Blechschaden

Hitler hat also eine Delle abbekommen. Das hat er ganz bestimmt verdient, und jeder, der mit dem Hammer oder sonstigem schweren Gerät auf ihn einschlägt, darf dabei mit allem Verständnis der Nachgeborenen rechnen. Nun ist aber nicht überall Hitler drin, wo Hitler draufsteht. Er ist ja kein Teufel aus der Kiste. Die Hitler-Box im Untergeschoss des Reichstages ist vermutlich leer. Und es ist nicht besonders klug, auf Symbole einzuprügeln oder Hitlers Namen aus einer Großinstallation austreiben zu wollen, die sich mit der keineswegs dellenfreien Geschichte des deutschen Parlaments befasst.

Das „Archiv der Abgeordneten“ von Christian Boltanski ist eine so schlichte wie geniale Installation. Der französische Künstler hat eine gewaltige Menge von schuhschachtelgroßen Metallkästen aufgeschichtet, um sie mit den Namen all der Abgeordneten zu beschriften, die von 1919 bis 1999 gewählt worden sind – Adolf Hitler und 286 NSDAP-Reichstagsabgeordnete vom März 1933 inklusive. Die Kästen sind so angeordnet, dass sie einen langen, bedrückend wirkenden Korridor ergeben und so wirken, als wären sie das Fundament des Gebäudes, auf dem das heutige Parlament ruht. Denn so funktioniert Geschichte: Das was ist, beruht auf dem, was war. Dass dazu in Deutschland auch Hitler und die NSDAP gehören, ist unschön, aber kaum zu bezweifeln. Man muss es aushalten.

Nun ergab sich aber die Frage, ob die Delle in der Hitler-Box als Delle erhalten bleiben sollte. Als Ausdruck des gesunden Volksempfindens der Gegenwart, gewissermaßen. Und vielleicht noch versehen mit einer zusätzlichen Gedenktafel, wie es guter Brauch ist. Die Frage wurde abschlägig beschieden, Hitler ist mittlerweile weitgehend restauriert. Das ist schon deshalb zu begrüßen, weil ansonsten in Zukunft ja wohl auch Tritte gegen die Stresemann- oder die Rathenau-Box hätten toleriert werden müssen. Es sei denn, wir würden eine Jury installieren, die darüber entscheidet, wessen Box zur Beschädigung freigegeben wird und welche nicht. Dann hätten wir so eine Art Haut-den-Lukas im Keller des Parlaments zur risikofreien Aggressionsabfuhr.

Der Attacke gegen die Hitler-Box liegt jedoch ein grundlegendes Missverständnis zu Grunde: Das ist der aus der Psychoanalyse abgeleitete Glaube, Erinnern habe etwas mit Reinigung zu tun. Das deutsche Wort von der „Vergangenheitsbewältigung“ legte diesen Trugschluss nahe, als könne man sich durch fleißiges Erinnern am Ende selbst die Absolution erteilen. Dies aber lässt Boltanskis „Archiv der Abgeordneten“ nicht zu. Hier hat Hitler – ob mit oder ohne Delle – seinen festen Platz. Dass er ihn nicht als großen Führer, sondern als eine Schachtel unter vielen Schachteln zugewiesen bekommt, lässt sich aber auch als späte Rache des Parlamentarismus am Diktator deuten. Jetzt muss er sich einreihen in die Geschichte. Und wir müssen das ertragen.

Jörg Magenau