Männer in Frauenkleidern. Auf der Bühne und im Film ist das ein Stoff, aus dem kreischende Krach-Klamotten gezimmert werden, in der Regel schwache Kopien des Theaterrenners „Charleys Tante“, Lichtjahre entfernt von der Intelligenz der grandiosen Komödie „Some like it hot“, den scharfen Witz von „Tootsie“ nicht einmal streifend. Fern vom Komödiantischen kommen Männer in Frauenkleidern in Spielfilmen selten vor.
Das Thema Transsexualität wird – zumindest im europäischen und nordamerikanischen Kino – so gut wie gar nicht behandelt. Wenn, dann jedoch meist in schweren Dramen, die oftmals mit ungeheurer Härte von den mit Transsexualität verbundenen Problemen berichten. Diesbezüglich besonders beeindruckend war in den letzten Jahren „Boys Don’t Cry“ (uraufgeführt 1999), die auf Tatsachen beruhende Geschichte von Brandon Teena, einem jugendlichen Frau-zu-Mann-Transsexuellen, der wegen seiner Sexualität ermordet wurde. Heitere Gelassenheit im Umgang mit dem Thema, der Versuch, relativ nüchtern und doch publikumswirksam von transsexuellen Menschen zu erzählen, ist überaus selten. Mir fällt auf Anhieb nur der 1973 herausgekommene ZDF-Film „Im Reservat“ ein, in dem Wolfgang Kieling keinen eindeutig Transsexuellen spielte, aber einen Mann, der einen Großteil seines Lebens als Frau verbringt. Aber auch hier überwog letztlich das Dramatische.
Regisseurin Sarah-Judith Mettke beleuchtet Aspekte des Alltags Transsexueller in ihrem Spielfilm-Debüt „Transpapa“ mit sicherem Gespür für Publikumswirksamkeit. Dabei kommt sie ganz ohne Klischees aus. Zwei Menschen stehen im Zentrum: die pubertierende Maren (Luisa Sappelt) und deren Vater (Devid Striesow). Beide haben sich lange nicht gesehen. Die Mutter (Sandra Borgmann) hat der Tochter erzählt, dass ihr Papa, ein Künstler, weit weg, in Nepal, auf Selbstfindungstrip sei. Es stellt sich heraus, dass dies eine Lüge ist. In Wahrheit lebt der Mann jetzt als Frau und nennt sich Sophia. Maren macht sich auf die Reise. Sie will den Vater wieder finden, und lernen, einen ganz anderen Menschen zu akzeptieren.
Der Versuch der vorsichtigen Annäherung von Maren und Sophia provoziert viele komische und einige traurige Momente. Unverständnis, Verzweiflung, Hoffnung prallen aufeinander. Sehnsüchte nach Harmonie zerschellen an den Mauern der Realität. Kluger dramaturgischer Griff: Nicht auf Sophias Weg der Erkenntnis wird fokussiert, sondern auf Marens. Die Pubertät an sich ist ja schon eine Herausforderung. In dieser schwierigen Zeit auch noch akzeptieren zu müssen, dass ein Mensch den Mut zu derart radikalem Neu-Beginn hat, wie Sophia, ist eine Bürde, an der Jugendliche schwer zu tragen haben. Maren reagiert verständlicherweise zunächst mit Ablehnung und Unverständnis. Sophia aber gibt nicht auf und versucht mit handfestem Humor und großer Zärtlichkeit, Marens Blick für die Vielfalt der Lebensmöglichkeiten zu öffnen.
