Der Hyde Park, der Central Park oder der Bois de Boulogne, der Englische Garten oder der Tiergarten, sie alle sind sogenannte grüne Lungen, extrem wichtige Orte für das städtische Klima. Nicht nur reduzieren sie Hitze und Feinstaub und speichern Feuchtigkeit, sondern sie bieten Tieren Unterschlupf und gestressten Metropolenbewohnern Ruhe und Erholung. Seit der Corona Pandemie sind Grünanlagen, Gärten, Friedhöfe und Balkone noch wichtiger geworden. Soziales Leben findet auf einmal vor allem draußen statt, überall da, wo Natur ist.

Weil sich einfach zu viele Menschen an zu wenigen Stellen konzentrieren, sprechen die Fachleute derzeit von „gestresstem Grün“. Hinzukommt, dass die Großstädte weiter wachsen, sich verdichten. Und auch der Autoverkehr nimmt entgegen allem Gerede von der Mobilitätswende ungebremst zu. Und die Bäume sterben. Allein in Frankfurt sind sage und schreibe 97 Prozent der Stadtbäume bereits geschädigt. Dergleichen Niederschmetterndes, vor allem dann aber doch eher Aufmunterndes, erfährt man in der Ausstellung EINFACH GRÜN, die im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt (DAM) stattfindet.

Warum aber geht es entgegen aller Erkenntnis und Erfahrungen so langsam voran mit „mehr Grün“? fragen die Ausstellungsmacher. Die Antwort bringt Erstaunliches ans Licht. Für Architekten und Planer stellen Pflanzen große Unberechenbarkeitsfaktoren dar. Und ihre „Werke“ dulden nichts Unplanbares. Glatt und cool sind Neubauten heutzutage. Außerdem gelten begrünte Dächer oder Fassaden als kompliziert und kostenintensiv. Statische Probleme, Schwierigkeiten der Be- und Entwässerung, Kosten für Pflege und Wartung, all dies sind die gängigen Argumente, die gebetsmühlenartig wiederholt werden. Auch Bewohner sind zuweilen gegen grün. Allergien, Unverträglichkeiten, wilde, stechende Tiere, eingefahrene Gewohnheiten, Vandalismus- und Brandgefahr werden ins Feld geführt. Und dann muss sich auch noch jemand verbindlich und kontinuierlich kümmern, um Laub, um Schnitt, um das Wachstum der Pflanzen. Die Liste der Ressentiments und Vorbehalte ist also lang. Hier versucht die Ausstellung anzusetzen, in dem sie gelungene Beispiele aufzeigt, Großprojekte, aber auch einfache Anregungen für den privaten Gebrauch.

Dass sich Garten und Haus, bzw. Behausung und Natur in früheren Zeiten und in anderen Kulturkreisen wunderbar verbunden haben, wird zunächst an hand vieler Beispiele verdeutlicht. Weit zurück in die Menschheits- und Baugeschichte geht es – von den Erdhäusern auf Island bis zu den Wohnhöhlen von Petra in Jordanien oder den Hängenden Gärten der Semiramis im antiken Babylon. Erinnert wird in diesem Zusammenhang auch an Friedensreich Hundertwasser, der einer der radikalsten Vordenker des ökologischen Bauens der Nachkriegszeit war. Sein „Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur“ (1958), in dem er die grundlegende Einbeziehung von Natur beim Bauen fordert, die Dachbewaldung von Häusern beispielsweise, sowie ein Fensterrecht für alle, greift die Ausstellung leider nicht auf. Das ist sehr schade, denn gemeinhin wird Hundertwasser nur mit seinen bunten Häusern erinnert. Demgegenüber erhält Ot Hoffmanns Darmstädter Baumhaus aus den 1970er Jahren gebührend Beachtung. Auch Patrick Blanc der „Vater der Fassadenbegrünung“ wird ausführlich vorgestellt. Der Pariser Botaniker hat vor über 40 Jahren ein System der Wandbepflanzung entwickelt, welches bis heute verfeinert und verbessert wird. Seine „Murs végétaux“ sind weltbekannt und werden mittlerweile auch in Innenräumen gepflanzt, dort sind sie veritable Wandbilder, hängende Pflanzenteppiche ohne Erde und Substrat. In Berlin kann einer seiner senkrechten Gärten mit immerhin 270 qm im Kulturkaufhaus Dussmann bewundert werden.

