Mads Mikkelsen, gehört seit seinem Auftritt als Schurke im James-Bond-Abenteuer „Casino Royale“ (2006) zu den bekanntesten europäischen Schauspielern, gefragt auch in Übersee. Trotzdem nimmt der Däne, der Ende des Jahres seinen 50. Geburtstag feiern kann, gern Angebote für Rollen in kleineren Produktionen in seiner Heimat oder den Nachbarländern an, wenn sie denn anspruchsvoll sind.
Für Autor und Regisseur Anders Thomas Jensen, ebenfalls Däne, hat Mads Mikkelsen schon mehrmals gearbeitet, zum Beispiel in der auch hierzulande gefeierten Satire „Adams Äpfel“ (2005). Jensens Markenzeichen ist schwarzer Humor mit Hintersinn. Die damit verbundenen Erwartungen erfüllt er auch dieses Mal mit einer überdrehten Farce, gespickt mit Versatzstücken des Horrorgenres: Zwei Brüder (Mads Mikkelsen und David Dencik) erfahren nach dem Tod des Vaters per Videobotschaft von dem nicht mehr lebenden Herrn, dass er nicht ihr leiblicher Vater war. Das Duo macht sich auf den Weg, um den wirklichen Erzeuger aufzuspüren. Die Reise führt sie auf die Insel Ork. Dort entpuppt sich ein Haufen Irrer als Familie der Brüder. Eine Familie mit einem dunklen Geheimnis. – Die Story ist voraussehbar. Was nicht stört. Denn die Aufmerksamkeit gilt einer Flut bizarrer Gefühle, schräger Assoziationen nach Möglichkeiten der so genannten Selbstverwirklichung, und den Untiefen des Seelenlebens. Wer sich darauf einlässt, fragt sich schließlich, ob er nicht noch ein paar Leichen im Keller hat, die es dringend zu entsorgen gilt.
Mads Mikkelsen ist der Star, der Film ist ganz auf ihn zugeschnitten. Aber er hat ihn nicht an sich gerissen. Alle haben schöne Spiel-Momente. Doch seine Interpretation des Elias’ ist das A und O. Sehr komödiantisch. Sicher wird es vielen so gehen, dass sie ihn erst einmal gar nicht erkennen. Kostüm und Maske und Körpersprache sind exzellent. Mikkelsen schlurft da als Mümmelmann rum, der Blick unterm wuseligen Lockenschopf wirkt von keinerlei Intelligenz getrübt, ein dicker Schnauzer kann die (digital angebrachte) Hasenscharte nicht überdecken. Elias sieht arg ramponiert aus. Dazu kommt sein Wesen: Der alte Sack steckt psychologisch mitten in der Pubertät. Sein Hobby: onanieren. Was keineswegs schockierend anmutet.
Der Film bietet ganz andere Schrecken: Auf der Insel Ork scheinen die üblichen Regeln der menschlichen Zivilisation westeuropäischer Prägung nicht zu gelten. Die Szenen auf dem Anwesen der Ausgestoßenen sind von besonderer Schärfe für Zuschauer, die wissen, wo gedreht worden ist. Nämlich in Deutschland, nahe Berlin, in dem verfallenen Lungensanatorium von Beelitz. Wer’s weiß, denkt sofort an die Nazizeit. Dort wurden damals nämlich im Namen von Wissenschaft und Fortschritt widerwärtige Verbrechen verübt, wurde die Kunst der Medizin pervertiert. Man gerät als Zuschauer aber auch ohne dieses Vorwissen ins Grübeln, obwohl der Film erst einmal gar nicht grüblerisch wirkt, sondern geradezu leichtfüßig, überdreht, auch mal albern. Aber: Hier wird wirklich mit Schrecklichem Scherz getrieben. Der wirkungsvoll ist, weil die Figuren, bei aller Überzeichnung, nie denunziert werden, zwar Karikaturen sind, aber durchaus Charakter zeigen. Der Film reflektiert ein zutiefst pessimistisches Menschenbild: der homo sapiens ist die am weitesten entwickelte Bestie, unentwegt darauf aus, andere klein zu halten oder gar zu vernichten.
Wer nicht frisst, wird gefressen. Also schärft jede und jeder seine Zähne. – Wahrlich: eine schwarze Komödie mit Biss.
Peter Claus
Fotos: DCM
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