Die Frage ist so alt wie die Menschheit. Muss ich etwas tun, etwas ändern, mich einmischen? Oder geht alles auch so seinen Gang? Die Frage begleitet uns jeden Tag, jede Stunde, jede Minute des Lebens, auch wenn wir das nur selten registrieren. Doch immer dann, wenn mal wieder irgendwo ein Krieg stattfindet, schwillt sie kategorisch zum Pro und Contra an: Eingreifen oder Zuschauen? Als ob das die Alternative wäre.
Moralisch ist die Frage nicht zu lösen. Wer eingreift, macht sich schuldig. Wer bloß zuschaut, aber auch. Die einen glauben, Entwicklungen beeinflussen zu können, die sich nicht beeinflussen lassen. Die anderen lassen geschehen, was vielleicht bei ein wenig Gegenwehr gar nicht geschehen müsste.
Philosophisch gesehen handelt es sich um den Gegensatz von „vita activa“ und „vita contemplativa“, zwei einander widersprechenden oder sich eher ergänzenden Idealen des erfüllten Lebens: das der Aktion und tätigen Hilfe auf der einen Seite, und das der Versenkung, der friedlichen Meditation auf der anderen. Falsch ist beides nicht. Vielleicht haben Intellektuelle deshalb das „eingreifende Denken“ erfunden, das die Vorzüge beider Seiten rhetorisch vereint, indem es aus dem Denken ein Handeln macht.
Politisch kann man sich so oder so blamieren, durch militärisches Eingreifen wie einst in Kuwait oder im Irak ebenso wie durch allzu zögerliches Abwarten und Beschwichtigen wie in Ruanda oder während des Bosnienkrieges. Afghanistan, um die Sache weiter zu verkomplizieren, liegt irgendwo dazwischen. Da haben die intervenierenden Mächte erfahren, dass auch ihre Eingreiftruppen über die Rolle von Zuschauern nicht hinauskommen – dass also Eingreifen und Zuschauen in der Praxis gar nicht so leicht auseinanderzuhalten sind wie in der Theorie.
Man muss nicht so weit gehen wie der Schriftsteller Ernst Jünger, um Zurückhaltung angemessen zu finden. In seiner Jugend im ersten Weltkrieg ein heroischer und kampflustiger Frontsoldat, neigte er in hohem Alter dazu, die Gewalteruptionen der Menschheitsgeschichte in eher geologischen Dimensionen wahrzunehmen wie Vulkanausbrüche. Politik, sagte der alte Mann, ist nichts anderes als „die Garnierung des Kraterrandes“. So gesehen sind auch die Eingreifer nichts anderes als blinde Zuschauer.
In Libyen, so steht zu befürchten, wäre das nicht viel anders. Jedes Eingreifen, wenn es erfolgreich sein soll, setzt ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit voraus, und die Entschlossenheit derjenigen, denen geholfen werden soll, sich auch helfen lassen zu wollen. Glaubwürdigkeit aber besitzen Europäer und Amerikaner in der arabischen Welt nicht. Jahrzehntelang haben sie die Diktatoren und Ölscheichs hofiert, sie mit Waffen versorgt und ihnen die Taschen mit Milliarden vollgestopft. Da ist es schwer, nun in der Rolle von Volksfreunden und Demokratieverfechtern aufzutreten. Das Eingreifen hat ja längst stattgefunden. Es sind Flugzeuge und Bomben aus westlichen Ländern, die Gaddafi gegen das eigene Volk einsetzt.
Text: Jörg Magenau
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