„Robocop“ war der erste echte amerikanische Film des Regisseurs Paul Verhoeven. Nach seinen Erinnerungen waren es die Produzenten, die behaupteten, man könne einen amerikanischen Film nur drehen, wenn man auch in Amerika lebe. So war dieser Film, Science Fiction hin, Action her, für den Regisseur und für seinen Kameramann Jost Vacano auch eine Gelegenheit, ihre Eindrücke von diesem Land am Ende der achtziger Jahre wiederzugeben. Das war, zweifellos, eine Mischung aus Faszination und Abscheu, und in „Robocop“ steckt so sehr wie eine Liebeserklärung auch eine harrsche, ziemlich gut verpackte Gesellschaftskritik. Verhoeven und Vacano sahen möglicherweise Dinge, an die sich die Filmemacher aus Hollywood selbst längst gewöhnt hatten. Man kann also „Robocop“, neben vielem anderen, als visuelle Verarbeitung eines Kulturschocks ansehen.

Da waren die Städte, die an einem Ende aus Glanz und Glamour in den Himmel wuchsen und am anderen Ende verwahrlosten und sich in ein neues Niemandsland verwandelten. Da war eine offensichtlich und ungeniert wachsende Macht von Konzernen, die sich in Politik, Militär und schließlich die Polizei einkauften und längst schon nicht mehr demokratisch zu kontrollieren war. Da waren die hemmungslosen Karrieristen der neuen Ökonomie, letzte, destruktive Exemplare des amerikanischen Selfmade Man, aber da waren auch gleichsam pragmatische Idealisten, welche sich durchaus als Nachfahren der Pioniere und ihrer Gesetzeshüter sahen. Da war eine allgegenwärtige Gewalt und Korruption in der Stadt Detroit, Motor City, in der die Straßen zum schieren Schlachtfeld geworden war. Und da waren zugleich Orte unvermuteter Schönheit und finsterer Romantik.Und da war ein Fernsehen, das mit seiner Mischung aus Katastrophenphantasie, aufgesetzter guter Laune und Werbefilmen über neue Autos wie neue Körper durch plastische Chirurgie einen Schleier über die unerträgliche Wirklichkeit legt und die Welt in einen endlosen Bildersturm zerhackt. Würde man „Robocop“ als Dokumentarfilm ansehen, so wäre man verdammt nahe an einem Bericht über ein unbewohnbares Land.

Aber „Robocop“ ist natürlich noch etwas ganz anderes. Ein Essay über eine neue Lebensform im Gewand eines spektakulären Science Fiction Films, über transhumane oder posthumane Mischformen von Mensch und Maschine, Fleisch und Stahl, Natur und digitaler Technologie. Unnütz zu sagen, dass wir nun, zwanzig Jahre später, der Verwirklichung dieses Traumes oder Alptraumes gute Stücke näher gekommen sind.

Als der Film „RoboCop“ entstand, hatte sich das Genre der Science Fiction unter dem Eindruck des gewaltigen Erfolgs von „Star Wars“ als universales Weltraummärchen stark verändert. Und Präsident Ronald Reagan hatte, als hätte es noch eines Beweises der engen Beziehung von Populärer Kultur und Politik bedurft, sein Programm zur Militarisierung des Weltraums „Star Wars“ getauft. (Übrigens ließ es sich Verhoeven nicht nehmen, eine satirischen Schlenker in der Nachrichtensendung über den Besuch des Präsidenten auf der Star Wars Peace Plattform im All zu bringen, bei dem dieser Präsident ins Straucheln gekommen sei.)

Eine Antwort auf die Auflösung des kritischen Potentials der Science Fiction war eine Art von Filmen, der man später die Bezeichnung „Science Fiction noir“ gab. Eine Form filmischer Zukunftsvision mit eher pessimistischem Grundton und auch insofern dem klassischen film noir verwandt, als es nicht um strahlende Helden oder Rollenmodelle der Zukunftstechnologie ging, sondern um gebrochene Charaktere, Menschen, die durchaus in der Lage waren, in ihre und die Abgründe der Gesellschaft zu sehen, die aber kaum noch Herren ihres eigenen und des Schicksals ihrer Kultur waren. Die Zukunft ist in diesen Filmen schon eine Art Vergangenheit, es geht nicht nur um die eine zentrale Katastrophe, wie wir sie aus den Klassikern des Genres kennen, sondern es geht um katastrophale Zustände, die sich nur durch das Ausmaß von jenen unterscheiden, die man beobachten kann, wenn man das Kino verlässt.

Die Science Fiction noir lässt sich wohl am besten anhand einiger Grund-Elemente beschreiben, die ansonsten auch sehr unterschiedliche Filme miteinander verbinden.

