Anna Karenina gehört zu den beliebtesten Romanfiguren von Schauspielerinnen, Regisseuren und Drehbuchautoren. Schon mehr als zwei Dutzend Mal wurde Lew Tolstois Meisterwerk für das Kino und den Bildschirm adaptiert. Bereits zu Stummfilmzeiten ging es los. Vermutlich 1910 flimmerte die erste, seit Jahrzehnten verschollene, Leinwand-Version des berühmten Sittengemäldes über Leinwände. Greta Garbo war Anna Karenina, Vivian Leigh, Claire Bloom, Sophie Marceau, Lea Massari, Tatjana Samojlowa; diesmal ist’s Keira Knightley.
Regie geführt hat Joe Wright. Keira Knightley war schon seine Protagonistin in „Stolz und Vorurteil“ und „Abbitte“. Die Aktrice hat’s nicht leicht, muss sie doch in der westlichen Hemisphäre insbesondere gegen den Anna-Karenina-Mythos der Garbo anspielen. Die glänzte gleich zwei Mal, 1927 und 1935, in der Rolle der an der Liebe zugrunde gehenden Russin. Die „Göttliche“, wie sie von ihren Zeitgenossen genannt wurde, setzte ganz auf Innerlichkeit. Im Zusammenspiel mit der Kamera konnte sie perfekt die Illusion erzeugen, dass ihr Gesicht die Seelenpein der Verzweifelten spiegele. Keira Knightley braucht mehr, um Effekt zu erzielen. Neben gelegentlich fast irre anmutenden Blicken voller Bedeutung, bringt sie den ganzen Körper zum Einsatz. Das führt zu einer recht monoton wirkenden Abfolge von immer Gleichem: einer nahezu eisigen Pose folgt hektisches Agieren, das von Verharren im Starren abgelöst wird, verdrängt von Hektik usw. usf. Das macht ihre Anna Karenina leicht erkennbar als Marionette der Bigotterie ihrer Zeit. Knightley passt damit perfekt ins Dekor und also in das Konzept der Regie. Tolstois kraftvoll-direkter Sprache entspricht das nicht. Der gerade aus seiner scheinbaren – in Wahrheit natürlich schwer erarbeiteten – kunstvollen Schlichtheit herrührenden Wirkung des Romans auf das Gemüt des Lesers schenkt der Film nur wenig Beachtung, zu wenig.
Joe Wright und sein Drehbuchautor Tom Stoppard machen es auch dem Publikum nicht einfach. Die Zwei lassen die Geschichte des Dramas um einen Ehebruch und andere Unschicklichkeiten nämlich weitestgehend in einer – bewusst als solcher erkennbaren! – Theaterkulisse spielen. Tolstois Anklage eines Lebensstils, in dem der Schein mehr gilt als das Sein, wird damit heftig betont. Da drängt sich zunächst nicht selten der Eindruck auf, dass der Regisseur vor allem daran interessiert ist, seine Virtuosität im Inszenieren einer Botschaft auszustellen. Das ist intellektuell anregend. Die Herzen so mancher Zuschauer aber dürfte das kalt lassen. Rührung gar bleibt gänzlich aus. Im Verlauf der Handlung verliert sich die durchgeistigte Kühle zum Glück. Mit Fortschreiten des Geschehens darf die emotionale Kraft des Tolstoischen Textes lodern.
Die Geschichte hält sich weitestgehend an die Vorlage: Vor etwa 130, 140 Jahren fühlt sich Anna (Keira Knightley) in der Ehe mit dem zaristischen Beamten Alexej Karenin (Jude Law) und als Mutter des kleinen Serjosha (Oskar McNamara) nicht wirklich wohl. Sie liebt ihren Sohn und ihren Mann. Doch die Enge des Alltags schränkt sie zu sehr ein. Als sie dem Offizier Alexei Kirillovich Vronsky (Aaron Taylor-Johnson) begegnet, glaubt sie, sich in ihn zu verlieben, merkt nicht, dass allein der flüchtige Reiz erotischer Begierde lockt. Alexej Karenin verhält sich für seine Zeit erstaunlich. Nachdem ihm Gerüchte über die Liaison seiner Frau mit dem jungen Mann zu Ohren gekommen sind, warnt er Anna zunächst und räumt ihr ein, die unerhörte Beziehung aufzukündigen. Doch die teuflische Macht der Liebe fordert mit scharfer Konsequenz ihr Recht. Allen Beteiligten droht das Verderben.
