Von wegen transparent

Bei der Piratenpartei ist viel von Transparenz, viel von Lernen und viel von Bürgerbeteiligung die Rede. Von allem will man mehr, denn nur so ließen sich die Etablierten in Politik und Wirtschaft wieder in die Verantwortung nehmen.

Gleichzeitig reagieren die parlamentarischen Newcomer auf die Kritik, kaum Frauen in den Reihen zu haben und auch kaum Wählerinnen, mit dem frechen Verweis, man blicke Leuten nicht zwischen die Beine, man sei „postgender“.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Ruf nach mehr Durchsichtigkeit und mehr Bürgerbeteiligung und der Weigerung, fehlende Piratinnen als strukturelles Problem zu begreifen? Zwischen dem Ruf nach mehr Partizipation und der klaren Ablehnung der Quote? Ja, den gibt es – und auch diese Haltung spiegelt einen aktuell wichtigen Trend in der Bundesrepublik wider.

Die Piraten sind spannend, weil sie sichtbar machen, was in der Luft liegt, wohin die Reise gehen könnte und dass Geschlechtergerechtigkeit kein Selbstläufer ist. Auch bei den jungen Leuten nicht. Ob sie als Partei überleben oder nicht, ist dabei gar nicht entscheidend.

Transparenz als Kampfbegriff

Mehr Transparenz und der Wille, die Hintergründe von Finanz- und Eurokrise besser verstehen zu können, das waren auch die Losungen, die bei den Occupy-Protesten am Wochenende in deutschen Städten immer wieder zu hören waren. Transparente mit dem Slogan „Wir wollen verstehen“ sollten die politisch Verantwortlichen an ihre Erklärungspflicht erinnern. Auch die Piraten gewannen viele Sympathisanten mit dem Wahlspruch: „Wir sind die mit den Fragen“.

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Mangelnde Transparenz – das ist eine beliebte Analyse dafür, warum Politik und Finanzwelt sich so weit von den Bedürfnissen der Mehrheitsbevölkerung distanzieren konnten. Doch wo bleibt die Machtfrage? Wenn wir wissen, welche Gruppe sich wie bereichert, was machen wir dann?

Geht es um gesellschaftliche und betriebliche Rekrutierungsmechanismen, geht es um Verteilungspraktiken dann verhallt der Ruf nach mehr Durchsicht auffällig schnell. Wiederum macht das Statement der Piraten, sie seien „postgender“, diese Inkonsequenz besonders deutlich.

Der Trick dabei ist folgender: Mit der Selbstbeschreibung als „postgender“, also als von Geschlechterzuschreibungen emanzipiert, wird ein zentrales feministisches Ziel mal eben zum Status quo erklärt, nämlich dass Geschlecht nicht mehr ausschlaggebend sei für die Position, die eine Person in der Gesellschaft oder am Arbeitsplatz einnimmt. Das wäre sehr schön, ist aber leider blanker Unfug.

Das Leben nach dem Konflikt

Trotzdem ist die Behauptung von praktischem Wert. Die Tatsache, dass sich in der Piratenpartei fast nur Männer finden ebenso wie in den Führungsetagen der Firmenhäuser, wird mit der Behauptung, Geschlecht sei als Ordnungskategorie längst überwunden, der Diskussion entzogen. Privilegien werden abgesichert.

Der Männerüberschuss ist dann kein strukturelles Problem mehr, höchstens ein individuelles, von Frauen. Wenn sie nur wollten, könnten sie ja teilnehmen. Postgender behauptet eine Ära nach dem Konflikt, nach dem Kampf um Machtpositionen, alles ist freiwillig und im Fluss. Auch das Fehlen von Frauen in Führungspositionen. Quote? Um Gottes willen.

Sie sei ein grundfalsches Regulierungsinstrument, denn sie schränke fließende Identitäten und freie Selbstbestimmung ein. In dem Sinne ist man liberal, nicht links. Partizipation wird nicht mit Verteilungsfragen gar Umverteilungsfragen verknüpft. Und so liegt postgender auf einer Ebene mit postpolitisch und posthistorisch.

Anders gesagt: Erst die Macht- und Geschichtsvergessenheit erlaubt eine so definierte geschlechtsneutrale Liberalität. Wie aber sollte man die Finanz- und Bankenkrise, mithin die gigantische Umverteilung von Steuergeldern und privaten Ersparnissen in den letzten Jahren an eine schmale, vorwiegend männliche Elite verstehen, ohne Machtinteressen zu benennen?

Auch der „Tatort“ ist postgender

Woher rührt diese Berührungsangst vor der Frage: „Wem nutzt es?“ Dieses Überspringen von Konfliktlagen bei zeitgleicher Wiederbelebung von Partizipationsanliegen kommt nicht aus dem Nichts. Es hat eine Geschichte und es hat einen kulturellen Kontext und beides lässt sich leichter nachvollziehen, wirft man einen Blick auf die deutsche Unterhaltungsindustrie. Unsere Vorstellungen von Normalität werden ja wesentlich von der Massenkultur, also auch dem Fernsehen geprägt. Nehmen wir etwa der Deutschen Lieblingskrimi, den „Tatort“.

Generationenübergreifend beglücken sich am Wochenende bis zu acht Millionen ZuschauerInnen mit urdeutschen Geschichten vom Verbrechen und seiner Aufklärung, also der gelungenen Wiederherstellung einer stets verletzlichen und verletzten Ordnung. Wie noch nie zuvor in seiner 41-jährigen Geschichte featuret der „Tatort“ leistungsstarke Kommissarinnen.

Er greift damit die virulente Diskussion um Gleichberechtigung und Frauen in Führungspositionen auf – und entpolitisiert sie. Denn auch hier haben leistungsstarke Frauen ihren Ort in ehemals männlich dominierten Institutionen bereits gefunden. Auch hier herrscht entgegen jeder Empirie postgender.

Ausgerechnet in der fiktionalen Nachbildung einer nach wie vor extrem männlich dominierten Institution wie der Kripo und einem so männlich dominierten Verbrechen wie dem Mord ist die Geschlechterdifferenz kein Thema mehr. So viel Konfliktscheue ist bemerkenswert und sie hat mit mangelnder Transparenz nichts zu tun. Wie wenig Ermittlerinnen es gibt und wie selten Frauen in Führungsetagen insgesamt sind, das alles ist bekannt und wird endlos diskutiert.

Weniger bekannt und diskutiert sind die Mechanismen, wie Sexismus heute funktioniert, wie Frauen klein und die gläserne Decke intakt gehalten wird. Mehr Einblick in diese Verteilungskämpfe, mehr Mut zum Konflikt auch in der TV-Kultur, könnte einen Beitrag dazu leisten, sich insgesamt konstruktiver mit Machtfragen zu beschäftigen. Der Ruf nach Transparenz allein ist zahnlos und Konfliktscheue in Zeiten wild gewordener Eliten gefährlich. Auch für Männer.

 

Ines Kappert. taz 18.11.2011