Am 24. Mai jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag der Schauspielerin, Schriftstellerin und Malerin Lilli Palmer. Die vor fast 30 Jahren verstorbene Berlinerin gehört zu den wenigen Deutschen, denen eine wirkliche Weltkarriere gelang. Der Titel ihrer 1974 erschienen Memoiren, „Dicke Lilli – Gutes Kind“, wurde fast zu einem geflügelten Wort. Zum 100. Geburtstag von Lilli Palmer ist im Aufbau-Verlag die Biografie mit dem Titel „Lilli Palmer – Die preußische Diva“ herausgekommen.
Kaum verwunderlich: Fans von Lilli Palmer werden das Buch verschlingen. Denn natürlich wird viel Privates enthüllt. Der Sohn von Lilli Palmer und Rex Harrison, ihrem ersten Ehemann, bekannt als Professor Higgins in der Filmversion von MY FAIR LADY, hat der Autorin Heike Specht großherzig Einblick in das Leben seiner Mutter gewährt. Das wird in vielen Facetten reflektiert, und es wird, selbstverständlich, insbesondere ausführlich erinnert an große Erfolge der Schauspielerin Lilli Palmer, an „ANASTASIA. DIE LETZTE ZARENTOCHTER, „IM GEHEIMDIENST, TEUFEL IN SEIDE, „JULIA, DU BIST ZAUBERHAFT, und, klar, FEUERWERK, jene Film-Operette, in der sie das Lied „O, mein Papa“ geträllert hat, den Film, mit dem sie 1954 ihre Karriere in Deutschland startete.
Heike Specht nutzt die Biografie Lilli Palmers, um exemplarisch Zeitgeschichte zu beleuchten: Flucht der Jüdin 1933 aus Deutschland; Sich-Durchschlagen-Müssen im Exil in Paris und London; Hollywood; die Rückkehr nach Berlin, um hier eine enorme zweite Karriere als international gefeierter deutscher Filmstar zu starten; ihr Beharren darauf, 1973, in der DDR, in der Thomas-Mann-Verfilmung LOTTE IN WEIMAR die Hauptrolle zu spielen, was ihr im Westen Deutschlands einigen Schimpf bescherte; das alles andere als unbeschwerte Altern an der Seite ihres zweiten Mannes, des Schauspielers Carlos Thompson; schließlich der Krebstod.
Aufschlussreich sind die Ergänzungen bzw. Korrekturen des Selbstbildnisses, das Lilli Palmer 1974 in ihrer Autobiographie „Dicke Lilli – Gutes Kind“ von sich gezeichnet hat. Sie ging mit viel Witz und noch mehr Selbstironie über alle Untiefen hinweg, verschwieg viel Schlimmes, etwa die Ermordung von nahen Verwandten in einem Konzentrationslager, spielte einiges, wie erniedrigende Erfahrungen als Emigrantin, mit lockeren Pointen herunter. Die neue Biografie nun zeigt mehr und auch viel Problematisches. Dabei glorifiziert die Autorin Lilli Palmer nicht. Das Buch zeichnet sich durch eine kritische Sicht aus. So registriert man beispielsweise mit Schrecken, dass Lilli Palmer, die doch selbst Vertreibung und Ausgrenzung durchlitten hatte, in der McCarthy-Ära, in der Zeit der Hexenjagd in Hollywood, niemandem half, nicht einmal ihrem Kollegen John Garfield, mit dem sie 1947 JAGD NACH MILLIONEN gedreht hatte, einen ihrer größten Filmerfolge.
Spannend sind auch die Ausführungen zu Lilli Palmers Dreh von LOTTE IN WEIMAR bei der DEFA. Monatelang hatte sie um die Rolle gekämpft, in Interviews in Ost und West von der Arbeit geschwärmt, um dann am Ende in den bundesdeutschen Medien doch ihre Distanz zur DDR zu betonen. Heike Specht legt nahe, dass Lilli Palmer damit bewusst auf die Kritik im Westen reagiert hat, überdeutlich machen wollte, dass sie natürlich keine Sympathien für den Osten hegte. – Das Buch ist flott in der Sprache, bleibt aber nicht oberflächlich, punktet mit Dezenz. Selbst „Skandalöses“ wird ohne kreischende Effekthascherei reflektiert. Eine kluge kritische Biografie also. Lilli Palmer wird als Schauspielerin, als Romanautorin, als Malerin gewürdigt, und als Mensch. Dabei besticht vor allem die Betrachtung der Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Peter Claus
Heike Specht:
Lilli Palmer. Die preußische Diva: Die Biographie
352 Seiten, 22,99 Euro
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