Kapitän Marlowe aus Joseph Conrads Roman Herz der Finsternis ist einer jener melancholischen Abenteurer und Reisenden, die man »Zivilisationsflüchtlinge« nennt. Bei seiner Fahrt den Kongo hinauf zeigt sich ihm, was die »Kultur« der Kolonialisten eigentlich ist, bigottes Missionarstum, blanke Ausbeutung, Projektionsfläche der Neurosen, Konstruktion einer eigenen Mythologie der Welt, und am Ende: der wirkliche Wahnsinn.

Francis Ford Coppola, ein Kerl, der in seinem Leben selbst so eine Reiselegende bildete, mit Hollywood als Dschungel, begann, nachdem er die Erzählung des Vietnamveteranen Michael Herr in die Hände bekommen hatte, an einem großen Film über das zu arbeiten, was später in einer Dialogzeile als großes blutiges Abenteuer für absolut nichts bezeichnet wird. Arbeitstitel: »Psychodelic Soldiers« oder »Apocalypse Now«. Worum es ging, war eine Innenansicht dieses Krieges in seiner Gestalt als Rock’n’Roll- und Drogenkrieg, als eine der größten Produktionen innerer und äußerer Unübersichtlichkeit in der Geschichte. Das Skript entwickelte sich hierhin und dorthin, unter anderem unter Mitwirkung des Neobarbaren John Milius, der glücklicherweise dann doch nicht, wie ursprünglich geplant, die Regie führte, und von George Lucas, der sich dann lieber mit einem »Krieg der Sterne« beschäftigte.

Irgendwann beschloß Coppola, die Regie selbst zu übernehmen, und zog mit all seinem Geld und einer umfangreichen Crew in den philippinischen Dschungel. Die Dreharbeiten wurden selbst zu einem höllischen Trip (was wir wiederum in einem zugehörigen Film bewundern können), und schon das Sichtbare daran genügt für eine Legende: Der Haupdarsteller Martin Sheen erlitt einen Herzinfarkt und wurde schon als tot gemeldet, ein Taifun fegte die teure Konstruktion eines Tempels davon, die meisten der Beteiligten befanden sich in einem permanenten Drogenrausch, und keiner wußte genau, wie das Unternehmen enden würde, denn Coppola arbeitete nicht nach Partitur. Oft ließ er improvisieren; die Entwicklung aus der Situation war ihm wichtiger als das Drehbuch. Und ein anderer Text übernahm immer mehr die innere Führung des Geschehens. Herz der Finsternis wurde peu à peu zum Leitkonstrukt, »Apocalpyse Now« wurde über die Reise in den Vietnamkrieg hinaus eine Reise in die Geschichte von »Macht«, »Fremdheit«, »Kultur«, »Gewalt« und »Natur«. Schwarzes Bilderphilosophieren.

Die Geschichte ist scheinbar einfach, erzählt nach dem Prinzip der Perlenkette, eine Reise von Station zu Station: Als der Film beginnt, ist sein Held schon ziemlich am Ende. Willard (Sheen) ist für kurze Zeit »zu Hause« gewesen und hat dort kapiert, daß »zu Hause« nicht mehr existiert. Er ist auf dem besten Weg, sich zu Tode zu trinken, da bekommt er den geheimen Auftrag, den durchgedrehten Colonel Kurtz (Marlon Brando) zu erledigen. Der führt ein barbarisches Schreckensregiment im Dschungel jenseits der Grenze zu Kambodscha. So also fährt Willard den Fluß hinauf mit einem kleinen Boot und einer Mannschaft, die ein Amerikabild für sich ist. Der Typ aus der Bronx, der junge Kalifornier, der ein Surfchampion ist, »Chef«, der als »Saucier« ausgebildet wurde und eigentlich nur kochen will, der stoische Captain. Sie gelangen von einem Stadium des Wahnsinns, zum Beispiel dem »Luftkavallerie«-General Kilgore (»Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen – es riecht nach Sieg«), zum anderen. »Playmates« treten im Dschungel auf und müssen dann vor den aufgeheizten Soldaten in Sicherheit gebracht werden. Der Krieg ist auf seinen Rohzustand zurückgeworfen.

