Der Film-Schau-Spieler Klaus Kinski und die Mythologie des verkannten Genies

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Der Kerl ist wichtiger als seine Filme. Er hat uns irgend etwas zu sagen, wenn wir auch nicht genau wissen, was es ist. Es muss irgend etwas mit Geschichte zu tun haben, und mit Sexualität. Götz George, der immer noch junge Deutsche, hat es nicht nur, aber doch in erster Linie mit seiner Figur des Ruhrpott-Bullen Schimanski geschafft, zu einem Über-Star des bundesdeutschen Action-Kinos zu werden. „Über-Star“ deswegen, weil er kein Fandom erzeugt, bei dem er besondere Bedürfnisse befriedigt. Die Rechte nickt anerkennend, wenn George das Recht in die eigenen Hände nimmt und zelebriert, wie schwer, wie opfervoll das Leben für die Ordnung und die Moral seines Staates ist, die Linke freut sich über das Unkonventionelle seines Auftritts, sein Mitleid für die Geschundenen und Ausgebeuteten, seinen Hass auf die Geldleute, die stets ungeschoren bleiben, und seine antiautoritäre Attitüde. Den Jungen gefällt sein kumpelhaftes Draufgängertum, den Alten die Loyalität, die stete Wiederkehr zur Ordnung. Er darf immer ein wenig mehr als andere. Nur wer so durch und durch sauber ist wie Götz George, kann eine Portion Schmuddeligkeit in seine Figuren einbauen, nur wer so kreuzbrav ist, darf sich hier und da einen „anarchischen“ Ausfall erlauben, nur wer so treu ist, darf ein so schlechter Liebhaber sein.

Aber das alles würde Götz George, der allenfalls ein halbes Dutzend auch nur interessanter Filme vorzuweisen hat, zu nicht viel mehr als einer teutonischen Ausgabe des späten Belmondo machen, dessen Filme ihren Weg aufgrund der Abwesenheit von irgend etwas Berichtenswertem oder Kritisierbarem und der Bewunderung für die Aktionsfähigkeit einigermaßen alter Knochen ihren Weg machen. Wie Belmondo, so hat auch George – jedenfalls in seinen Schimanski-Filmen – ein ausgesprochen jugendliches Publikum, und während die filmkritische Garde der Generation, die Götz George eigentlich „angehen“ sollte, sich von ZABOU mit Grausen ob der geradezu panischen Hypertrophie der Motive abwendet, schätzen die Jugendlichen den Schimanski so weit, dass sie sich in den Boutiquen nach den entsprechenden Jacken umsehen. Er ist, so scheint’s, auch eine Lösung für ihre Probleme.

Dabei ist diese Kunstfigur des Kinos (die sich aus vielen vorherigen Versuchen und Rollen Georges zusammensetzt) keineswegs einfach; sie ist ja fast bis zur Unerträglichkeit mit Problemen, Widersprüchen, Selbstzweifeln und Unfähigkeiten belastet. Schimanski hat, wenn er irgend ein paar Probleme gelöst hat, gleich mindestens genauso viele wieder geschaffen. Er steckt immer mittendrin, mittendrin in der Scheiße, um seine Diktion zu verwenden, mittendrin aber auch zwischen den Sachzwängen dieser Republik, von der der SPIEGEL behauptet, es gebe keine andere, mittendrin zwischen dem Alten und dem Neuen, dem Rechten und dem Linken, dem Männlichen und dem Weiblichen: die ewige Pubertät als moralische Überlebensstrategie.

Schimanski hat sich uns nicht so sehr aufgedrängt, wir haben ihn vielmehr adoptiert, und wenn man den Berichten der Presse glauben darf, dann waren es vor allem die Frauen, die sich dieses Kerls bemächtigten, und je mehr er sich dagegen zu sträuben schien, umso heftiger die Zuneigung für so etwas wie einen lustvoll verlorenen Sohn. Es ist fast unmöglich, sich der öffentlich gemachten Familiengeschichte Georges zu entziehen; dem übermächtig fernen Vaterbild des Schauspielers als Naturereignis, des Heinrich George, dessen Nazi-Vergangenheit in einem wohlfeilen Privatmythos verborgen wird; der kernigen Mutter, Berta Drews, mit der man rituelle Berliner Spaziergänge pflegt und die einem Widmungen in die Autobiographie schreibt, die auf Tourneen immer wieder gelesen wird; der gescheiterten Ehe mit Loni von Friedel, die so etwas hätte werden sollen wie die Musterpaarung deutsch-österreichischer Karrierenbiederkeit, das Gegenbild zum gefürchteten Ungehorsam des Nachwuchses dieser Zeit, und die, so will’s die journalistisch übermittelte Legende, auseinanderging, weil die Frau sich zu emanzipieren gedachte und der Mann dafür, mehr oder weniger, Verständnis aufgebracht habe. Er sei ja auch ein zu forderndes, dominierendes Wesen.

