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Wie ein komödiantisches Gutfühl-Genre Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Familiengründungen auflöst und wie ähnlich und unterschiedlich europäische Filme dabei sein können 

Böse Menschen lesen Bücher von Thilo Sarrazin oder Akif Pirincci. Gute Menschen gehen ins Kino und freuen sich über Filme wie „Monsieur Claude und seine Töchter“ oder „Einmal Hans mit scharfer Soße“. Das dazugehörige Genre ist die Multikulti-Hochzeitskomödie, der wir bereits ein paar gute Exemplare wie „ The Wedding Banquet“ (1993) von Ang Lee verdanken, ein paar überraschend erfolgreiche wie „My Big Fat Greek Wedding“ (2002) und einige, über die wir hier nicht groß reden wollen. Filme dieses Genres verhandeln kulturelle Unterschiede, indem sie bei familiären Vorbereitungen einer großen Hochzeit ein paar rassistische, religiöse und politische Vorurteile aufeinanderprallen lassen, meistens in Form mehr oder weniger komischer Missverständnisse, die dann in wahrhaften Traumfeiern aufgelöst werden. Man kann ein bisschen lachen, man ist ein bisschen gerührt, und dann fühlt man sich eben besser.

Kulturelle Unterschiede kann man aber auch an Filmen des Genres selbst behandeln, zumal, wenn sie in ihren Plots und Absichten so ähnlich scheinen wie das deutsche und das französische Exemplar des Genres, die jetzt beide in kurzem Abstand bei uns in die Kinos kommen.

Multikulturelle Hochzeitskomödie Nummer eins: Die französische Variante

Im Bürgermeisteramt von „Chinon“  (wer will, kann in diesem Ortsnamen eine Anspielung auf „organische Verbindungen“ sehen, ansonsten sind die Loire-Täler eben auch so etwas wie ein „Quell“ des Französischseins) und der Familie „Verneuil“ (Waren Sie schon einmal in Verneuil-sur-Seine? Wirklich idyllisch.) werden  Jahr um Jahr die Töchter von Monsieur Claude vermählt. Ségolène hat den Chinesen Chao geheiratet, Isabelle den Muslim Rachid und Odile den Juden David. Die Miene von Monsieur Verneuil wird von mal zu mal mürrischer, die seiner Ehefrau Marie verzweifelter. Böse Menschen in der katholischen Kirche sticheln über die „Benetton-Familie“. Aber beim ersten großen Familientreffen  – nach der Beschneidung von Davids Sohn und ein paar mehr oder weniger harmlosen  Witzeleien –  kommt es beim in jeder Hinsicht etwas zähen Essen erst einmal zum Eklat. Jeder nennt jeden einen Rassisten, und die Eltern reisen erbost bzw. verzweifelt wieder in ihr Schlösschen in der Provinz. „Das ist kein Familienfest, das ist eine Antirassismuskonferenz“, schimpft Monsieur Verneuil. Einer schlimmer als der andere. Und was ist das denn: „Ein Jude ohne Geschäftssinn“!

Um die Wogen zu glätten, wird geraume Zeit später ein großes Versöhnungsfest zu Weihnachten in Chinon ausgerichtet, und das klappt auch einigermaßen, weil alle sich zusammennehmen und die Enkelkinder auch gar zu niedlich sind. Die Gelegenheit scheint günstig: auch die jüngste Tochter will sich verheiraten. Mit Charles. Einem jungen Mann aus guter katholischer Familie. Allerdings bringt es Laure nicht fertig, den Eltern zu gestehen, dass Charles von der Elfenbeinküste stammt: Ein „schwarzer“ Schwiegersohn ist das, was die bürgerliche Toleranzgrenze der Verneuils zu überschreiten droht. Mit Hilfe des Dorfpfarrers, der während der Beichte auf dem iPad Sonderangebote für geistliche Gewänder checkt, und der eines Psychologen, dessen bedeutendste Äußerung ein „mhmmm“ ist, überwindet Marie Verneuil ihre Depressionen. Was freilich die Toleranz seiner eigenen Familie anbelangt, so hat Charles ein klein wenig übertrieben. Der Vater ist nämlich genau so wenig begeistert davon, dass sein Sohn eine „Catherine Deneuve“ heiraten will, wie Laures Vater vom nächsten Schwiegersohn. Und genauso stur ist er  auch.

Die beiden Väter also müssen sich erst zusammenraufen, und weil das Genre so seine Standards hat, ist es kein Spielverderben, wenn man verrät: Die zwei werden die besten Kumpel (wobei Hecht-Angeln, Calvados, „Negerküsse“ und ein Gefängnis eine gewisse Rolle spielen), die Hochzeit wird ein rauschendes Fest, und alle tanzen Zumba, was zwar kein afrikanischer Tanz, sondern ein aus Lateinamerika stammendes kommerzielles Fitness-Bewegungsspiel ist, aber was soll’s. Jedenfalls sind alle supersympathisch.

