begeht, aber weniger aus materiellen Gründen, vielmehr als Rebellion und aus Abenteuerlust. Sie treffen sich im Schwimmbad, und in diesen Szenen zeigt sich etwas, was der Kritik schwer zugänglich ist: der Zusammenhang zwischen der Kunst eines Schauspielers und dem Raum, den der Film für sie konstruiert. Horst Buchholz-Filme sind, je mehr desto besser für sie, Filme über den Raum, über prekäre Situationen zwischen Gefängnis und Leere. Die dramatische Geschichte um die Beziehung zum Bruder (Christian Doermer) und zur Freundin (Karin Baal) verbindet solche Raum/Subjekt-Empfindungen miteinander. Der gemeinsame Coup gelingt, aber das überfallene Postauto hat nur wertlose Briefe befördert. Um seine Autorität in der Gang zu bewahren, entscheidet er sich zu einem Einbruch, bei dem er aber mit dem alten Vater des Opfers konfrontiert wird. Freddy kann ihn nicht erschießen, so macht es seine Freundin mit dem Namen Sissy für ihn. Diese Halbstarken, die an ihren kranken, schwachen und schuldbeladenen Vätern litten, hätten die neue Generation bilden können und scheiterten, weil es kein sinnvolles Projekt für ihren Zorn und ihre Energie gab. Deshalb traten die Duckmäuser und geborenen Kleinbürger an ihre Stelle. Wie James Dean (ohne diesen Vergleich zu strapazieren, der auch ein Fluch für den Schauspieler war) wurde Buchholz zum Star, weil er zugleich Ausdruck der Rebellion und ihres Scheiterns war. Christian Doermer und Karin Baal waren neben ihm ideal besetzt, mehr an Authentizität war kaum zu erzielen in der deutschen Filmproduktion dieser Zeit. Aber noch heute ist unser ins Fernsehprogramm gerutschte Film-Gedächtnis mehr am „Förster vom Silberwald“ ausgerichtet.
Tresslers „Endstation Liebe“ (1957) ist, dissident genug, ein Film aus der Arbeiterklasse. Buchholz spielt den Casanova der Firma, Mecky, der mit seinen Kollegen wettet, er werde „die Neue“ am nächsten Wochenende herumkriegen. Hier gibt er mit allen Tricks indirekter Verführung seine erste große Hochstapler-Rolle. Die beiden aber verlieben sich wirklich ineinander, sie erfährt von der Wette, und doch finden die beiden zusammen. Eine Liebesgeschichte als Geschichte von Ernüchterung und Ent-Täuschung. Der triste Alltag, die Träume, die Zärtlichkeit einer Kamera, die ihre Bilder der allgemeinen Blendung entreißen muss: ein Film, wie es ihn dann nur noch in England geben sollte. Auch Buchholz selber konnte da nicht weitermachen.
Einer der größten Filme des Jahrzehnts in Deutschland war dann Tresslers B. Traven-Verfilmung „Das Totenschiff“ (1959). Horst Buchholz ist jener amerikanische Matrose, dem von einer Prostituierten die Papiere gestohlen werden, und er ist gefangen in einer Welt ohne Mitleid, lebt in der Illegalität, bis er schließlich von finsteren Leuten ohne Schiffahrtspapiere angeheuert wird. Auf einem heruntergekommene Schmugglerschiff. Ein Heimatloser in einer Welt, in der alles lautstark von Heimat träumte, nicht nur im Kino, ein Glückloser in der Zeit des Restaurationsglück, ein Film darüber, wie Jugend und Freiheit vernichtet werden, radikaler noch als „Die Halbstarken“.