Götz Georges Filme sind nicht halb so interessant wie das permanente Melodram, das die Medien um ihn herum basteln und dem er ständig Nahrung gibt. Er ist der große Bruder von Boris Becker. Vielleicht ist er ja schwul, vielleicht weiß er bloß selber nicht weiter, aber in seinem Leben, in seiner Legende, ein bisschen sogar in seinen Filmen, horcht etwas auf die Rechte der Frauen. Er schafft es auch nicht, so richtig glücklich mit ihnen zu werden, er ist eben auch immer nur ein Mann, aber wenigstens ist er dabei nicht auch noch mit sich selbst zufrieden. Sein Unglück mit den Frauen ist seine eigentliche Triebfeder, die Grundlage seines vorwärts stürmenden, steckengebliebenen (Polizisten-)Lebens. Was wir von dem Schauspieler Götz George erfahren, ist nicht viel und führt uns immer wieder auf die Legende zurück. Sein Schauspielstil ist angestrengt, professionell, in gewisser Weise überpräsent (und weil George sein eigener schärfster Kritiker ist, hält er ihn selbst für „unreif“ und vergleicht sich – zu seinen Ungunsten – mit Schauspielern wie Jean Gabin, die mit allersparsamsten Mitteln große Wirkungen erzielen – und natürlich mit seinem Vater). Götz George, egal in welch nichtssagender Rolle, in welch uninspiriert heruntergekurbeltem Film, ist stets drauf und dran, den Rahmen zu sprengen. Er ist unfähig, ohne große Geste, ohne großes Sentiment, ohne das so überaus gewinnende Lächeln, ohne den verletzt-ergreifenden Großblick aus den blauen Augen, ohne Bedeutsamkeit einfach da zu sein. Er kann nicht sitzen, er kann nicht gehen, er kann schon gar nicht schlendern. Er ist, im Leben wie als Darsteller, ein Mann, dem die Ruhe fehlt. Zu seinem darstellerischen Standardrepertoire gehört jener abgrundtiefe Seufzer, mit dem er ausdrückt, daß eigentlich alles viel zu viel für ihn ist, daß er dennoch „dranbleiben“ wird.

Was ihn dagegen auszeichnet, ist eine ausgesprochen körperliche Ausdrucksweise, die tatsächlich vielleicht dem deutschen Film mehr hätte geben können, als der ihm abverlangte. Da ist nicht nur die athletische Professionalität. Den Action-Filmen mit George steht es gewiß gut an, daß der Star so viele Stunts selber zu vollbringen in der Lage ist. Das nötigt uns nicht nur Respekt ab, das gibt den Filmen auch eine besondere Atmosphäre, eine andere Art von Authentizität, die über die unwahrscheinlichen und in gewissem Sinne anmaßenden Scripts triumphiert: In den Schimanski-Filmen für das Fernsehen und das Kino ist die Kamera immer näher am Helden dran, als das sonst in derlei Kriminalfilmen der Fall zu sein pflegt. Und da er seine athletischen Fähigkeiten einzusetzen vermag, muß die Kamera und der Zuschauer auch dann nicht auf Distanz gehen, wenn der Film seine spektakulären Action-Szenen präsentiert.

Wie kaum andere im deutschen Film hat George die Kamera als Partner entdeckt; der Film kommt seiner Art des Exhibitionismus sehr viel näher als das Theater. Er liebt es, sich als mehr oder minder entblößtes Opfer der Kamera hinzugeben, sie kokett zu umkreisen, sie zu ignorieren, auf sie loszustürmen.