1. Die Handlung spielt nicht, wie bei „Star Wars“ in einer Un-Zeit – „Es war einmal in ferner Zukunft“, sondern in nahen Verhältnissen, in denen wir die eigenen noch gut erkennen können. Insbesondere ist Science Fiction noir ein Genre das vom Kapitalismus und seinen bösartigen Aspekten nicht schweigt, man kann solche Filme, Ridley Scotts „Alien“ und „Blade Runner“, die „Terminator“-Serie oder eben auch Verhoevens „RoboCop“ oder „Total Recall“ durchaus unter einem Kapitalismuskritischen Blick sehen, und das machte die Filme in den achtziger und neunziger Jahren besonders bei der kritischen Intelligenz beliebt. Wie sich die Gangster in „RoboCop“ über das Geld unterhalten, wie man es stehlen aber noch viel besser im System selber machen kann, das hätte ohne weiteres der mittlere Bert Brecht ins Drehbuch schreiben können.

2. Science Fiction noir verabschiedet sich von der Vorstellung, die Zukunft müsse, was immer sie an Problemen bringt, hell, sauber, technologisch perfekt sein. Science Fiction noir zeigt, dass auch Technologie der Zukunft heftige Gebrauchsspuren aufweist, dass sie verbeult und verdreckt sein kann, Der Detailblick auf die Füße des Roboters am Anfang von „RoboCop“, eine ausgesprochen raffinierte Bildfolge, nebenbei, zeigt ein Stück Metall, das winzige Spuren des Misslingens, kleine Unebenheiten des Materials aufweist, und mit diesem Detail-Bild im Kopf übertragen wir dann solche Authentizität auf das ganze Modell, das sich ja dann doch tricktechnisch gewohnt bewegt. Diese visuelle Strategie, sehr authentische, schmutzig-realistische Detailwahrnehmung auf das ganze zu übertragen, setzt sich fort: Filme wie „Robocop“ bringen einen völlig ungewohnten dokumentarischen Blick in ein Genre, das vordem eher wirkte als ginge es darum, Spielzeugwelten zu animieren. Und vor allem zeigt Science Fiction noir, dass die Zukunft nichts mit einer sozialen Gleichheit, nichts mit Menschheitsprojekten sondern vor allem mit Gewinnern und Verlierern zu tun hat.

3. Vorherrschende Farbe der Science Fiction noir ist das düstere blau, das sich in den verschiedensten Nuancen vom Schwarz der Stadt und des Kosmos abhebt. Und während der klassische Science Fiction Film gleichsam alles trocken und konturiert sehen wollte, herrscht nun eine Vorliebe für das Flüssige und buchstäblich Verschwommene. Nur zum Beispiel in der Szene wo den Geschäftsleuten von OCP der neue Maschinenpolizist vorgestellt wird und alle Anzüge und alle Ausstattungen in diesem Ton-in-Ton Graublau changieren. Wie im klassischen film noir gibt es unterschiedliche Lichtquellen, von denen einige nur zu demonstrieren scheinen, dass sie gegen die große Finsternis der Stadt oder eben des Kosmos nicht wirklich ankommen. Helligkeit und Dunkelheit haben nicht unbedingt rationale, wohl aber moralische Beziehungen miteinander. Die Personen wechseln, wiederum durchaus in Anlehnung an den klassischen film noir und natürlich parallel zum so genannten neo noir, oft zwischen extremen Lichträumen, ebenso wie die unsere ist ihre Wahrnehmung gebrochen. Wir haben Schwierigkeiten, Menschen klar zu sehen, die Schwierigkeiten beim Klar-Sehen haben.

4.  Science Fiction noir handelt nicht von Menschen, die Supermaschinen bedienen, sondern von einer Dialektik zwischen Mensch und Maschine; Filme wie „Robocop“ denken, jenseits ihrer Action-Elemten über Transhumane und Posthumane Lebensformen nach, über Androiden, über Untote, über autonome Computer und vor allem über Mensch-Maschine-Einheiten, aber sie tun dies nicht nur in einer diskursiven Art, wie es die klassische Science Fiction tat und wie wir es nach wie vor, sagen wir, bei „Star Trek“-Filmen schätzen, sondern sie zeigen, dass diese Selbstüberschreitung des Menschen ihre ganz direkten Folgen auch für die Seele und für den Körper hat. Man kann sagen: Science Fiction noir spricht nicht mehr nur von Problemen, sie spricht auch von den Leiden, den Schmerzen, der Tragödie der neuen Verschmelzungen.  Es geht nicht nur um die Zukunft der Gesellschaft und der Ideen, es auch um die Zukunft des Körpers. Und auch das bedeutet

5. Science Fiction noir ist ein ausgesprochen visuelles Genre, und damit sind nicht nur die Attraktion der Special Effects und der digitalen Make Believe gemeint, sondern vor allem die Kreation einer glaubwürdigen Atmosphäre. Es geht hier nicht mehr um ein Modell der Zukunft, es geht tatsächlich darum, Zukunft zu empfinden. Zur Erzeugung einer glaubwürdigen Atmosphäre gehört dabei, dass die Übergänge zwischen dem Realistischen und dem Phantastischen zugleich fließend sind aber doch auch von ihrer Schock-Wirkung nichts verlieren. Anders nämlich als in der klassischen Science Fiction sind die „things to come“ hier weniger beiläufig vorausgesetzt, sie erklären sich selbst als problematische Innovationen, sie übersteigen schon in ihrer Entstehung die gesellschaftliche und technische Kontrolle, was sehr verwandt den literarischen Visionen von sagen wir Philip K. Dick oder Robert Sheckley ist. In Science Fiction noir Filmen ist das Bild keine Illustration, sondern die visuelle Konzeption ist integraler Bestandteil der Story.