Das sind die drei Facetten seiner Darstellungen: Der Rebell, der liebenswerte Verführer und Hochstapler, der bittere Verlierer. Niemand hatte das Zeug zum Rebellen des deutschen Kinos so wie er; aber wie bei den anderen seiner Generation wurde dieses Image viel zu schnell in allzu harmlosen Filmen verwässert; mehr noch: Es gab Grund diesem Bild zu misstrauen, auch wenn Buchholz sich weder in diesen Filmen vollkommen domestizieren ließ, noch sich den Gepflogenheiten der Industrie unterwarf. Einer wie er aber musste spielen, auch wenn es in den falschen Filmen war.
Als Kurt Hoffmann Buchholz für die Hauptrolle in „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ (1957) besetzte, hatte der junge Schauspieler in der deutschen Öffentlichkeit bereits den Status des Superstars. Hier durfte er gleichsam über sich selbst hinausspielen, ein Solo ans andere reihen, gut für ihn, nicht so gut für den Film. Das Kabinettstück des Films ist zweifellos Buchholz Vorstellung vor der Musterungskommission, wo er sich als glühender Militarist ausgibt, um nur umso geschickter dem Militärdienst zu entrinnen. Aber zugleich ist der Film auch schon ein Dokument der Domestizierung; das Essentielle der Hochstapelei, das um jeden Preis jemanden darstellen wollen der lost generation, das so nur Horst Buchholz ausdrücken konnte, wird schon wieder unverbindlich. Eine Nummer. Es folgen Rolle im deutschen Film, die meist harmlosere Varianten seiner Grund-Charakter sind, Rebell, Hochstapler, schöner Verlierer.
Bald reicht er auch über die Grenzen des deutschen Films hinaus. In England spielt er in „Tiger Bay“ (1958), gleich darauf tritt er auf dem Broadway in einer Inszenierung von Colettes „Cherie“ auf. Seinen Starruhm im amerikanischen Kino begründet er mit seinem Auftritt in John Sturges‘ Kurosawa-Paraphrase im Western „Die glorreichen Sieben“ (1960). Die Energie eines leidenschaftlichen Kindmannes setzt eine Welt der müde gewordenen Archetypen noch einmal in Bewegung, und wieder ist es der Raum, mit dem Buchholz spielt. (Dass er am Ende in dem Dorf bleibt, der Liebe wegen, das die Westerner/Samurai gegen de Banditen gerettet haben, ist fast schon wieder der Tod seiner Figur.) Danach steckt seine Karriere in einer Sackgasse. Horst Buchholz spielt in unterschiedlichen amerikanischen und europäischen Produktionen, manches hübsch, manches belanglos.
Die Frechheit und Anmaßung seines Felix Krull zeigt sich radikaler und besser noch in Billy Wilders „Eins, Zwei, Drei“ (1961), als aus dem einst grauen sozialistischen Rebellen ein Adeliger geworden ist, der den amerikanischen Eltern der Geliebten vorgestellt wird und der hochstapelt, als wäre es seine Natur. Es ist bestimmt einer von Buchholz‘ schönsten Filmen, aber zugleich ist es eine radikale Demontage seiner Leinwand-Persona: Der Hochstapler widerlegt den Rebellen, so wie der als törichter Fanatiker den Verlierer widerlegt hat. So vergeht auch die Erinnerung an Buchholz‘ Traum-Rollen wie „Herrscher ohne Krone“ (1956), die andere Seite des Rebellen, der große, tragische, romantische Verlierer, das geborene Opfer. Der vaterlose Mann, der an der Liebe nur verrückt werden kann.
Für alle Rollen, die Horst Buchholz‘ darstellerische Diskurse hätten weiterentwickeln können, war das deutsche Kino der Nachkriegszeit zu klein. Der Rebell ohne Grund, der zärtliche Hochstapler, das radikale Opfer. Horst Buchholz war unter vielen vaterlosen Helden des deutschen Films derjenige, der auch bei der Konstruktion eines Ersatzes furchtbar scheitern musste. Er musst den Vater verraten in „Robinson darf nicht sterben“ (1956), und der „Vater“ musste ihn verraten in „Herrscher ohne Krone“. Vieles ist vorgesehen in Buchholz‘ Leinwand-Persona, Versöhnung gehört nicht wirklich dazu.