Das „Körperliche“ an Georges Darstellungsstil erschöpft sich allerdings nicht im athletischen Können und der narzißtischen Beziehung zum eigenen Körper. Es liegt auch an der Art, wie er sein durchaus beschränktes Repertoire an Gesten und Haltungen zu kombinieren weiß. Wie Jacques Tati, um einen sehr abenteuerlichen Vergleich zu wählen, ist er ein Meister der unterdrückten, der abgebrochenen, der verhinderten Aktion. Er setzt zu Gesten und Sätzen an, die nie vollendet werden, oder mehrere Male neu angesetzt unfehlbar auf die Rücknahme, das Retardieren zusteuern. Eine Bewegung oder einen Satz bringt er nur dann vollkommen zu Ende, wenn er seine wenigen Augenblicke des Glücks und der Entspannung erlebt (zumeist innerhalb einer Männerfreundschaft) oder wenn „es“ wieder einmal aus ihm herausbricht.

Eine andere Variante läßt den George-Typus versuchen, zwei Dinge gleichzeitig zu tun. Er gerät von einer klassischen double-bind-Situation in die andere, das eine zu tun ist ihm genauso unmöglich wie das andere. Zwischen dem Tun und dem Nicht-Tun erstarrt die Aktion zum Ritus. Schwer atmend hält er, dem wieder einmal alles genommen wurde, die Pistole dem Gegenüber vor, und dann muß doch immer wieder ein anderer schießen. Die Konvention des Genres, nach der der Detektiv nur in äußerster Notwehr töten darf, trifft sich in George mit einer eigenen Mythologie und einer darstellerischen Technik.

Nach eigenem Bekunden steckt in Götz Georges Darstellungsstil einiges an Selbsttherapie. Offenkundig wird hier unterdrückte Energie, der Wille, über etwas hinauszureichen, ausgelebt und gleich wieder zurückgenommen. Selbst in seinen Karl-May-Western und den Kriminalfilmen der sechziger Jahre wirkte sein Darstellungsstil oft so talentiert wie überzogen. Er spielte dynamisch in einer durch und durch statischen Kinowelt, ein menschlicher Held mit menschlichen Zügen und Problemen in einer Welt der Comic-Helden mit Comic-Problemen. Götz George tobte vor der Kamera oder bezirzte sie, während Lex Barker oder Pierre Brice sich zu einer ihrer Pop-Ikonen gruppierten. Götz George wirkte so lange ein wenig deplaziert (und sei es als Schauspieler, der einfach zu gut für seine Rollen war), so lange die Filme nicht völlig auf ihn zugeschnitten waren, solange seine schauspielerische Selbsttherapie nicht mit den Intentionen der Autoren und Regisseure konform ging. An der Figur des Schimanski hat George selbst mitgearbeitet

und gestaltet sie weiter als mehr oder minder mythische Autobiographie. (Und wie man hört, scheint er damit seinen Mitarbeitern das Leben gelegentlich ein wenig schwerer zu machen, als man von Routinearbeiten in Genrefilmen erwarten sollte.)

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Götz George ist ein Ereignis in den Frauenzeitschriften; dauernd muß er etwas sagen davon, wie er lebt, wie er’s und ob er’s mit den Frauen hält. Als ob er eine wandelnde Lösung wäre für den Schlamassel, in den wir geraten sind. Rein beziehungsmäßig. Er ist nicht ganz so öde wie diese „neuen Männer“, von denen in jüngster Zeit so viel die Rede ist, aber auch nicht so behämmert wie seine Kollegen von der Actionfront, die rettungslos in ihre Maschinengewehre verliebt sind. Er ist nicht gerade Deutschlands Antwort auf Clint Eastwood, auch wenn man ihn einen „Dirty Harry aus dem Kohlenpott“ nennt, aber er ist dann doch um eine Spur zu groß für den heimischen Bildschirm. Er ist „ein Macho mit Herz“, ein „sensibler Draufgänger“, ein „Bulle, der bei Frauen schwach wird“, ein „hemdsärmeliger, schlagkräftiger Softie“, ein „narzißtischer Single“ usw. usf. Kurzum, Götz George soll uns, wie jeder Kino-Mythos, helfen, das Widersprüchlichste zusammenzufügen, die unvereinbaren Männerbilder, die auf dem Markt sind, doch noch zu vereinen, im Traum wenigstens das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Daß das keine leichte Aufgabe ist, sieht man ihm an. Er ist immer erheblich im Streß. Immer ist ihm gerade wieder alles schief gegangen. Immer wieder holt er sich einen blutigen Kopf beim Anrennen gegen vermeintliche oder tatsächliche Autoritäten, und immer wieder hat er sich selbst zu viel Autorität angemaßt, um nicht gekränkt und gedemütigt zu werden, gerade in dem Moment, wo er wieder einmal seinen „männlichen Panzer“ verlässt. Götz George funktioniert eigentlich nur als Verlierer. Er hat ein Sexualleben, von dem wir nicht viel erfahren müssen, und ein Gefühlsleben, das anstrengend, kaputt, aber wenigstens unübersehbar vorhanden ist. Seine tödlich endende Demontage in ABWÄRTS beginnt mit den Worten von Renee Soutendijk: „Er hat auch seine Probleme“.

