Gestern Abend erlebte Martin Walsers Stück „Ein liebender Mann“ in Meiningen seine Uraufführung. Der Autor hatte seinen Roman um die Liebe des alten Goethe zu der 19-jährigen Ulrike selbst dramatisiert.
Herr Walser, Sie kommen jetzt als 83-jähriger auf das Drama zurück, mit dem Sie einst in beiden Deutschlands als linker Kapitalismuskritiker geschätzt wurden…
Ach, diese Unterscheidungen waren mir nie so wichtig. Ich habe immer Gedichte geschrieben, obwohl ich mich nicht für einen Lyriker halte. Ich habe Stücke geschrieben, obwohl ich sah, dass ich, so wie sich das Theater entwickelt hat, der Bühne nichts mehr gab, was sie nicht auch ohne mich hätte. Meine beiden ersten Stücke waren „Das Sofa“ und „Der Abstecher“, für einen habe ich mich bei Ionescu bedient, für das andere bei Brecht.
Zwei Antipoden, politisch und künstlerisch. Das heißt, Sie haben Form sehr pragmatisches betrachtet. Heißt es auch, dass Ihre Form vom jeweiligen Impuls abhängt?
Natürlich heißt es das. Ich hatte das Gefühl, dass ich explizit politische Themen nicht im Roman behandeln möchte, also war es die Dramatik.
Was auch bedeutet, dass Ihre Themen seit Jahren nicht mehr so politisch sind.
Es gibt ein Alter, da bist du im Stande Dinge zu fordern, die du nie selber realisieren könntest. Aber die Bereitschaft Fahnen zu schwenken lässt nach mit den Jahren. Ich kann mich an nichts beteiligen, was ich nicht ändern kann. Früher mochte ich Goethe nicht, weil der die Französische Revolution nicht mochte. Später las ich „Wilhelm Meister“ und schätzte die Reform.
Aber „Ein liebender Mann“ ist ja nun auch nicht ein so eminent politischer Stoff…
Ansgar Haag hatte mich gefragt ob ich einverstanden sei und dann schickten sie mir einen Entwurf. Der war mir aber in der Form zu weit weg von mir. Da habe ich es eben selbst geschrieben. Das sind doch meine Figuren, niemand kennt die so wie ich, niemand hat so mit ihnen gelebt wie ich.
Ja, das ist der Eindruck. Sie begegnen dem alten Goethe mit tiefem Verständnis für die Liebe zu der 19-jährigen Ulrike, die ihn umtreibt.
Natürlich, wie sonst? Ich kann eine Hauptfigur nur mit Liebe behandeln. Ein chinesischer Germanist hat geschrieben, „Tod eines Kritikers“ sei eine Liebeserklärung an Marcel Reich-Ranicki.
Ich halte das Buch nicht für antisemitisch, aber für eine Liebeserklärung auch nicht.
Immerhin gibt man doch zwei, drei Jahre Lebenszeit an eine solche Figur, das muss schon eine intensive Beziehung sein mit viel Verständnis.
Für Ihr Verständnis für Paarbeziehungen mit großem Altersunterschied haben Sie auch viel Spott erhalten.
Ich habe vier Romane über solche Paare geschrieben. Im ersten, „Lebenslauf der Liebe“, war die Frau doppelt so alt wie der Mann, das hat keine Kritikerin gestört. In den beiden folgenden Büchern war es umgekehrt, da gab es eine große Empörung von weiblichen Kritikern. Auf diese Weise befördert der Literaturbetrieb, ohne es zu wollen, manchmal etwas in einem Schriftsteller. Ich habe dann nämlich „Ein liebender Mann“ geschrieben – und da haben die Damen dann wieder zugestimmt. Goethe darf eben.
Wären Sie diesem Goethe vor 20, 30 Jahren mit der gleichen Haltung begegnet?
Nein, natürlich nicht. Damals habe ich „In Goethes Hand“ geschrieben. Das ist eine Eckermann-Geschichte und Goethe als Arbeitgeber kommt da nicht sehr gut weg. Manchmal wird die Frage gestellt, warum ein Autor in meinem Alter überhaupt noch schreibt…
…weil Schreiben Leben ist?
Ja, das vor allem, so wie Lieben Leben ist. Aber Schreiben braucht auch eine konkrete Rechtfertigung. Ich schreibe, so lange ich etwas schreiben kann, was ich vor 20,30 Jahren so nicht hätte schreiben können…
…oder wollen?
Das macht keinen Unterschied. Damals wollte ich Goethe kritisieren, ich hätte ihn nicht seine Altersliebe bestätigen wollen. Das kann nur so ein Thema werden, wenn man selbst so weit ist. Ich habe das vor allem geschrieben, weil diese Beziehung von allem Anfang an ein Unglück war.
Goethes Beziehung zu Ulrike galt als öffentliches Ärgernis. Halten Sie es für die Aufgabe des Intellektuellen öffentliches Ärgerniss zu erregen? War das der Impuls Ihrer Rede 1998 in der Paulskirche?
Ach, diese Rede. Das werde ich nicht mehr los. Als ich von dem Preis erfuhr, habe ich drei Wochen an einer Dankesrede gearbeitet mit dem Hauptthema Arbeitslosigkeit. Dann merkte ich, das wird nichts, weil ich nicht einen Tag arbeitslos war. Wenn ich gewusst hätte, was das für ein Skandal wird, dann hätte ich es gelassen. Diese anhaltende Reaktion hat mich überrascht.
Im Ernst?
Im Ernst. Ich hatte den Siegfried Unseld gefragt, der meinte, das wäre okay. Es tut mir wirklich leid, dass das durch die Verkürzungen zum Skandal wurde und ich sozusagen zum deutschen Schlussstrichzieher. Nichts liegt mir ferner, als ein Schlussstrich. Aber da hat schon niemand mehr zugehört. Das ist diese deutsche Religionshaftigkeit. Das werde ich nun nie mehr los.
Gespräch: Henryk Goldberg
Bild: Martin Walser 2010 (Foto Elke Wetzig/CC-BY-SA)
INFORMATION:
U R A U F F Ü H R U N G, MARTIN WALSER, „Ein liebender Mann“
Premieren, Freitag, 1. Oktober, 19.30 Uhr und Sonntag, 3. Oktober, 19.00 Uhr, in den Kammerspielen
Eros, Ehe und Erlebnishunger pulsieren durch seine Figuren. Die eigenen Rollenzwänge, die Erwartungen der anderen, und der unbeirrbare Wunsch, das Unveränderbare doch einmal zu besiegen, kennzeichnen ihr Streben.
„Meine Liebe weiß nicht, dass ich über siebzig bin.
Und ich weiß es auch nicht.“
Eigens für die Meininger Bühne dramatisiert, skizziert Walser mit seinem neuen Drama das Verhältnis der 19-jährigen Ulrike von Levetzow zum 73-jährigen Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe. Tragisch, lebensecht und voller Farben. In Szene gesetzt vom preisgekrönten Inszenierungsteam des Meininger „Faust“ (Haag / Müller / Zepperitz).
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