Schutzmacht der Kreativen

Die SPD schart mal wieder Künstler und Intellektuelle um sich. Kulturelle Hegemonie ist ihr damit noch nicht beschieden 

Ist die SPD schon wieder auf dem Weg zur kulturellen Hegemonie? Einen Augenblick dachte das vielleicht, wer den Auftrieb am Montagabend beim „Kulturempfang der Sozialdemokratie“ in der Berliner Akademie der Künste beobachtete. Denn keineswegs nur alte Kämpen wie Akademie-Präsident Klaus Staeck oder der Hamburger Publizist Manfred Bissinger hatten den Weg in den Glaspalast am Pariser Platz gefunden. Über Berlinale-Chef Dieter Kosslick bis zu Jung-Stars wie dem Schauspieler Clemens Schick oder der Künstlerin Katharina Grosse reichte die Lichterkette des symbolischen Kapitals, mit dem sich die angewelkte Tante SPD zum Auftakt eines neunmonatigen Wahlkampfs endlich einmal wieder von der glamourösen Seite zeigen wollte. Selbst Klaus Wowereit hatte einen aparten Schal in dunklem Violett um den Bürgermeisterhals gelegt. Bei der Kultur, man weiß es, kommt es auf die Accessoires an.

Hoffnungsträger sehen nicht wie Nussknacker aus.

Wer zusah, wie Peer Steinbrück sich seinen Weg durch diesen Salon der Kulturbolschewisten bahnte, beschlichen dann allerdings wieder leise Zweifel an dem hegemonialen Projekt. Sicher, der tags zuvor in Hannover zum Kanzlerkandidaten Gekürte, hat Humor. Wenn auch zuweilen einen etwas beißenden. Seit seinem Krönungsparteitag tags zuvor kommt ihm ein Satz wie der von der „Arbeiterbewegung als Bildungsbewegung“ einigermaßen flüssig über die Lippen. Intellektuelles Charisma, das über dieselbe hinausreicht, würde man dem spröden Mann aber nicht nachsagen. Das Bekenntnis zum Film, mit dem er seine Begrüßung einleitete, kann die Berufung zum Finanzpolitiker nur mühsam überdecken. Hoffnungsträger sehen nicht wie Nussknacker aus.

Immerhin programmatisch rüstet sich die alte Tante SPD für neue Zeiten, ohne alte Ideale über Bord zu kippen. Das bewies die Konferenz zu „Perspektiven der Kulturpolitik“ des SPD-Kulturforums, die dem Empfang vorausgegangen war. Dass die SPD den Kulturschaffenden nicht nur neue Buntstifte kaufen will, machte dabei Julian Nida-Rümelin klar, Gerhard Schröders gewesener Kulturstaatsminister. Als er Kulturpolitik als „die Instanz, die dafür sorgt, dass Bedingungen herrschen, unter denen Menschen gleiche Freiheit realisieren können“ definierte, setzte der Münchener Philosophieprofessor der vielerorts ins Schlingern geratenen SPD-Kulturpolitik endlich einmal wieder einen etwas weiteren Horizont als den Streit um Theatersubventionen.

Vor allem versucht sich die SPD aber als neue Schutzmacht der Kreativen zu profilieren. Was man schon an dem Wort von Kreativität als dem „Rohstoff des 21. Jahrhunderts“ sehen kann, der sich in dem „Kreativpakt“ findet, den die SPD-Bundestagsfraktion angestoßen hat. Doch auch wenn dieser sagenumwobene Rohstoff der einzige ist, „der sich bei Gebrauch vermehrt“, wie es in dem Papier heißt, soll er nicht kostenlos sein. Dem Verleger Helge Malchow versprach Wolfgang Thierse, der Vorsitzende des Kulturforums, die Buchpreisbindung auch auf eBooks auszudehnen, damit Schriftstellerinnen wie Eva Menasse weiter vom Schreiben leben können. Der wieder versprach er, nicht bei jedem Shitstorm um das Urheberrecht umzufallen. Und was die vielen Kreativen betrifft, die zwar keine Künstler sind, aber genauso prekär leben, will eine SPD-geführte Bundesregierung über eine Versicherung nachdenken, die zwar keine Künstlersozialkasse ist, aber so  ähnlich funktioniert.

So geschickt sich die SPD mit dieser Mischung aus zivilgesellschaftlicher Mobilisierung und nachholender Modernisierung auch für das Wahljahr rüstet, widerspruchslos werden ihr die umworbenen Kreativen nicht um den Hals fallen. Das demonstrierte Shermin Langhoff, die neue Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters. Als die Protagonistin des „postmigrantischen Theaters“ in der Akademie erklärte, dass an den Kulturproblemen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus Sozialdemokraten wie Heinz Buschkowsky und Thilo Sarrazin „nicht unschuldig“ seien, erhielt sie demonstrativen Beifall. Und als der Schriftsteller Ingo Schulze der Partei am Ende gar empfahl, sich wieder auf das gute alte Kulturziel des „Demokratischen Sozialismus“ zu besinnen, kratzte Kandidat Steinbrück nervös an dem roten Fleck auf seiner rechten Wange. Der war offenbar noch vom Parteitag in Hannover dort hängen geblieben.

Ingo Arend

Bild: Peer Steinbrück (SPD) CC BY-2.0 Dirk Vorderstraße