Seine Widersprüchlichkeit erstreckt sich auch auf die soziale Rolle. Er ist zugleich einer, der Karriere gemacht hat in einer der Institutionen, die man zum Karrieremachen braucht, und sei’s der Polizeiapparat, und er steht in einem gespannten Verhältnis zu dieser Institution. Schimanski und Franz Lang (in AUS EINEM DEUTSCHEN LEBEN) sind die zwei Pole des leidenden und moralisierenden Karrieristen.

Die Kino-Figuren Georges haben ihren Ursprung in den siebziger Jahren, als die oppositionellen Impulse einer Generation sich an den Institutionen des ganz normalen Berufslebens und ganz normaler Beziehungen brachen. Da ist Götz George einer, der es wenigstens fertiggebracht hat, sich selber treu zu bleiben, vielleicht, weil er die Ansprüche nicht so hoch geschraubt hat. Er stellt ja keine Obrigkeit in Frage, wünscht keiner gesellschaftlichen Institution den Tod. Er ist im Gegenteil immer ein Beschützer des Systems gewesen, auch als Lagerkommandant keiner, der sich persönliche Vorteile ausbedungen hätte. Erst die Erfahrungen, die Wunden setzen ihn in die Lage zu erkennen, dass das System auch vor sich selbst geschützt werden muss. Der Bewußtseinsprozeß findet sein Ende darin, dass man sich auch als Opfer begreift. Aber wenn das geschieht, ist es auch schon zu spät. Der Held stirbt, oder er macht da weiter, wo er letzthin aufhörte.

Während seine oppositionellen Impulse eher aus den siebziger Jahre zu stammen scheinen, ist er ansonsten die perfekte Gestalt der Achtziger; er ist, um es ungalant zu sagen, der Held der Kohl-Ära. Ein Kerl, der auch in seinen Männerfreundschaften noch keine Harmonie zu Wege bringt und der am meisten in sich selbst verliebt ist oder in seinen Körper, das 47jährige Monument von Trainingsfleiß und verdächtiger Selbstüberwindung. (Noch einer der mythisch gelösten Widersprüche: Biertrinker und Bodybuilder!) Er ist die sehr teutonische Ableitung des derzeitigen Körperkults im Kino, und es hat wohl seine Richtigkeit, wenn „Cinema“ ihn in einer Sonderveröffentlichung zwischen Stallone und Schwarzenegger stellt (ihn allerdings statt als George gleich als „Schimmi“ führt). Zum Helden dieser Ära gehört die ständige Selbstüberwindung, er ist ohne Unterbrechung dabei, etwas zu beweisen; er steht, auf eine sehr dramatische Weise, unter einem ständigen Rechtfertigungsdruck. Schimanskis Kampf und Georges Karriere sind nicht so sehr Kampf gegen eine Institution als vielmehr der Kampf darum, von der Institution respektiert zu werden. Götz George ist die Verkörperung des Kleinbürgers (jeder Krimi-Held, nebenbei, ist die Verkörperung eines Kleinbürgers) der Kohl-Ära, der sich in einem zugleich dramatischeren und trivialeren Widerspruch zu seiner Gesellschaft befindet als andere Vertreter seiner Generation, die sich wenigstens mit Büchern und Utopien aus der Klemme zu helfen versuchten. Schimanski macht uns vor, wie es ist, ohne Utopie zu leben, nur mit einem gewissen Grad an Unbestechlichkeit. Das ist nicht neu für einen Krimihelden, aber vielleicht doch für einen deutschen. Bei ZABOU leben verwirrte Sozialdemokraten und junge Halbgrüne ihre destruktiven Impulse aus und ärgern sich allenfalls über eine geradezu schamlose Häufung von Product Placement. Und wir sehen uns auch in der Vergeblichkeit dieser Existenz repräsentiert, die ja immer vorher alles gewusst oder geahnt hat und beim Beweis dann doch immer alles verliert. Götz George wundert sich über seinen Ruhm. Er sei doch kein besserer Schauspieler geworden als früher. Höflich und überzeugt fügen wir unserem „richtig“ auch hinzu: „Aber auch kein schlechterer.“ Und die Fernsehfilme, von „Diamantendetektive“ bis „Tatort“, und Kinofilme sind auch nicht besser (jedenfalls nicht überwältigend viel besser) geworden. Es muß also an der Zeit liegen, an unserem derzeitigen Zustand, wenn Götz George zum, wie es scheint, einzigen, Star des deutschen Gebrauchskinos taugt.