6. Um es etwas vereinfacht auszudrücken: Science Fiction Noir hat eine so große Vorliebe für die Nacht wie der film noir sie hat. Und so gibt es auch in Robocop ein paar wunderschöne Nacht-Bilder voll düsterer Romantik; Edward Hopper hätte hier und da seine Freude. Diese Schönheit entfaltet sich in wenigen Augenblicken der Ruhe, am ehesten dort, wo die Menschen mehr oder weniger ihre Stadt verlassen zu haben scheinen und für kurze Zeit eine melancholische Harmonie der Dinge herrscht. Diese kurzen Augenblicke der Schönheit sind umso kostbarer, da wir schnell daran gewöhnt sind, dass, sobald die Menschen wieder auftauchen das große Kaputtmachen weiter geht.

Erinnern wir uns an den Ur-Sprung der Kinematografie: Da gab es die Tendenz Lumière, den Versuch, die äußere Wirklichkeit so genau und umfassend abzubilden wie möglich, die Wirklichkeit mit den Mitteln des Films noch besser zu erkennen als innerhalb der Wirklichkeit selber möglich ist. Und da gab es die Tendenz Méliès, diese zauberhaften Reisen ins Unmögliche, die Herstellung einer zweiten Wirklichkeit mit den Mitteln des Films, die sich über alle Gesetze und Gewohnheiten hinwegsetzt. Wenn man Science Fiction noir noch einmal anhand dieser Modelle charakterisieren wollte, dann hieße das wohl: Man versucht Elemente, die eigentlich der Tendenz Méliès zugehören, so wiederzugeben, als seien es Elemente der Tendenz Lumière. Es ist wohl unnütz zu betonen, dass ein solches Vorgehen mindestens so viel Ansprüche wie an Drehbuch und Regie an die Kamera-Arbeit stellt.

Für einen Zuschauer stellt sich ja, bewusst oder doch meistens eher unbewusst, stets die Frage, wer oder was ist eigentlich die Kamera? Welchen Blick repräsentiert sie, welche Funktion hat sie in der Grammatik der Erzählung. Sieht da ein Ich oder ein Wir, sieht man von außen oder von innen, objektiv oder subjektiv, und was hat es zu bedeuten, wenn das eine ins andere übergeht?

Wir können Jost Vacanos Kamera in „Robocop“ vielleicht am treffendsten als freies Subjekt charakterisieren. Sie ist mit einer ungeheuren Verve unterwegs in dieser Zukunftswelt, zugleich, ganz so wie der Held der Geschichte, Jäger und Gejagter. Und wie bei diesem Helden auch gibt es wenige, aber sehr signifikante Augenblicke des Innehaltens, der Erstarrung. Vielleicht könnte man von einer inneren Tragik in dieser Gestaltung sprechen: Die Kamera ist gleichsam ein Verwandter der Robocop, auch in ihren Bewegungen mischen sich Menschliche und Technologische Wahrnehmung, mischt sich Gewalttätigkeit und die Sehnsucht, sie zu überwinden. Aber diese Kamera ist nicht in der Lage, wie es die Kamera in unseren traditionellen Helden-Filmen macht, sozusagen dem Protagonisten zu helfen, ihm gleichsam optisch den Weg zur Lösung und zur Erlösung zu bereiten. Hier muss die Kamera, und eben das ist ein Teil des Realismus in der Erzählung, den Helden immer wieder seinem Schicksal überlassen. So nahe sie ihm ist, sie wird weder Verbündeter noch schafft sie eine reine Identifikation. Und schon damit überträgt sich, noch vor aller Handlung und vor allen Dialogen, die Kälte und die Brutalität dieser Welt auf den Zuschauer, die ja, wie gesagt, der unseren verdammt ähnlich ist.

Trotzdem ist die Kamera in dieser Situation alles andere als flüchtig und TV-Feature-dokumentarisch. Wenn man den Film mehrfach ansieht, ist man überrascht von der autonomen Komposition vieler Einstellungen. Wenn in diesen Bildern nämlich nicht so viel kaputt wäre, wenn nicht dauernd Menschen und Maschinen einander jede mögliche Verletzung antäten, wenn nicht so viele durch und durch korrupte und feige Gestalten durchs Bild liefen, dann, ja dann müsste man ganz einfach sagen, dass wir uns in „schönen“ Bildern bewegen würden, in Bildern, die eine Harmonie und Konzentration ausstrahlen, die den Menschen selber schon vollkommen abhanden gekommen ist. So ist übrigens unnütz zu sagen, dass die Menschen in „Robocop“ so gut wie keinen Blick für ihre Umwelt haben, wenn es nicht darum geht, den sozialen und maschinellen Kampfplatz zu vermessen.