Als Willard schießlich doch sein Ziel erreicht, nimmt Kurtz ihn zunächst fest, läßt ihn aber dann wieder frei. Es ist, als ob er nun seinen Tod durch die Hand jenes Mannes akzeptiert, den er »einen Laufburschen von Kolonialwarenhändlern« nennt, der »die Rechnung« präsentiert. Während draußen ein Ochse geschlachtet wird, zerhackt drinnen Willard den Colonel.

Es sind vor allem drei Szenen, die die »Redux«-Version, über einen anderen Erzählrhythmus und eine Vertiefung der Charaktere hinausgehend, vom ursprünglichen Film unterscheiden: Auf ihrer Reise den Fluß hinauf begegnen Willard und seine Leute nun noch einmal den »Playboy«-Bunnys, die mit ihrem Hubschrauber in einem heruntergekommenen Camp notlanden mußten und nun die traurigsten Hurendienste verrichten, die man sich vorstellen kann. Da wird aus einem fast oberflächlich satirischen Element eine grausame Nebengeschichte, die Geschichte der Frauen im Krieg. Eingefügt ist eine Sequenz, in der Willard mit seinen Leuten auf die Familie französischer Plantagenbesitzer trifft, die ihren Besitz bis zum Tod verteidigen wollen. Diese Szene ist ein weiterer Schritt von der »Realität« zur Surrealität des Geschehens, ein Stück absurdes Theater: Während alle versuchen, ihre Version der Kolonial- und Kriegsgeschichte in Vietnam vorzutragen, geraten die Mitglieder der Familie immer mehr in Streit, einer nach dem anderen verläßt erzürnt den »zivilisierten« Abendmahlstisch, bis das Famlienoberhaupt die Ausführungen beendet: »… und das ist es, was unsere Familie zusammenhält«. Willard, der Amerikaner, dem wir in die weit geöffneten und unwissenden Augen sehen, in denen sich die Welt immer undurchdringlicher zeigt, kann von der »diskursiven« Kultur der alten Kolonialherren nicht lernen. Dabei könnte nur sie ihn vielleicht auf die Begegnung mit Kurtz vorbereiten. Das Baudelaire-Gedicht, das die Kinder aufsagen müssen, deutet darauf, daß man das Grauen, das die Betreiber des Kriegs ge- und verformt hat, auch als ästhetisches Produkt ansehen kann. Kurtz, der alle Moral und alle Lüge überschritt, inszeniert den Krieg, der als Epos so kläglich scheitert, an diesem Ende der Welt noch einmal als Gedicht. Die »Redux«-Version läßt den Szenen zwischen Kurtz und Willard mehr Raum; der beeindruckende Brando ist hier nicht mehr nur ein abstraktes Zeichen des Bösen. Auch ihn sehen wir beständig von Kindern umgeben – ein Nebenthema des Films, dem es nachzugehen lohnte. Überhaupt zeigt die neue Version viel genauer als die erste, mehr an den Bedürfnissen des »Erzählkinos« orientierte, daß »Apocalypse Now« ein durchkomponierter Film ist, der Motive immer wieder aufgreift, spiegelt und wendet; je weniger »Sinn« die Erzählung hat, desto mehr liegt Erkenntnis in der Struktur.

Es gibt Filme, die etwas zeigen, und ein paar davon machen das gut, die meisten eher schlecht. In den ersten Episoden von »Apocalpyse Now« können wir noch den Eindruck haben, auch dieser Filme wolle uns etwas »zeigen« über den Krieg in Vietnam. Aber die erweiterte Fassung zeigt besser als die ursprüngliche, dass das nur eine kleine Finte am Anfang ist. Der Film »zeigt« nichts, und er »weiß« nichts, er zeigt immer weniger und weiß immer weniger. Er setzt sich selbst dem Verrücktwerden an diesem Krieg und dem Verrücktwerden an dieser Kultur aus, die ihn hierher gebracht hat. Das hat an Ungeheuerlichkeit nichts verloren und schaut in seiner metamoralischen Weise auch auf die Kriege, die nach Vietnam kamen und noch kommen.

Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in Konkret 11/01, S. 65