Multikulturelle Hochzeitsphantasie zwei: die deutsche Variante

Auch „Einmal Hans mit scharfer Soße“ beginnt mit den Vorbereitungen, wenn nicht zu einer Hochzeit, so doch zu einem Familien- und Kennenlern-Ritual. Die „türkischstämmige“ Hatice (Idil Üner) will, weil ihre Schwester den Mund nicht halten konnte, ihren deutschen Freund dem Babba vorstellen, der im Laufe der Jahre seine Schwiegersohn-Anforderungen von einem türkischen Mann über einen Moslem zu überhaupt irgendeinem heruntergeschraubt hat. Unterwegs kommt es aber zum Streit, hauptsächlich deswegen, weil dieser Hans (sie heißen doch alle Hans, oder?) in seiner gründlichen Deutschheit am liebsten türkischer als die Türken wäre. Und das gibt auch die Plot-Struktur vor: Hatice, als älteste von vier Schwestern (Vier Schwestern schon wieder? Scheint sich um eine Art Himmelsrichtungen-Metapher zu handeln, wer weiß), muss unbedingt einen Schwiegersohn präsentieren, weil ihre Schwester Fatma schwanger ist und dringend heiraten will. Das darf sie aber, so will’s die Tradition, erst, wenn auch die ältere verheiratet ist. Hatice also präsentiert Schwiegersöhne in spe, und immer geht es schief: Beim Blind Dating geben sich Vollpfosten und Ignoranten die Klinke in die Hand. Der (obligatorische) schwule Freund, der die Rolle übernimmt, verrät sich und gleich ein Mitglied der türkischen Nachbar- und Konkurrenz-Familie mit. Ein in Frage kommender türkischer Arbeitskollege muss ausgeschlossen werden, obwohl er aussieht wie das love interest in einer Utta Daniela-Verfilmung, weil er keine türkische Frau mag. Und dann tritt eben doch Mr. Right-Hans in Hatices Leben. Zum mittlerweile notorischen Familien-Test kommt er aber auch nicht (es hat wohl etwas mit Basketball und Freiheit zu tun). Also wird der allererste Hans noch einmal eingespannt; fatalerweise taucht aber auch der letzte doch noch auf. Und ein Schwiegersohn zu viel ist noch schlimmer als einer zu wenig. Fatmas Hochzeit findet natürlich trotzdem statt, Hatice und ihr Vater versöhnen sich, der im übrigen alles durchschaut hat und ein Hochzeitskleid aussuchen hilft, in dem man die Schwangerschaft nicht so sieht.

Dazwischen gibt es Auftritte der Bewohner eines „anatolischen Dorfes“ (das bekanntlich jeder türkische Mensch in Deutschland als Mini-Ausgabe mit sich herumträgt), die Hatice, wie eine gewisse Grille den Pinocchio, vor größeren moralischen Verfehlungen zu bewahren versuchen und nur für kurze Zeit einmal ausgesperrt werden müssen, und einen regelmäßigen Autostop Hatices auf dem Weg zum Elternhaus (in Salzgitter, was eine gewisse Bedeutung zu haben scheint), bei dem sie den Mini durch einen „Vaterrock“ ersetzt. Richtig glücklich scheint dieser Vater übrigens nur, wenn er an seinem Grill stehen darf (oder ihn bedächtig säubert), während die Mutter auf nichts so stolz ist wie auf ihre Kochkünste („Ich nicht gehen Restaurant“) und die deutsche Sprache schipiricht, um sicher zu gehen, dass ihr Schiwiegersohn kein Schiweinefileisch esse. Natürlich sind alle supersympathisch.

Postnationalismus und Superfamilie

Natürlich kann man zunächst einmal auf die Unterschiede dieser beiden thematisch verwandten Filme auch in qualitativer Hinsicht weisen (wir sind hier ja in einer „Filmkritik“): Der Film von Philippe de Chauveron, in Frankreich übrigens ein Kassenerfolg, ist weitaus eleganter, unbekümmerter und detailreicher als Buket Alakus’ Verfilmung des autobiographischen Romans von Hatice Akyün, die um etliches schwerfälliger wirkt durch die so spürbaren Bemühungen, nichts falsch und vor allem alles leicht zu machen. Jede Pointe, jedes Statement, jeder noch so vorsichtige Kritik-Ansatz wird einem imaginären Mainstream-Publikum nach getragen. Es ist ein deutsches Dilemma, so scheint’s, dass man selbst bei einem komischen Selbstläufer wie einer Culture Clash-Komödie noch mit ein paar Ausrufezeichen darauf hingewiesen werden muss, dass man jetzt lachen soll. Wenn es einen Witz über die Schuh-Manie türkischer Frauen gibt, kommt garantiert in der nächsten Einstellung eine Kamera-Fahrt über ein Schuhregal. Die französischen Schauspieler haben Raum für kleine Extempores und dürfen hier und da etwas dazu improvisieren, die deutschen halten sich mehr an ihre Texte. Alles, vom Zuknöpfen eines Mantels bis zur Überlassung von Autoschlüsseln, hat einen Symbolwert; keine Situation wird je einmal sich selber überlassen.