Sarah-Judith Mettke gelang mit ihrem Abschlussfilm des Regie-Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg eine gefühlvolle jedoch niemals sentimentale Ballade vom Wert solcher Tugenden wie Ehrlichkeit und Offenheit. Dabei steuert sie nicht schnurgerade auf ein rosarotes Happy End zu. Der Film lässt am Ende offen, wie sich die Beziehung von Maren und Sophia in der Zukunft gestalten kann. Das ist so klug wie realistisch gefilmt – und gespielt. Devid Striesow gestaltet Sophia als eine Persönlichkeit, die mit sich selbst nur schwer klar kommt. Er führt keinen Mann in Frauenkleidern vor, sondern zeigt eine Frau, die sich ihrer selbst unsicher ist, die erst noch versucht, die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Weiblichkeit zu erkunden. Devid Striesow agiert mit angenehmer Diskretion. Der Schauspieler, der schon mehrfach, etwa in „Yella“ mit einem intelligenten Darstellungsstil aufgefallen ist, zeigt hier seine bisher vielleicht reifste Leistung. Neben ihm besteht die jugendliche, zur Zeit der Dreharbeiten noch keine zwanzig Jahre alte Luisa Sappelt geradezu brillant. Auch bei ihr: keine Vordergründigkeiten, kein neckisches Jung-Mädchen-Gehabe. Die stärkste, einem wirklich ans Herz greifende Szene des Films haben Devid Striesow und Luisa Sappelt mit Horst Sachtleben. Er spielt Wolfgang. Der alte, recht kranke Mann hat Sophia in seinem Haus im Dorf in der Eifel aufgenommen. Maren kann die innige Zweisamkeit der Beiden nicht begreifen und vermutet – ganz platt – ein sexuelles Abhängigkeitsverhältnis. Wolfgang jedoch erklärt ihr mit sehr einfachen Worten seine Haltung, spricht dabei ohne vordergründige Verweise über Toleranz und Offenheit. Ein Moment ganz großen Kinos!
Je länger die Handlung dauert, umso mehr wird der im Tonfall angenehm leichte Film zur eindringlichen Erzählung von etwas, das alle, egal welcher sexuellen Ausrichtung, betrifft: von der Schwierigkeit, sich selbst zu finden und so zu akzeptieren, wie man ist. Als Zuschauer merkt man irgendwann, dass man sich kaum mehr darum schert, dass Sophia mal als Mann gelebt hat. Man schaut vielmehr in die Gesichter der Protagonisten, und man entdeckt sich selbst mit all seinen Zweifeln, Schwächen aber auch Stärken.
Peter Claus
Transpapa, von Sarah-Judith Mettke (Deutschland 2012)
Bilder: Bessser AlsEcht
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22. November 2012 um 19:47 Uhr
Warum ein Film, der nicht anerkennen will, dass eine transsexuelle Frau eben kein Mann ist, der „zur Frau wird“, sondern eine Frau, positiv zu werten ist, ist mir schleierhaft. Der Film stellt transsexuelle Frauen in dem Bild dar, dass Deutsche von transsexuellen Frauen haben: eben als Männer, die gerne Frau wären. Damit trifft der Streifen zwar den Trend der Zeit, der eben in Deutschland vorallem heisst: eine transsexuelle Frau ist ein Mann, der als Frau leben will, dockt sich aber doch an diese geheuchelt tolerant verpackte transphobe Grundhaltung an, die transsexuelle Menschen in Deutschland umgibt.
22. November 2012 um 23:18 Uhr
Liebe, lieber (?) Tuna Nord,
nein, so ist es nicht. Hier wird eben keine Frau gezeigt, die ein Mann ist, der eine Frau sein will, sondern eine Frau, die versucht, wie ich es geschrieben habe (Zitat: „Devid Striesow gestaltet Sophia als eine Persönlichkeit, die mit sich selbst nur schwer klar kommt. Er führt keinen Mann in Frauenkleidern vor, sondern zeigt eine Frau, die sich ihrer selbst unsicher ist, die erst noch versucht, die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Weiblichkeit zu erkunden.“), sich selbst kennen zu lernen. Der Film ist vielleicht vieles, „transphobe“ ist er nicht einen Wimpernschlag kurz.
Herzlich,
PC