Der Islam gehört zu Deutschland. Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass der Präsident mehr sein kann als ein Staatsnotar, dann dieses Credo Christian Wulffs. Denn wenn der Mann an der Spitze nichts zu melden, aber alles zu unterschreiben hat, hätt sich ja keiner grämen müssen wegen dieser Banalität. Aber ein wie beiläufig gesagter Satz – und plötzlich erschien die Alltagswelt zwar nicht in ganz neuem Licht.

Dass der Islam zu Deutschland gehörte, hatte schon jedem Nichtpräsidenten beim Stadtspaziergang auffallen können. Aber so von höchster Stelle angesprochen, ohne es dekretieren zu können, wurde die simple Tatsache vom zivilgesellschaftlichen Unbewussten ins staatspolitische Bewusstsein gerückt.

Vergisst man einmal kurz den symbolischen Schutt, den Wulff bei seinen Versuchen angerichtet hat, die Grauzone zwischen Politik und Wirtschaft zu verdunkeln, die in seiner Person kulminierte, dann zeigt sein politisch mutigster Satz das Präsidentenamt als eines der faszinierendsten der Republik: aus einem Zustand der Machtlosigkeit gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen. Wer es richtig anstellt, kann im Schloss Bellevue Politik als angewandte Kulturwissenschaft betreiben: Macht durch Diskurs.

Dieses Experiment wird nicht überflüssig, weil es einer versuchte, dem das Gespür für die politischen Maßverhältnisse fehlte. Zwar wird das Gefühl für eine Würde, die keinen Preis hat, noch nicht dadurch wiederhergestellt, dass eine allzu sichtbar korrodierte Figur geht. Aber sie eröffnet unkorrumpierten Kandidaten eine neue Chance.

Deshalb sollten die Parteien jetzt niemand aus dem Hut zaubern, der aus Gründen des gefühlten Staatsnotstands zu irgendeiner steifen Amtswürde zurückkehrt. Sondern jemanden, der sich traut, die real existierenden Verhältnisse herauszufordern. In Sprache, Symbol, ja Spiel.

Ingo Arend

Kommentar erschienen in taz 17.02.2012