Die Mafia ist ein schwerwiegendes Problem der italienischen Gesellschaft; „La piovra“, der Krake, diese Mischung aus „familiärer“ Vernetzung von anarchischer Gegenmacht, politischer Korruption und Gewalt greift in alle Lebensbereiche und lähmt das öffentliche Leben. So hat es einen durchaus befreienden Aspekt, wenn das Thema einmal mit herzergreifender Albernheit behandelt wird: Quietschbunt, mit der lärmenden Musik der siebziger Jahre erzählt die aus Mailand stammende, aber in Palermo lebende Regisseurin Roberta Torre in ihrem Spielfilm-Debüt, einer schon fast hysterisch geschnittenen, gekonnt roh (von Daniele Cipri) fotografierten Mixtur aus Fernsehshow, Dokumentation, Videoclip, Fake-Interviews und wenigen wirklichen Kinobildern, etwas von der komischen Seite dieser vielleicht doch nicht ganz so ehrenwerten Gesellschaft: ein „Mafia-Musical“, bei dem die Ermordung eines lokalen kleinen Paten, der in der Maske eines ehrbaren Metzgers sein Stadtviertel in Palermo beherrschte, Anlass für allerlei Rückblenden, „Nummern“ und Bild-Assoziationen bietet. Die Reaktionen von Kritik und Publikum in Italien waren gespalten; die einen sahen Tano da Morire als amüsanten filmischen Befreiungsschlag gegen die Mafia, deren Wirkung nicht zuletzt von ihrem eigenen Mythos bestimmt wird, die anderen hielten den Film für eine Übung in verharmlosender   Geschmacklosigkeit angesichts der Morde, die auch die kleineren Erfolge im Kampf gegen den Kraken wieder zunichte machen. Ganz zu verstehen ist der Erfolg von Tano da Morire und die Aufregung um den Film außerhalb Italiens wohl kaum.

Nach der Ermordung des neapolitanischen Mafia-Paten und Metzgers Tano Guarassi kann seine Schwester endlich heiraten, Tanos „Adjutant“ Caruso (der „Erzähler“ des Films) denkt nur an das Geld, das er ihm geliehen hat, die Familie ist eher erleichtert. Oh welch ein Geschrei um den Toten, und doch sind beinahe alle froh, ihn loszusein. Das Gezänk der zu Übergewicht neigenden Schwestern begleitet uns, in die Erinnerungen an den schmalzfrisurigen Metzger, der alle Männer verprügeln ließ, die sich seinen Schwestern näherten und sich als „Pate der Armen“ feiern ließ. In grobstkörnigem Schwarzweiß in der Art alter Familienfilme erfahren wir von den Verhältnissen in Tanos Jugend (und von seinem Traum eines Hühnerballetts, das Dr. Gonzo um den Verstand gebracht hätte); Tanos Initation in der „Familie“ in einem schaurigen Disco-Schuppen wird in den Bonbonfarben einer alten Fernsehshow wiedergegeben, und seine Gewalt im Viertel erscheint als bewusst ungelenk choreographierte Reminiszenz an Bud-Spencer-Filme.

Einige der Übergänge von der Musical-Bühne mit ihren windschief-kitschigen Palermo-Klischees zum Hinterhof-Realismus einer Reality Soap hat die Regisseurin höchst geschickt angelegt, andere (Überblendung mit einer Kreiselscheibe) sind steinerweichend naiv. Das eigentliche Vergnügen des Films indes entsteht aus einer Authentizität zweiten Grades: Laien-Darsteller aus Palermo spielen ihre eigenen skurrilen Mafia-Träume. Das Kapital des Films sind denn auch die Schauspieler und vor allem Schauspielerinnen, Frauen aus dem Vucciria genannten Stadtviertel, die mit größtem Vergnügen ihre Körper, ihre Sprache mit einer höchst eigenen Musikalität, sogar ihre Kleiderträume in den Film einbringen. Die Tanzszenen in der Metzgerei schließlich, in denen Würste und gerupfte Hühnchen als Mikrofone dienen, aber auch als Hintergrundballett tanzen, sind von erlesener Geschmacklosigkeit. John Waters hätte seine Freude.

