Natürlich, das war ein Zufall: An dem Tag, an dem die „Thüringer Allgemeine“ von der glücklichen Erweiterung des Jüdischen Schatzes in Erfurt berichtete, da gab es auch einen Bericht über die Landtagsdebatte zu Waffenlieferungen für Israel, gab es ein „Pro und Kontra“ zu dieser Frage. Aber dieses zufälligeZusammentreffen verwies darauf, dass es derzeit wohl kaum eine Möglichkeit gibt, sich irgendeinem, auch an sich schönen, jüdischen Thema unbefangen zu nähern – und sei es auch die Ergänzung eines archäologisch wertvollen Schatzes. Denn Israel ist dabei, seinen vielleicht wertvollsten Schatz zu vergeuden, zu verschleudern. Tag umTag, Meldung um Meldung, Bombe um Bombe. Dieser Schatz, dieser die Existenz des Landes fundierender Schatz ist die ideelle und materielle Solidarität vieler westlicher Demokratien, ist der moralische Imperativ von sechs Millionen Toten. Diese Toten verpflichten Deutschland unabweisbar zur Solidarität. Aber sie machen es uns schwer. Dieser Kriegsverbrecher Netanyahu, der, so Gott und sein Volk wollen, eines Tages dafür zu zahlen hat, dass ihm seine persönliche Macht, sein politisches Überleben wichtiger ist als das Leben Zehntausender Palästinenser, auch, übrigens, als das Leben seiner als Geiseln geschundenen Landsleute. Der alte Spruch aus der Jüdischen Schrift – Auge um Auge, Zahn um Zahn – galt einst als eine Aufforderung zur Rache, als ein Satz aus finsteren Zeiten. Jetzt müssen wir ihn lesen als eine Aufforderung zur Mäßigung, zur Verhältnismäßigkeit von Vergeltung. Netanyahu und seine Regierung nehmen Tausende Tote billigend, ignorierend in Kauf. Für die Hamas aber waren die zivilen Opfer kein Kollateralschaden: Sie waren das Ziel, der Zweck, sie sind nicht passiert, sie waren gewollt. Wo dort Frauen getötet und geschändet wurden da waren keine Soldaten, da waren nur junge Menschen die arglos feierten. Das ist ein Unterschied. Aber es ist kein Unterschied, der Zehntausende Tote legitimiert, Tote, deren Schuld darin besteht ,zur falschen Zeit am falschen Ort geboren zu sein. Und es hilft nicht, dass sich in diesem Wohnviertel, in jenem Krankenhaus auch Kämpfer der Hamas versteckten, es hilft nicht, die toten Frauen und Kinder zu rechtfertigen.Und deshalb ist Israels Ministerpräsident Netanyahu der Mann, den ich verachte, ja: hasse wie keinen anderen. Denn er zwingt mich, als Sohn eines jüdischen Vaters, mir eine Haltung abzuringen, abzukämpfen die mir doch sonst eine nicht weiter zu befragende Selbstverständlichkeit war, eine Haltung, die einer spontanen Emotionalität entsprang und keiner rationalen Legitimation bedurfte. Es war einfach so und es war einfach richtig so. Ist es richtig so? Ist es noch richtig, das von einem Kriegsverbrecher zu Kriegsverbrechen geführte Land zu unterstützen, auch mit Waffen? Ist es richtig, auch wenn ich beinahe jedes Argument der Gegner verstehe und häufig teile? Es muss richtig sein, denn Netanyahu wird eines Tages Geschichte sein – aber Israel wird immer noch das Land sein mit dieser Geschichte, die ein unaufhebbarer Teil unserer Geschichte ist. Ich verachte diesen Mann, weil er mich zwingt zu erklären, was doch keiner Erklärung bedürfen sollte. Weil er mich zwingt, leise zu sagen was ich doch laut trompeten wollte.
Henryk Goldberg
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