So blickt diese Kamera in eine Welt, die sie auf ungemein drastische Weise erfährt, die sie aber nicht vollständig erklären kann. Es ist eine Welt, in der vor allem das Prinzip der Zerstörung zu herrschen scheint. Und diese Zerstörung, vor allem die Zerstörung des Menschen und der Menschlichkeit, zeigt der Film manchenorts so drastisch, dass die meisten, die ihn im Fernsehen und auf DVD sehen, nur eine deutlich gekürzte, um etliche Gewaltszenen beschnittene Fassung kennen. Und auch hier geht es nicht nur darum, dass der Film diese Gewalt zeigt, sondern vor allem darum, wie er das tut.

Denn worum es in der Erzählung geht, das ist ja nicht die Lust an der Zerstörung allein, dieses guilty pleasure, die jeder Kinozuschauer in verschiedener Ausformung kennt, sondern es geht um das Empfinden, das auf der anderen Seite steht: eine fast schmerzhaft spürbare Hilflosigkeit.

Und noch ein anderes scheint mir genau durch diese überlegte Bewegung und Position der Kamera ausgedrückt: In allen affirmativen Geschichten geht es um die Menschwerdung eines maschinisierten Wesens, eine Art umgedrehter Pinocchio- und Pygmalion-Mythos. Der Skandal von „RoboCop“ besteht indes darin, dass dieser posthumane Wesen in Wahrheit nicht wieder reiner Mensch werden kann; der Cyborg hat zwar seine menschliche Seite wieder entdeckt, mit all den Schmerzen, die das bedeutet, aber die Kamera weiß besser als es das Narrativ tut, und vor allem besser als die Schlussszene, dass es ein einfaches Zurück nicht mehr gibt.

Übrigens scheinen mir diese beiden Dinge für alle Filme von Verhoeven und Vacano bestimmend zu sein: Die Erfahrung der Ohnmacht gegenüber gesellschaftlichen Prozessen, die ein ungeheures zerstörerisches Potential entwickeln, und die Erfahrung eines Geschehens, das nicht rückgängig zu machen ist. Dies macht die ungeheure Unruhe der Bildgestaltung aus: Es gibt die Verletzung, aber kein Ausweichen vor der Wirklichkeit.

Man könnte also sogar behaupten: In diesen Filmen, und ganz besonders in „Robocop“ wird ein neuer Kinoblick konstruiert. Übrigens einer, der kein Wunder, von einer eher konservativen Warte aus als zynisch oder gar als nihilistisch missverstanden wurde. In einem Film wie diesem weigert sich die Kamera auch dann wegzusehen, wenn das, was es zu sehen gibt, obszöne und grotesk ist. Man kann das, gewiss, auch als kalkuliertes Spiel mit Tabu- und Zensurgrenzen betrachten. Aber vielleicht steckt da auch eine ganz andere Erzählstrategie dahinter.

Der Unterschied zwischen dem posthumanen Gewaltwesen namens Robocop und seiner Umwelt liegt darin, dass er die Gewalt nicht als Spiel betrachtet, schließlich erlebt er ja am eigenen Körper das Gewaltverhältnis von Mensch und Maschine. Er ist daher gegen die Abstraktion gefeit, die das Töten so leicht macht, weil ja Maschinen zwischen dem einen und dem anderen Mensch arbeiten, Zerstörungsmaschinen. Der Mensch muss Maschine werden, um seinem Gebrauch der Maschine zu misstrauen, und diese Dialektik nimmt auch die Maschine des Films, die machina di presa, die Kamera auf.

Robocop ist überdies eine Darstellung einer hybriden Welt. Es geht darum, dass das künstliche und synthetische, die Simulation und die Kulisse, in diesem Film nicht als schlechter Ersatz für die Wirklichkeit auftreten wollen, ganz im Gegenteil: Es geht um eine Gesellschaft, die selber nicht mehr weiß, wo die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit, zwischen Comic-Strip-Design und Straßenschmutz, zwischen Videogame und Karriere verlaufen. Heute, zwanzig Jahre später, mögen uns Teile unserer Realität erscheinen, als wären sie schlechte Kopien der Welt von Robocop. Mit dem immer wieder zitierten Gewalt-Spiel „Nukem – das Spiel für die ganze Familie“, mit den abstrusen Fernsehnachrichten, die wie eine Karikatur der Susan Sontagschen „Katastrophenphantasie“ wirken, lässt der Film immerhin eine Deutung zu: Diese Mischung aus endloser Gewalt und Hilflosigkeit liegt nicht in der Natur der Menschen, sondern sie wird gesellschaftlich produziert.

Bei alledem, und auch das stellt Anforderungen an die visuelle gestaltung, ist „Robocop“ immer auch eine Komödie, auch wenn der Humor ganz bewusst darauf abzielt, die Regeln des guten Geschmacks zu überschreiten. Wenn es um das Opfer eines fehlgeschlagenen Versuchs mit transhumanen Lebensformen geht, von dem buchstäblich nur noch Fleisch- und Blutreste übrig bleiben, und jemand fordert: „Holt einen Arzt“, dann ist das eben nicht nur ein makabrer Scherz sondern bezeichnet, was die Menschen in ihrer Welt hir auszeichnet: „Unangemessenes Verhalten“. Die Kamera in „Robocop“ dokumentiert und vermittelt sozusagen als lebendes Objekt, eben genau das: Unangemessenes Verhalten der Menschen in der selbst geschaffenen Umwelt.

