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Kann man den Hitlergruß neutralisieren? Zum Glück musste das Kasseler Amtsgericht gestern nicht über diese Jahrhundert-Frage entscheiden. Doch genau diese Idee, so vertraute es Jonathan Meese diese Woche dem Spiegel an, steht hinter der abgedroschenen Provokationsgeste, die ihn vor Gericht brachte. Dass die Richter ausgerechnet in der Documenta-Stadt nicht sofort auf die “Freiheit der Kunst” erkannt, sondern den Prozeß vertagt haben, mag deren Freunde empören. Anselm Kiefer hat’s getan, Martin Kippenberger und Laibach haben’s getan. Warum darf es nicht Jonathan Meese tun? Wobei wir uns natürlich schon freuen, dass die Justiz bei Meeses neodadaistischem Exorzismus jetzt so schnell und beherzt zur Stelle war. Während sie den Beitrag der NSU zum nazistischen Realismus jahrelang mit viel Langmut hinnahm: Das begann bekanntlich auch mit brennenden Kreuzen und Hitlergruß. Aber die Kunst ist natürlich viel, viel gefährlicher als seine ostdeutsche  Terrorgruppe.

Wie auch immer das Urteil bei Meese Ende Juli ausfallen wird. Die Frage, ob der Große Symbol-Neutralisierer Erfolg haben wird, wird nicht juristisch, sondern ästhetisch entschieden. Und da könnten einen Zweifel befallen, ob der “Babysoldat der Diktatur der Kunst” seinem selbstauferlegten Kommandounternehmen gewachsen ist. Bei dessen performativer Durchführung er mitunter wirkt, als stünde er schwer unter Sigmar Polke-Einfluss: Höhere Wesen befahlen: Hitlergruß neutralisieren! Wer, wie Meese in seinen “Ausgewählten Schriften”, das Hakenkreuz als “das präziseste Symbol aller Zeiten” bezeichnet, offenbart ein etwas schwammiges ästhetisches Urteilsvermögen. Und wer das Zeichen aller Zeichen immer nur wiederholt,  “neutralisiert” es nicht. Er perpetuiert es. Und langweilt mit diesem penetranten Serialismus inzwischen selbst seine treuen Fans. Jonathan, der Erzritter gegen die faschistischen Codes? An A.H., dem “süßesten Stofftier der Kunst” (Meese) könnte sich selbst das liebenswerte Grußarm-Monster aus Hamburg-Ahrensburg noch ganz schön verkuscheln.

Ingo Arend