3

Bei alledem ist die Karriere von Götz George auch ein Spiegel für die Brüche und Widersprüche in der Geschichte des deutschen Nachkriegsfilms. Er war, was immer darin persönliches Schicksal, Entscheidung oder Zufall war, ein Exponent dessen, was man eine zeitlang „Papas Kino“ nannte und hier und da für tot erklärte. George war, persönlich wie professionell, den kreativen Impulsen seiner eigenen Generation entfremdet wie einige andere, die sich allzu fraglos den Institutionen übereigneten. Sein festgeprägtes Bild vom Beruf des Schauspielers eignete sich nicht für die neuen Produktionsweisen, in denen von den Schauspielern gerade verlangt wurde, aus den Rollen zu fallen, sie zu kommentieren. Statt dessen wurde für Götz George die totale Hingabe an eine Rolle zur autoritativen Forderung. Aber die Tradition griff noch ganz persönlich nach ihm; „Freunde der Familie“ waren es, die seine frühe Karriere förderten. An eine andere Art der Berufsausübung war offensichtlich von Beginn an nicht zu denken. So verband sich von vorneherein seine Karriere mit „den Vätern“, mit einem Kino, das Perfektion und Identifikation mit den Arbeitsbedingungen forderte und für Kritik nur die Ausgrenzung kannte.

Götz George gehörte zu den sonnigen jungen Darstellern des „alten“ Films, die sich durch eine ins leicht Hysterische gesteigerte Kindlichkeit auszeichneten, die babyspeckgepolsterte Pummeligkeit auch noch der Teenager sollte da irgend etwas ins Lot bringen. Und wie um die Traditionen herauszustellen, erfreuten sich junge Darsteller besonderer Beliebtheit, die aus Schauspielerfamilien kamen wie Thomas Fritsch oder Romy Schneider, an deren Seite Götz George auch sein Filmdebüt gab, kurzbehost, in Hans Deppes WENN DER WEISSE FLIEDER WIEDER BLÜHT (1953). Und wie für Romy Schneider war es auch für Götz George schwierig, zunächst unmöglich, aus dem Zusammenhang herauszuwachsen, den die deutsche Filmkultur damals so biedersinnig wie unnachgiebig formte. Während Romy Schneider eine künstlerische Reife, oder was die Legende dafür hält, erreichte, als sie Deutschland verließ, war Götz George, trotz durchaus zu verzeichnender Erfolge auch im Ausland, der deutschen Kultur verhaftet. Sein Fluchtpunkt war das Theater. Seit Mitte der fünfziger Jahre teilte sich seine Karriere ziemlich exakt zur Hälfte je in einen Theater- und einen Filmteil, und vom Anspruch und Aufgaben her hatten beide herzlich wenig miteinander zu tun. Diese schöpferische Schizophrenie allerdings verdankte sich einer gewissen Strategie seiner Mentoren; Hilpert etwa, der seine Theaterkarriere förderte, setzte ihn auch für das Kino frei, das zunächst so gar keine anderen Aufgaben zu bieten schien als die seiner Altersgenossen und -genossinnen in Papas Kino: gesund und nett zu sein. In den Melodramen und Komödien der fünfziger Jahre blieb er der Junge im Hintergrund, der dem Glück der Älteren nicht im Wege stand und sein eigenes begründete.