Paul Verhoeven ist ein materialistischer Filmemacher. Das heißt, er glaubt nicht an die Natur des Menschen, er glaubt nicht an den Mythos, und er glaubt wohl nicht an Transzendenz. So überträgt er seinen Kameraleuten, Jost Vacano vor allem, dem er, glaube ich, nein, eben nicht blind sondern sehend vertraut, die Aufgabe, mit einer gewissen Schamlosigkeit, jedenfalls mit Unerschrockenheit, gesellschaftliche Beziehungen, Begehren, Angst, Gewalt, in ihrem Funktionieren zu zeigen.

Während die klassische Science Fiction den Weltraum gern als new frontier betrachtet und, wie wir aus Star Trek wissen, die unendlichen Weiten des Alls ein wenig so sieht wie der Cowboy die Weiten der Prärie, hat die Science Fiction noir, wie der klassische film noir, die Stadt in den Fokus genommen, und während der klassische SF-Film vom Western eine eher horizontale Wahrnehmung übernahm, selbst noch in Kubricks grandiosem „2001“, übernimmt Science Fiction noir eher eine vertikale Wahrnehmung vom Melodram und vom Thriller. Jeder Blick in „RoboCop“ gibt den Traum dieser mehr oder weniger zukünftigen Gesellschaft wieder: Aufstieg. Nach oben kommen. Aus dem Straßenschmutz zum Himmel. Und die Angst, hinunter zu fallen. Natürlich muss die mythische Erzählung dann in einem Fenstersturz kulminieren. Auch zum Schlusskampf mit der verräterischen Nummer zwei von OCP muss der Held nach oben, um seinen Widersacher, den reinen also schlechten Menschen zu bezwingen, oben und um seinen zweiten Widersacher zu bezwingen, die reine also schlechte Maschine, muss er nach unten (diesmal die Treppe nehmend, nicht den zylindrigen Lift) Und die Maschine scheitert an dieser Aufgabe, eine Treppe zu benutzen (wieder zeigt eine Nahaufnahme auf die Füße der Maschine diesen Vorgang an). Dann sehen wir einer Maschine beim Sterben zu, es ist wie einer der frühen Installationen bei Frank Stella, als würde sie sich der leeren Bewegungen gewahr und als schrie die Maschine ihre Qual hinaus. Auch hier wieder scheint eine Kamera fixiert; als könne sie nicht wegsehen von dem absurden Todeskampf des Konstrukts, das bald nur noch ein Haufen blech ist.

Und dann bekommt auch der Robocop, unten und ganz im Blau, seinen Todestanz unter den Kugeln derer, die eigentlich seine Kollegen sein sollten. Und wieder unterscheiden sich die beiden Todestänze im Kamera-Blick; zuerst sehen wir starr und statisch, nun bewegen wir uns um den Robocop, als wollten wir vergeblich ihm aufhelfen. Gerettet wird er vom rot, natürlich von Lewis, der möglichen bzw. unmöglichen Geliebten,und diese Szene hat etwas durchaus „Heiliges“, ein sarkastisch profaniertes Erlösungsbild, doch gleich wird sie aufgelöst in dem Zitat eines Monster Movies, das sich wiederum als Werbefilm für einen Autokauf erweist. Mehr an cineastischer Dekonstruktion ist wohl kaum denkbar.

Es gehört schließlich zum Wesen des Science Fiction noir, das Feuer zu entfachen. Ripley, die sich in „Alien“ darein stürzt, die Feuer, die über der Stadt pulsieren vom Anfang von Blade Runner, und schließlich in Robocop, das Feuer, das die Tankstelle zerstört, und das Feuer, das die Plünderer legen während des Streiks der Polizisten in Detroit. Zweifellos haben auch alle diese Feuer, die stets aus der Farbe Blau entstehen, eine sehr eigene Schönheit. Es ist ein Dreiklang: Blau, rot und die Farbe des Fleisches mit Schwarz und Metallsilber als Komplementäre. So etwas kann man „analysieren“ oder auch einfach empfinden.

Von oben nach unten schließlich führt der zum halben Mensch wieder gewordene Robocop den Endkampf mit der Gang seiner Mörder, und auch die Kamera tut ihr teil, nun zu erklären wie nahe wir dem alten Western sind: Der Showdown eines geschunden, mit letzter Kraft agierenden enzelnen gegen eine Übermacht. Nun kann die Horizontale entscheiden.

Und auch dies nimmt der Blick dieses Filmes vorweg: Die alten Industrieanlagen sind verrottet und verrostet (auch hier, in der alten Mühle, geht es sogleich wieder hinauf. Die Komposition der vertikalen Bilder wird dabei stets durch Diagonalen dynamisiert. Es geht nicht um eine verlässliche Ordnung in der vertikalen Organisation der Stadt, vielmehr wimmelt es von abgebrochenen und isolierten Gebäuden, ganz anders als in Metropolis ist diese Stadt nicht einem alten sakralen Bau, einer Pyramide vielleicht nachempfunden, sondern es ist das Wuchern der sich übertrumpfenden Konkurrenten, bei dem sich mindestens so schnell wie etwas entsteht etwas anderes in Ruine und Abfall verwandelt-.