Insgesamt werden siebzehn weltweit realisierte Grünbauten in der Ausstellung vorgestellt. Die ausgewählten Projekte sollen zeigen, dass Begrünung durchaus ein architektonisches Stilmittel sein kann. Mit dabei sind die bekannten „Bosco Verticale“ von Stefano Boeri in Mailand, die „Kö-Bögen II“ in Düsseldorf, die vor allem mit ihrem klimatisch energetischen Konzept überzeugen oder der sogenannte „Dakpark“ in Rotterdam, eine riesige Terrassenlandschaft, gleichermassen ästhetisch wie multifunktional. Berlin ist mit „Wilmina“ vertreten, einem in Charlottenburg zentral gelegenen Areal. Dort befindet sich ein 1896 gebautes Strafgerichtsgebäude, ein zeitweise sogar als Gestapo-Haftanstalt für Frauen genutzter Komplex. Die gesamte Begrünung (Dachfläche/Fassade/Hof) beträgt hier sagenhafte 30 Prozent als Folge von Renaturierung, Altbestand und Neupflanzung.

Da bodengebundene Grünflächen in sich verdichtenden Städten immer rarer werden, gleichzeitig unglaublich viel freie, flache Dachflächen vorhanden sind, gilt es diese mehr in den Fokus zu bringen. Stellvertretend hierfür präsentiert die Ausstellung das „Copenhill“ Projekt in Kopenhagen. Hügel ist für dänische Verhältnisse dabei eine glatte Untertreibung. Denn hier wurde auf 41.000 qm Dachfläche einer neu gebauten gigantischen Müllverbrennungsanlage ein Berg errichtet. Er ist für die Öffentlichkeit frei zugänglich. Wandern, Klettern, Skifahren oder schlicht spazieren gehen, alles ist hier möglich. Ein Lift transportiert die Sport- und Bewegungsbegeisterten nach oben, Alpenerlebnis mitten in der Großstadt. Faszinierend!

Ein weiterer Schwerpunkt der Ausstellung beschäftigt sich mit den genauen technischen Möglichkeiten und praktischen Fragen von Haus-, Fassaden- und Dachbegrünungen. Hier wird erklärt, was wie funktioniert und möglich ist. Denn darum geht es ganz offensichtlich: Einem breiten Publikum sollen Anstöße geliefert werden, was jeder selbst zur Begrünung beitragen kann. Vorschläge zur Bepflanzung von Balkonen, Vorgärten oder Hinterhöfen lassen sich also genauso finden wie Handlungsanweisungen für bauliche Förderungen. Doch auf allen Ebenen muss mehr passieren. Baurechtlich und politisch. Nur so kann der Motor einer neuen „Begrünungs-Phase“ wirklich in Gang kommen. Es geht um ein radikales und basales Nachdenken über den Zustand unserer Städte. Das fehlt mir in der Konzeption der Ausstellung. Aus ökologischer Sicht sollte allem voran die Forderung nach Ressourcen sparendem Bauen stehen. Denn dass die „Langlebigkeit“ eines Gebäudes hierzulande bei fünfzig Jahren liegt, ist ein riesigeren Skandal und Umweltfrevel. Was nicht heißen soll Schaufel, Spaten oder Gießkanne aus der Hand zu legen bzw. darüber nachzudenken, wo am oder ums Haus mehr grün sein könnte.

Daniela Kloock

BILD GANZ OBEN: Tower 25 – The White Walls, Ateliers Jean Nouvel, Nikosia, 2015

https://dam-online.de/pr/einfach-gruen-greening-the-city/

AUSSTELLUNG

EINFACH GRÜN – Greening the City | bis 11. Juli 2021 im Deutschen Architekturmuseum (DAM), Frankfurt am Main

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