Es gibt schon ein paar merkwürdige Filme, in denen Horst Buchholz in den siebziger und achtziger Jahren mitspielte. So traumhaft sicher er in seinen frühen Filmen besetzt schien, so konsequent fehlbesetzt schien er nun des öfteren. Und weil er nicht in der Mitte der Erzählmaschinen war, sondern immer nur von der Peripherie her kommen konnte, konnte er sein Spiel weder auf das Handwerk reduzieren (das er beherrschte wie kaum jemand), noch einen immer noch eigenständigen Typus auf der Leinwand kreieren. Auch mit seinen Regisseuren hat Buchholz nicht gerade Glück. Er ist ein temperamentvoller Johann Strauß Sohn in „The Great Waltz“ (1972) von Andrew L. Stone, der sich aus dem Schatten des Vaters bewegt. Er ist ein Waffenhändler und Spion in dem seltsamen Soft-Sexfilm „Aphrodite“ (1982) von Robert Fuest, der schon immer mehr Talent für schräge Optik als für Geschichten und Charaktere hatte und deshalb mehr auf die schöne Valérie Kaprisky glotzt als uns zu erklären, worum zum Teufel es eigentlich geht.
Horst Buchholz schönstes und genauestes Bilder einer lost generation aus Deutschland wurde auch aus dem Kino zwei mal vertrieben, durch die Krise des deutschen Films zu Beginn der sechziger Jahre (und der neue deutsche Film konnte und wollte weder dort beginnen, wo Georg Tressler hatte enden müssen, noch dort, wo eine persönliche Revolte wie die von Buchholz hatte enden müssen), und in der Krise des internationalen Genrefilms in den siebziger Jahren. Am Ende holt Buchholz das „lost“ seiner Generation wieder ein. Er ist der Schauspieler, der am wenigsten eine „Nische“ gefunden hat in der zerfaserten Bildermaschine und als ein verlorener Stern in der Geschichte der Bilder umherzieht. 1980 übernimmt er die Moderation der „Astro-Show“ im Fernsehen, und man sieht ihm an, dass er weder das Medium noch das Konzept der Sendung wirklich mag. Nach nur fünf Sendungen verlässt er nicht nur die Sendung sondern auch das Format, das für einen wie ihn zugleich viel zu klein und viel zu „massenhaft“ ist. Die Stärke seiner Darstellung in den Filmen der fünfziger und sechziger Jahren, nämlich zugleich groß und intim, entrückt und nahe zu sein (auf gelegentlich sogar erschreckende und impertinente Weise nahe) wird nun zum Fluch: Horst Buchholz passt nirgendwo mehr hin. In den Wiederbelebungsversuchen des alten Films wie Weidenmanns „…aber Johnny!“ (1973) oder Rolf Thieles „Frauenstation“ (1975) scheint er eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Aber er weigert sich auch, zu verschwinden. Er spielt Theater, hat Auftritte in Fernsehserien auf beiden Seiten des Ozeans, bei „Derrick“ und „Der Alte“, bei „How the West was Won“ und „Charlie’s Angels“. Auftritte im filmischem Obskur reichen von Umberto Lenzis Kriegsmelodram „Nur drei kamen durch“ (1978) bis zum cineastischen Fehlversuch der deutschen Plan-B-Filme. Nur in Roberto Benignis „Das Leben ist schön“ zeigt Horst Buchholz noch einmal, was auch in seinen späten Jahren noch hätte aus seinem Spiel herausgeholt werden können. Genauer hat niemand das Nebeneinander des Trivialen und Furchtbaren in einem deutschen Charakter auf die Leinwand gebracht. Das Herz konnte einem stillstehen.
Das hätte der Beginn einer dritten Karriere für Horst Buchholz sein können. Aber dafür war es offensichtlich zu spät.
Autor: Georg Seesslen
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