Die Vermischung von Illusion und Wirklichkeit, die Inszenierung der Täuschung wird daher auch zu einem Nebenthema. Die Zukunft erscheint auch hier als gebrochene vertikale urbane Struktur, unten ein brodelndes Slum, das mit absurden und obszönen Bildern und Spielen versorgt wird, in der Mitte eine Wissenschaft, die jedes Augenmaß und jede Menschlichkeit verloren hat, und ganz oben die neuen Herren, die Konzernbosse und Manager, für die es keine Kontrolle, nur noch das Profitinteresse gibt. Dieses strukturelle Bild ist mittlerweile, natürlich, schon wieder ein Klischee geworden. Aber neben Ridley Scotts „Blade Runner“ hat es nur Verhoevens „RoboCop“ so sinnfällig zu machen verstanden, dass man glaubt, man befände sich tatsächlich, kaum verließe man das Kino, in dieser Stadt. Bei der Verfolgung des Wagens der Gangster nach dem Überfall, Murphys erstem Einsatz, sehen wir, dass diese unterste ebene der Stadt verödet, beinahe menschenleer ist. Die Menschen leben hier nicht mehr. Sie leben in Programmen und Karrieren und in der Simulation.

Michael Althen hat seinerzeit folgerichtig in seiner Kritik, Untertitel „Filmvision von der Zukunft der Bilder , die Form der damals populären einfachen Programmiersprache Basic verwandt und unter PLOTLINE notiert. „Murphy, Polizist in Detroit City, wird erschossen, Plastische und elektronische Chirurgie konstruieren auf der Basis seiner Überreste den Polizisten der Zukunft: Robocop. Sein Körper als Chassis, sein Gehirn als Floppy Disc, seine Gesichtshaut als Monitorengehäuse. Seine Phantasie entstammt dem bürgerlichen Gesetzbuch. Er funktioniert. Zeile 40 MALFUNCTION: Fehlschaltung des zerebralen Systems zur Erinnerung. Frau, Kind Wohnung, Was er sieht, wird von der Vergangenheit überlagert. Zeile 50 GOTO Rache an den eigenen Mörder, und es endet mit Zeile 150: „Robocop ist die erschreckendste Vision vom synthetischen Film seit langem. Eine intelligente Vision von der Selbstzerstörung des Kinos, der Welt“.

Der Film beginnt schon mit zerstörten Bildern; dem Bildersalat einer Nachrichtensendung, mit Konfrontationen zwischen weißer Militärregierung und Aufständischen in Pretoria eskalieren, die mit der Drohung enden, eine französische Atombombe einzusetzen. Eine Werbespott bietet den Umbau des Körpers, zum Beispiel durch de Einsatz von Sportlerherzen an, von der Steuer absetzbar. Omni Consumer Products, OCP, ist der allmächtige Konzern, der schon die private Verwaltung und Finanzierung der Polizei betreibt. Dann kommen wir in die „Wirklichkeit“, und die sieht weniger bunt und strukturiert aus, ein chaotisches Polizeidistrikt; die Kamera scheint hier Teil des Geschubses und Geschubstwerdens. Die Kamera ist immer mitten im geschehen, sie reagiert direkt auf die Energie der Körper und Zeichn, sie reagiert auf ihre Umwelt wie es ein Mensch tun würde, sie läuft zum Beispiel mit, wenn alle anderen losrennen, sie stockt mit einem Protagonisten. Daher gibt es, frei nach Jean Luc Godards Satz „Die Einstellung ist die Einstellung“ keine verlässliche Perspektive. Auch wenn immer irgend was lost ist, wenn Bedrohung und Zerstörung von allen Ecken und Enden lauert, weiß man nicht einmal immer genau, wie ernst es eigentlich ist. Und ganz nebenbei beweist Jost Vacanos Kamera in „Robocop“ etwas sonderbares, keine Ahnung, ob es ein bewusstes Projekt war: Nämlich, dass eine Kamera Humor haben kann. Ich meine nicht, dass eine Einstellung sich über etwas lustig machen kann, das gibt es lange. Sondern dass die Kamera selbst Teil einer Bild-Pointe ist. So beginnt zum Beispiel als der Robocop in der Polizeistation vorgestellt wird eine schier endlose Kreisbewegung, die in verschiedene Einstellungen aufgeteilt wird und immer zwischen Nah- und Halbnahaufnahmen wechselt, während die mehr oder weniger nüchternen wissenschaftlichen Beschreibungen des Protoyps mit einigermaßen drastischen Bildern kontrastieren. Diese Kamerabewegung im Uhrzeigersinn wird bei den verschiedenen Phasen der Herstellung oder Geburt des Maschinenmenschen wieder aufgenommen. Die Wirkung ist seltsam widersprüchlich, denn so etwas erzeugt einerseits einen beinahe unwiderstehlichen visuellen Sog, aber gleichzeitig wird durch den Wechsel der Einstellungsgröße bei gleicher Bewegung auch eine Distanz erzeugt. Joseph Haydn hat solche Techniken in der Musik verwendet, wenn er etwa eine Ungeheure Bewegung des Orchesters für einige Takte einem einzelnen Instrument zuordnete, und so eine beredte Grundordnung zwischen dem Teil und dem ganzen kann man eben auch in einer Kamerabewegung ausdrücken. Und wenn Kamerabewegungen musikalisch sind, dann haben sie hier Züge des Punk-Rock, von MC5, roh, energetisch, direkt und publikumsbezogen.