Das änderte sich erst 1960 mit Wolfgang Staudtes KIRMES. Der „junge Deutsche“ war nun in einer anderen Position. Als Junge in Uniform, der kurz vor Kriegsende nicht mehr für Hitler sterben will und daraufhin von allen, selbst von den eigenen Eltern, im Stich gelassen wird, zeigte er; mit Einverständnis des Regisseurs hier und da „übertreibend“, zum erstenmal jene Intensität, mit der er einen Zerrissenen, einen Verzweifelten darstellen kann, einen Nicht-Erwachsenen, dem die Ideale zerstört wurden und der nun um sein Leben und seine Integrität kämpft.

Man bot ihm nun dramatischere Rollen; er war schon einsatzfähig als ein Gezeichneter, auch wenn eine gleichsam natürliche Kindlichkeit aus seinem Bild nicht zu tilgen war. Längst ein Profi in allen Belangen der Filmschauspielerei, blieb etwas Unfertiges an ihm; es war nicht so sehr das Imitierte in seinem Darstellungsstil als vielmehr das Nicht-Definitive, das absolute Fehlen von Arroganz und Verweigerung, was ihn möglicherweise daran hinderte, ein echter Star zu werden.

Kaum einer von den Filmen von Götz George aus dieser Zeit hat „überlebt“; die Kriminalfilme wie MÖRDERSPIEL (1961) nicht, die Thriller wie DAS MÄDCHEN UND DER STAATSANWALT (1963) nicht und auch Liebesfilme wie LIEBEN WILL GELERNT SEIN (1963) oder FERIEN MIT PIROSCHxA (1965) nicht. Überlebt haben auch die ambitionierteren Filme nicht, zum Beispiel die beiden unter der Regie von Edwin Zbonek entstandenen DIE FLUCHT (1963), die Geschichte eines Mannes auf der Flucht vor seinem Nazi-Bruder, und MENSCH UND BESTIE (1964) nicht. Vielleicht waren sie am deutlichsten Ausdruck der Unmöglichkeit, aus dem Schatten von Papas Kino zu ehrbaren Filmen zu kommen. Und dasselbe gilt für Wolfgang Staudtes HERRENPARTIE (1964), ein Film über die Unfähigkeit, aus der Geschichte zu lernen, die fast zu ihrer Wiederholung zwingt. Der Misserfolg dieses Filmes zwang beide, Staudte wie George, ihre Arbeit in den nächsten Jahren auf mehr oder weniger unbedeutende Genre-Produktionen zu verlegen. War es George schon nicht vergönnt, in der Edgar-Wallace-Serie zu reüssieren, so verzeichnete er immerhin einen Achtungserfolg in Alfred Vohrers einigermaßen zynischer James-Hadley-Chase-Version WARTEZIMMER ZUM JENSEITS (1964), wo er als junger Erbe eines ermordeten Millionärs die Umstände klärt und sich einmal statt in gewohnter Hemdsärmeligkeit in lässiger Eleganz versucht.

So seltsam es klingen mag, noch am ehesten seinem späteren Star-Image entsprachen seine drei Rollen in Karl-May-Western, DER SCHATZ IM SILBERSEE (1962), UNTER GEIERN (1964) und WINNETOU UND DAS HALBBLUT APANATSCHI (1965). Im Gegensatz zu den strahlenden Helden ist sein Tun von persönlichen Motiven bestimmt, verbinden sich privates Schicksal und gewalttätige Aktion, folgen einander Momente des Glücks und des Verlustes, die zu Ausbrüchen von Haß und Rache führen. Selbst hier ist sein Charakter gelegentlich so zwiespältig, dass er die Helden (und das Publikum) davon überzeugen muss, dass er auf der Seite der Guten steht, selbst hier muss er sich dem Bösen stärker annähern als andere.

In der Mitte der sechziger Jahre war die Karriere von Götz George so ziemlich auf dem Tiefpunkt angelangt. In europäischen exploitation movies spielte er den schlagkräftigen Helden, und einige von den Filmen steckten so voller Sex und Crime, daß selbst die gutmeinende konservative Filmkritik dem Schauspieler die Gefolgschaft versagte. Mit ICH SPRENG‘ EUCH ALLE IN DIE LUFT- INSPEKTOR BLOMFIELDS FALL NR. 1 (1968 – Regie: Rudolf Zehetgruber) wurde sogar versucht, George zum Serienhelden aufzubauen. (Immerhin war da schon der charakteristische Schnauzbart, mit dem vielleicht endgültig das Rundlich-Kindliche abgelegt werden sollte. Jedenfalls erscheint es uns leicht, alle diese Rollen, die actionbetonten ebenso wie die mehr melodramatischen, nun als „Vorstudien“ für den Schimanski zu interpretieren, der ja nicht weniger trivial ist als seine Vorgänger, sondern nur besser funktioniert.)

