Phantomdiskussion

Mit einem ungewöhnlichen Dialog wollte die Berliner Kulturpolitik die Hauptstadtszene beruhigen. Tatsächlich gilt ihre Sorge der Kunst nur als Standortmarke

„Wir verstehen heute Kultur umfassend als Ausdruck und Mittel der spezifischen Evolution der Menschen, ihrer kontinuierlichen Höherentwicklung und Selbstvervollkommnung.“ Um herauszufinden, wozu ein Gemeinwesen Kunst- und Kulturpolitik macht, hätte Berlins Kulturverwaltung keine zweitägige Konferenz abhalten müssen. Ein Blick in Hilmar Hoffmanns Klassiker „Kultur für alle“ aus dem Jahr 1979 hätte genügt. Und sie hätte eine immer noch brauchbare Begründung gefunden.

Dass sie es am Ende vergangener Woche dennoch tat, spricht für ihren Orientierungsbedarf. Kaum einer hätte das besser demonstrieren können als der Gastgeber. In der Ansprache, mit der Kulturstaatssekretär André Schmitz am Donnerstagmorgen die rund 80 Teilnehmer seines umstrittenen Kunst-Ratschlags „K2“ im Stadtpalais Podewil begrüßte, suchte man vergebens nach einem Satz, der über die Floskel von der „Leidenschaft für die Kultur“ hinausging. Stattdessen war viel vom „Kunststandort“ vom Rede.

Zugegeben: Der schliddert geradewegs in eine Krise. In der selbst erklärten Kunsthauptstadt der Welt steigen die Mieten, 700 Ateliers sind in den letzten Jahren aus der Berliner Innenstadt verschwunden. Nach dem Tod der Kunstmesse Art Forum vor zwei Jahren fehlt der Szene ein ökonomisches Gravitationszentrum. Und spätestens seit der missglückten Kunstausstellung „Based in Berlin“ ist das Vertrauensverhältnis zwischen Kunst und Politik gestört. Für überflüssige Kunsthallen und Wahlkampfspektakel, klagte die Szene damals, hat Klaus Wowereit schon Geld, während sie sich „arm, aber sexy“ hungern darf. 70 Prozent der Berliner Künstler verdienen kaum 12.000 Euro im Jahr.

Richtig gerade hängt der kunstpolitische Haussegen in der Hauptstadt nach dem 50.000 Euro teuren Get-together immer noch nicht. Denn dabei blieben Akteure unter sich, die sich lange kennen. Herbert Mondry vom Bundesverband Bildender Künstler, Thomas Köhler, der Direktor der Berlinischen Galerie, oder Ellen Blumenstein von der Künstlerinitiative „Haben und Brauchen“ diskutierten über sattsam bekannte Forderungen: Ausstellungshonorare für Künstler, einen „Feuerwehrtopf“ für Projekte bis zu einem langfristigen „Kunstentwicklungsplan“ für Berlin. Nur was die Politik selbst will, blieb einigermaßen im Dunkeln.

Den Mangel an Programmatik machte André Schmitz zwar wie üblich durch ausgesuchte Freundlichkeit wett. Und versuchte so den schwer über dem Treffen lastenden Verdacht zu entkräften, es gehe ihm nur um das, was ein Teilnehmer als „Logik der Abschöpfung“ geißelte: Anderen Leuten die Ideen aus den Rippen zu leiern, die ihm selbst nicht einfallen. In den Arbeitsgruppen diskutierte Klaus Wowereits rechte Kulturhand aber nicht mit.

So blieb das ungewöhnliche Experiment einer „Dialogveranstaltung“ zwischen Politik und Betroffenen eine Einwegkommunikation. Ob all die guten Ideen, die da ventiliert wurden, je verwirklicht werden, steht in den Sternen. Über die Grundsatzfrage, warum ein Gemeinwesen überhaupt Kunst fördern soll, verlor niemand ein Wort. In Berlin hat man manchmal den Eindruck, Kunst dient nicht der Selbstvervollkommnung der Menschen, sondern vor allem der der Stadt.

Immerhin zeigte sich bei der Gelegenheit, dass die Visionen der Szene auch nicht widerspruchsfrei sind. Das Image der Kunststadt Berlin im Jahre 2017, das eine Arbeitsgruppe zu entwerfen versuchte, schwankte zwischen dem „unverzichtbaren Marktplatz“, der von „Kunstbotschaftern“ in aller Welt beworben wird und der neben den Global Players Basel oder Hongkong bestehen kann – obwohl er auch ein Widerstandsbiotop ist, in dem Künstler und Kunsträume die sozialen Kämpfe in den Stadtteilen flankieren und sich auf ihre „Bildungsfunktion“ besinnen.

Bei anderen Ideen liegen die Kunst-Lobbyisten sozusagen goldrichtig. So wie die vielen nach Berlin gezogenen Künstler Berlin für Touristen wie Firmen aufwerten, ist es nur recht und billig, dass die freie Szene einen mehr als symbolischen Teil der City-Tax erhält. Sie soll denn auch bald mehr als 40 Millionen Euro in die leeren Berliner Kassen spülen.

Eine Garantie dafür, dass dort auch noch in fünf Jahren gute Kunst gemacht wird, ist all das freilich nicht. Genauso wenig wie das Kunstparlament, zu dem manche den zweitägigen Dialog gern ausbauen wollen. Als sich die K2-Teilnehmer am zweiten Tag unter Anleitung eines Therapeuten versuchsweise zu einem Gruppenbild zusammenstellten, das Berlins Kunstszene der Zukunft symbolisieren sollte, hielt der Teilnehmer, der das Phantom „Gute Kunst“ mimte, deutlich Abstand zum Rest der plötzlich eng zusammengerückten Szene.

Ingo Arend (taz, 19.11.2012)