Der Detailrealismus zeigt Körper, Waffen und Schmutz, ganz und gar nichts von der weißen, silbernen Zukunft der alten Science Fiction. Das diffuse Licht, die Bereiche der Dunkelheit, die starken Kontraste zwischen den dunkelblauen Uniformen und dem schäbigen Weiß der Möbel: Schon hier, in einigen Seitenblicken auf halbnackte Körper von Männern und Frauen, die sich ganz und gar nicht sexuell verstehen, taucht ein visuelles Leitmotiv auf: Das verletzliche Fleisch, das nach Panzerung sucht. Dieser Verletzlichkeit sind wir nicht nur durch das ausgesetzt, was wir sehen. Zum Beispiel in der Szene, wo die Ärzte über den regelrecht zerschossenen Murphy gebeugt sind und den Körper mit ihren Instrumenten bearbeiten, liegen wir förmlich mit ihm auf der Bahre, werden mit den gleichen Sonden und Saugapparaten traktiert wie er, wird uns der gleiche schmerzhafte Wechsel von Dunkelheit und grellem Licht zugemutet. Den „Schock des Lichts mit dem Schatten“ hat Lotte Eisner das einmal genannte, in Bezug auf den expressionistischen deutschen Film. Einigermaßen bunt, klar und hell ist die Welt nur in den kurzen Bildern, in denen sich der sterbende Cop an Frau, Kind und Haus erinnert, bevor ihn tiefe, endgültige Nacht umfasst. Und erwachen können wir nur mit ihm, im gänzlich veränderten Blick der Maschine, an der nun keine Sonden und Skalpelle sondern Bohrer und Zangen werken. Und mit ihm müssen wir leiden an der zynischen Verhandlung über seinen Körper und seine Teile. Ob er versteht, was man spricht? Das ist unerheblich, denn sein Gedächtnis wird ohnehin gelöscht. Nicht für einen Augenblick gibt es Gnade und Empathie, und die Kamera registriert das ganz so als wäre sie genau in der Lage des entstehenden Robocop: Man kann sie nicht nach freiem Willen ausschalten. Sehen müssen, sehen wollen, sehen können, das ist die innere Frage dieses Films. In dieser Szene also verlässt die Filmkamera ihre angestammte Position des Erzählens, und die Einstellung ist vielmehr als nur eine subjektive Einstellung in einer denkenswert unangenehmen Situation. Die Filmkamera nimmt die Position der zukünftigen Subjektkamera ein, der wir mit all unseren Überwachungen, eingebauten Handykameras und Computerbildern seit 1989 erheblich näher gekommen sind. Der Blick in die Zukunft, das ist in dieser Einstellung sozusagen sehr wörtlich zu nehmen. Und erinnern Sie sich an die These vom Anfang: Jost Vacanos Kamera ist ein Subjekt. (Friedrich Nietzsche, übernehmen Sie!)

Paul Verhoeven sagt: „Wir leben in einer gewalttätigen Welt, die bilde ich ab. Einer Abbildung sind zwei Dinge inhärent: Kritik und Verherrlichung.“ In allen seinen Filmen, und in diesem ganz besonders, drückt sich diese Ambivalenz aus, und es gibt kaum einen, und natürlich ist „RoboCop“ da keine Ausnahme, bei dem nicht auch in der Kritik das Missverständnis von purer Verherrlichung behandelt wurde. Auch die Kamera in diesem Film lässt sich auf das Faszinosum der Gewalt, der technologischen, der untoten Gewalt im besonderen durchaus ein, anders wäre sie gar nicht zu verstehen. Aber sie ist eben auch zur gleichen Zeit stellvertretendes Opfer, und sie ist auf der Suche nach dem erlösenden Ort, nach der rettenden Einstellung.