Roberta Torre hat sich so viel Mühe gegeben, grell und schräg zu sein, daß sie vergessen hat, auf Rhythmus und Dramaturgie zu achten. Sie setzt noch dort Verfremdungseffekte ein, wo es wirklich kaum noch etwas zu verfremden gibt – noch eine Verzerrung, noch einen Kamerataumel, noch einmal die Verwandlung der Szene in eine Geisterbahn. Sie will einfach um jeden Preis schnell und heftig sein. Der Neapolitaner Nino D’Angelo, mit dem die Regisseurin vordem das Video „La vita a volo D’Angelo“ gedreht hat, trägt mit seinem überproduzierten Disco-Trash, den elektronisch verschärften Samba- und Bossa Nova-Klängen, sowie einem in der Tat höchst amüsanten „U Tano-Rap“ und den Folklore-Schlagern dazu bei, dass Tano da Morire ein Film ist, der zwar nie auch nur einen Augenblick zur Ruhe kommt, aber auch eine Menge Leerlauf aufweist. Worauf das alles eigentlich hinaus will, ob überhaupt hinter dem Spaß mit den Mafia-Mythen, dem Macho-Gehabe, der kleinen Verschwörung der Frauen, der Erinnerung an die abgefahrendste Epoche der italienischen Pop-Kultur irgend etwas anderes als das Vergnügen der Blasphemie selber steckt, ist kaum zu sagen.

In Italien war der Film ein Politikum, seit Fabrizio Comencini, Sekretär der „Liga Veneta“, ihn bei seiner Erstaufführung 1997 in Venedig ebenso tückisch wie durchschaubar wegen seiner „heiteren Darstellung der Sizilianer“ lobte. „In der italienischen Kultur ist die sprachliche Differenz ein Wert, von den Komödien Goldonis bis zu den Filmen von Massimo Troisi“. Und überdies reproduzierte Comencini den Mythos von einer einst guten, weil „gegen den Einheitsstaat“ gerichteten Mafia. Roberta Torre hat solchen Dingen mit ihrem schrägen Folklorismus gewiß ein wenig Vorschub geleistet. Einer in dem Fake-Interview nach Tanos Ermordung sagt es denn auch direkt in die Kamera: „Wenn man die wirkliche Mafia sehen will, muss man sich eine Fahrkarte kaufen und nach Rom fahren“.

Was sich also zunächst anlassen mag wie ein frivoles Spiel mit einem Mythos, als Befreiung von einem inneren gesellschaftlichen Druck, wurde im Sinne der Theorie von der „kulturellen Differenz“ in der Neuen Rechten benutzt, führte in Sizilien selbst zu öffentlichen Attacken gegen Bürgermeister Orlando wegen der finanziellen Hilfe für einen „denunziatorischen Film“, und die Schwestern von Falcone und Borsellino erklärten öffentlich, die „Zeit sei noch nicht gekommen, über die Cosa Nostra zu lachen“. Tatsächlich ist der Vorschlag des Films, die Mafia „nicht mehr als heilige Sache, etwas Göttliches“ (Roberta Torre) anzusehen, in sich durchaus zweischneidig. Als Folklore und Pop-Relikt gesehen verliert „der Krake“ so sehr von seiner Bedrohung, dass er nur noch als fast liebenswerter Teil der südlichen Unterentwicklung erscheint. Beim Ansehen dieses schrillen, so vergnüglichen wie harmlosen Laienspiels mag der Zuschauer auf unserer Seite der Alpen freilich argwöhnen, die hitzigen Debatten hätten sich da entschieden am falschen Objekt entzündet.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film