Götz George rehabilitierte sich als Schauspieler in Theodor Kotullas AUS EINEM DEUTSCHEN LEBEN (1977). In der Rolle des Kommandanten von Auschwitz Franz Lang bzw. Rudolf Höß holte Götz George unerbittlich den mörderisch angepaßten und strebsamen Kleinbürger in sich zum Vorschein. Das Gleichgewicht zwischen den Passagen, in denen der „Vollblutschauspieler“ George seine Fähigkeiten durch Ausbrüche und Übertreibungen unter Beweis stellen muss, und solchen, in denen er sich ruhig und konzentriert auf seine Normalität besinnt, ist hier verschoben. Es gibt nur wenige Ausbrüche, zum Beispiel wenn Höß‘ Kinder „Juden spielen“, ansonsten herrscht jene schreckliche, bürokratische Gleichmut vor, der Schimanski so panisch zu entfliehen trachtet, ohne es ganz zu können. Denn auch in seiner Nonkonformität kann er nicht die Gleichgültigkeit vergessen lassen, die gemeinhin sein Apparat gegenüber Tätern und Opfern produziert.

Die Rolle des beamteten Massenmörders, der sich stets auf die Befehle von oben berief, sei, so George, „eine große Belastung“ für ihn gewesen. Das autobiographische und therapeutische Spiel war hier an einen seiner Pole gelangt. In ABWÄRTS erfährt diese Figur noch einmal ihre moderne Variante: der Karrierist, der Ideen stiehlt und Menschen betrügt, um oben zu bleiben, der sogleich bereit ist, das Eigentum zu verteidigen, auch wenn es nicht sein eigenes ist, und sich von allem, von den Jungen wie von den Frauen bedroht fühlt, muss schließlich doch erfahren, dass er bereits ausgemustert, ausgerechnet durch die Frau, die er ständig bevormunden und „besitzen“ will, ersetzt ist. Doch im Gegensatz zu Franz Lang ist er kein Mörder, nur eine alltägliche Opfer-Täter-Gestalt.

Schimanski, wie gesagt, die Figur, mit der allein Götz George wirklich zum Star werden konnte, ist eine Synthese aus alledem und ein Protest, ein Fluchtversuch. Schimanski flüchtet vor der Selbsterkenntnis des universalen Kleinbürgers, der in der Kohl-Ära längst wieder die Sprüche von Patriotismus und Verpflichtung im Munde führen darf, dem schon längst wieder im Sinn steht, was er alles darf, wenn es Anordnungen, Befehle dazu gibt, der nach organisierter Gewalt gegen seine Feinde verlangt. Schimanski ist ein Polizist auf der Flucht vor dem Polizeistaat, dessen Garant, dessen Pionier er doch ist. Schimanski flüchtet vor der Selbsterkenntnis des Versagers in diesem System, der es nur auf dreitausend Mark monatlich bringt und nicht richtig zu Hause sein kann, in die Arme der Frauen, die dann so oder so für ihn sterben. Schimanski ist ein idealer Werbeträger für Bier, Hustenbonbons, Cola und Zigaretten. Er tut so, als bräuchte man Trotz, um so stinknormal zu sein wie er. Er ist unser Mann in der Scheiße, der genau weiß, welche Laster o.k. sind und welche nicht. Schimanski will nicht Franz Lang werden, nicht einmal sein Schatten, und ist es doch schon, so klar sind die Feindbilder gesetzt.

Und ist es doch vielleicht auch weniger. Mit ZABOU jedenfalls ist Schimanski auf dem besten Weg in die Wonnen der Serial-Abenteuer, der Comic strips, der superstilisierten Melodramen, des schlechten Geschmacks und der Selbstparodie. Vorläufig ist ihm die Flucht gelungen.

Autor: Georg Seesslen

Text veröffentlicht in epd Film 4/87