Ich riskiere also zum Schluss noch eine Volte. In Bezug auf die Bildgestaltung wie in Bezug auf den Film als ganzes. Er ist kritisch, sarkastisch, gewalttätig, dynamisch und bewusst selbstzerstörerisch. Okay. Aber er ist auch romantisch. Und damit meine ich nicht, dass schließlich im Kern der ganzen Sache auch eine Liebesgeschichte steckt, ich meine auch nicht, wie das alles auf den schönen Schlusssatz hinaus will, wo die Mensch-Maschine-Einheit sich wieder ihres Namens und ihrer Identität entsinnt, ich meine eine Art, die Welt zu sehen, jenseits ihrer scheinbaren Vernunft und jenseits ihres offensichtlichen Wahns. Wie die Romantiker des Übergangs vom 18. Ins 19. Jahrhundert ist diese Science Fiction noir am Übergang des 20. Ins 21. Jahrhundert auf der Suche nach der verlorenen Seele des Menschen. Mein Name ist Murphy. Das ist ein schöner literarischer Witz. Ebenso hätte unser Robocop sagen können: Meine Identität ist der Identitätswechsel. Auf einer tieferen Ebene machen die Bilder dieses Films genau das selbe. Sie behaupten Wahrnehmung inmitten des Wahrnehmungsverlustes. Sie sehen, wie es die Romantiker taten, die Schönheit in den Ruinen, nur dass es diesmal um den Übergang zum post-industriellen Zeitalter geht, und ganz sicher gibt es auch in dieser trostlosen Welt eine Suche nach der blauen Blume. Genau dies ist die Kunst der Bildgestaltung in „Robocop“: Die Trostlosigkeit der Zukunfts- oder eben auch Gegenwartswelt nicht zu leugnen, aber doch auch das entscheidende Mehr zu sehen und sich in einem Akt der romantischen Ironie über die eigene Bildwelt zu erheben. Widersinnige Hoffnung kann man das nennen. Und wahrscheinlich ist das die Essenz des Kinos: Widersinnige Hoffnung.

Eine der Pointen des Films ist es ja, typisch für den Regisseur, dass man auf der ersten Ebene der Erfüllung eines Jungstraumes zusieht, die Verwandlung in einen unbesiegbaren maschinellen Supermann, der alle die ihm blöd kommen reihenweise niedermäht, und auf der zweiten Ebene der wenn man so will Dekonstruktion dieses Traumes, der sich im System eine gewalttätigen und korrupten Spätkapitalismus tatsächlich verwirklichen ließe. Wie ich finde hat hier die Kamera die Aufgabe übernommen, zwischen den beiden Ebenen zu vermitteln, beide Lesarten zueinander bewusst zu machen, einen Pop-Mythos zu schaffen, der über sich selbst nachdenkt. Kurzum, dass es endlich heraus ist: Postmoderne als neue Romantik. Kamera-Technik als Zweisprachigkeit. Renaissance. Wenn man die Bewegung akzeptiert, akzeptiert man die Schönheit in den toten Bildern, Bildern des Todes. Genau wie im richtigen Leben. Der Augen-Blick ist schön inmitten des Grauens.

Bei den Einstellungen kommt es dabei darauf an, manchmal beides in ein  Bild zu bekommen und das eine nicht das andere erdrücken zu lassen. So kann etwa eine Bildkomposition so aussehen, dass in der Bildmitte ein dramatisches Geschehen abläuft, zum Beispiel die Fehlfunktion, die aus dem Robocop wieder den Menschen mit Erinnerungen und Gefühlen macht, während im untern Bildvordergrund ein sarkastischer Alltags-Kommentar, Cola-schlürfende Angestellte mit billigen Ferienträumen zu sehen sind, und zugleich auf der Tonebene der ewiglaufende debile Fernsehfilm aus Detroit Katastrophen und Dummheiten aneinander reiht. Sehr häufig in diesem Film sehen wir, und sehen zugleich wie Nicht-Sehen produziert wird.

Der Robocop selber wird lange Zeit aus Untersicht aufgenommen (wir sehen ihn ein wenig so wie wir einst Paul Wegeners Golem gesehen haben), erst als Ann Louis sich an ihn wendet und eine andere menschlichere Geschichte beginnt, ist auch die Kamera wieder auf der Menschenhöhe. Die Kamera sagt damit etwas scheinbar sehr einfaches, in Wirklichkeit etwas eher vertracktes. Ob man das posthumane Mensch-Maschinenwesen eher als Maschine oder eher als Mensch ansieht, das ist eine Sache der Perspektive. Und umgekehrt: Wie sich ein solches Wesen entwickelt, ob zum Monster oder zum humanen Wesen, das hängt maßgeblich auch damit zusammen, wie man es ansieht.

Und dies, so scheint mir, ist der eigentliche auch in der weiteren Entwicklung des Genres oder Subgenres durchaus nicht verbreitete Wert des Films „RoboCop“ und seiner Bild-Konzeption, nämlich dass sich die visuelle Ebene von der narrativen in gewisser Weise abhebt und dabei das Sehen selber zum Thema macht. Während wir auf der narrativen Ebene beobachten, wie die Menschen blind und dumm gemacht werden, wie man medial und technologisch die Wahrnehmung begrenzt und manipuliert, zeigt auf der anderen Seite die Kamera von Jost Vacano, wie sich der Blick intensivieren und verändern kann. Und was kann man von einem Film im allgemeinen und der Kamera-Arbeit im besonderen besseres sagen als dass es zugleich um Anleitung und Befreiung des Sehens geht. Die Kamera als Subjekt, verdammt, das ist eine Herausforderung, die das Hinsehen lohnt.

 

Autor: Georg Seeßlen

Anläßlich der Verleihung des 10. Marburger Kamerapreises 2010 an Jost Vacano, März 2010