Heutzutage, da allen alles erlaubt zu sein scheint, gerade auch was die sexuelle Befriedigung angeht, kann eine Geschichte wie diese kaum mehr schockieren. Kann sie wirklich nicht? Wer sich nur einmal in seiner Nachbarschaft umsieht, wird feststellen, wie oft sich Schauriges ereignet, weil ein Ehepartner den anderen emotional verletzt, weil er oder sie sich jemand anderes zuwendet, sei es nun mit dem Körper oder mit dem Gefühl. Joe Wrights Verfremdung ist bei aller Kunstfertigkeit also doch eigentlich recht überflüssig. Die Distanz, die er etwa dadurch erzeugt, dass er das Publikum mit den Schauspielern bewusst durch Kulissen gehen lässt, um die nächste Szene zu erreichen, führt weniger zu Verdichtung als zu einer vordergründigen Schulstunde zum Thema Lug und Trug. Fleißig reflektiert er auch die Frage, wie sehr sich die Kunst des Schauspielens wohl abrackern muss, um Wirkung zu erzielen. Die Hauptrolle fällt dabei dem Kameramann zu, Seamus McGarvey. Er bringt die Bilder auf tatsächlich spektakuläre Art zum Tanzen und Gleiten und Schweben, dass es nur so eine Lust ist. Die Akteure wirken dabei allerdings, weil vernachlässigt, hier und da hölzern. Besonders fällt das in einer zentralen Szene auf: Anna und Vronsky verlieren sich in einem Tanz. Die Kamera taumelt dabei, stolpert, gleitet, verfängt sich in den erotischen Fallen, die Musik und Bewegung den Protagonisten stellen. Die aber werden beim Rauschen der Rüschen und Kreise der Kleider zu Statisten der wohlgefälligen Bildgestaltung. Was Dario Marianellis schwelgerische, ja, pompöse, Musik noch befördert. Unter dieser Wucht von Akkorden können Menschen nur noch Randfiguren sein. In der Szene danach hat Keira Knightley dann jedoch ihre wohl besten Momente in diesem Film, wenn sie zeigt, wie Anna verzweifelt versucht, die Kontrolle zu behalten und doch genau weiß, dass ihr dies nicht gelingen kann. Hier bietet sie herausragende Schauspielkunst, ansonsten hält sie sich tapfer. Schade, dass der Darsteller des Vronsky, Aaron Taylor-Johnson, ein guter Schauspieler, ein wirkliches Problem hat: er besitzt keinerlei aufregende erotische Ausstrahlung. Man fragt sich die ganze Zeit, wieso Anna ausgerechnet diesem Bubi verfällt. Klasse und Aura von Keira Knightley und den anderen Akteuren überlagern diesen Makel zum Glück weitestgehend.
Ab und an begeistert der Film mit der Weite des Landes. Durchatmen erlaubt. Einige Szenenfolgen spielen nämlich in der Natur. Dort wird dann die zeitlose Stärke des Dramas aus dem spätfeudalistischen Russland spürbar, dort lodern Gefühle auf, die den Zuschauer packen. Obwohl die Figur der Anna Karenina in diesen Szenenfolgen gar nicht im Zentrum steht, wird ihr Drang nach persönlicher Freiheit miterlebbar. Weniger Kunstwille wäre mal wieder mehr gewesen.
Peter Claus
Anna Karenina, von Joe Wright (England 2012)
Bilder: Constantin Film
- „Rosenmontag For Future“ Oder: Lachen schult das freie Denken - 9. Februar 2020
- Thilo Wydra: Hitchcock´s Blondes - 15. Dezember 2019
- Junges Schauspiel am D’haus: „Antigone“ von Sophokles - 10. November 2019
Schreibe einen Kommentar