Das hat sicherlich auch mit den unterschiedlichen Bezugspunkten der Filme zu tun. De Chauveron und sein Hauptdarsteller Christian Clavier (der erste Schauspieler, der Asterix einen Charakter gab) beziehen sich auf Vorbilder wie Pierre Etaix oder auch Louis de Funès (dessen „Rabbi Jacob“ mehrfach zitiert wird). Der cineastische Anker von „Einmal Hans mit scharfer Soße“ dagegen scheint im Schlick der deutschen Mittelstands-Beziehungskomödien der achtziger Jahre und der Fernsehproduktionen dieser Tage zu hängen. Will sagen: Die einen haben Körper, die anderen haben Rollen.

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Aber spannender als diese Unterschiede sind gewisse Gemeinsamkeiten. Beide Filme sehen die Lösung aller kulturellen Konflikte in der Bildung neuer, großer Familien, wobei es durchaus bemerkenswert ist, dass die „deutschen“ Protagonisten in „Einmal Hans mit scharfer Soße“ gar keine Familien mehr zu haben scheinen und sich vielleicht um so mehr nach einer „Aufnahme“ in die Wärme der komisch-quirligen „Türken-Familie“ sehnen. In beiden Filmen gibt es eine Szene, in der sich – musikalisch – das Familiäre in das Nationale ergießt: In „Monsieur Claude und seine Töchter“ rühren die jüdisch-arabisch-chinesischen Schwiegersöhne das gaullistische Herz von Monsieur Verneuil, indem sie gemeinsam Hand aufs Herz und ohne kleinste Textunsicherheit die „Marseillaise“ singen; in „Einmal Hans mit scharfer Soße“ summt die Mutter, die am Ende stolz den deutschen Pass präsentiert und den Schwiegersohn in spe nach der Anzahl der deutschen Bundesländer fragt, frohgemut die deutsche Nationalhymne. In beiden Filmen kommen nur Menschen in gesicherten ökonomischen Verhältnissen vor; in dem deutschen Film sehen wir eine Putzfrau nur in der Funktion einer Möchtegern-Kupplerin, im französischen Film dagegen signalisiert eine beiläufig präsentierte Szene von einer Putzfrau, die sich beim Nahen ihrer Herrschaften eifrig in die Arbeit stürzt, wie auch im postkolonialen Afrika Klassenverhältnisse wirken. Was dies anbelangt ist es natürlich wiederum von Bedeutung, dass die emanzipierte „Türkin mit deutschem Pass“ irgendwas mit Medien macht, und zwar ist sie für „Mode und Gesellschaft“ zuständig, ihr männlicher Kollege Ali Dreitagebart dagegen für „Kultur und Medien“. In dieser Eigenschaft kann Hatice auch darauf hinweisen, dass für viele türkische Frauen das Kopftuch kein Unterdrückungssymbol sondern ein modisches Acessoire ist. Wer’s nicht ganz glauben mag, braucht nur Hatices Schwester ansehen. Auch die jüngste Verneuil-Tochter ist „beim Fernsehen“, doch als der vom Vater ausgesuchte Kuppel-Kandidat ihr deswegen Komplimente macht, von wegen Gut-Aussehen und Journalistin, antwortet sie trocken: „Ich bin in der Rechtsabteilung“. Es ist eben ein Unterschied, ob man Klischees „widerlegt“, oder ob man sie ins Leere laufen lässt.

Während im französischen Film die Familie rundum triumphiert (und die Schwiegersöhne sogleich auch gemeinsame Geschäfte planen), geht es im deutschen Film um die Versöhnung von türkischem Traditions- und Familiensinn mit dem deutschen Selbstfindungs- und Autonomie-Modell. Die neue, post-xenophobe Französischkeit, der sich die erweiterte Familie Verneuil hingeben darf, unterscheidet sich daher deutlich vom deutsch-türkischen Toleranz-Edikt, bei dem es eben nicht um die Bildung eines neuen Zentrums, sondern um die Möglichkeit geht, auf „versöhnte“ Weise seiner eigenen Wege zu gehen.

In beiden Filmen gibt es einen Heiratskandidaten, den man auch in diesem heiratswütigen Genre partout ausschließen will. Im deutschen ist der Pharmazie-Student, der ganze Stolz des Vaters, und im französischen ein schnöseliger junger Betriebswirtschaftler, der sich in amerikanischen Firmen umgetan hat. Was sagt uns das?

In der französischen Variante ist ein großer Schritt der Integration längst getan, da alle Beteiligten ein perfektes Französisch sprechen (höchstens, dass man in Afrika das R ein bisschen rollt) und sich in den sozialen Subsystemen zwischen Ökonomie, Recht und Kunst zu bewegen wissen. Eine eigentliche „Arbeit“ der Integration ist also nicht mehr vonnöten; dass alle „Franzosen“ sind, steht außer Frage. Dagegen lautet der erste Satz von „Einmal Hans mit scharfer Soße“: „Ich bin eine Türkin mit deutschem Pass“. Und am Ende ist die Mutter so stolz darauf, einen deutschen Pass bekommen zu haben, wie einen türkischen zu behalten. Obwohl der deutsche Film alle möglichen Konflikte sanfter und vorsichtiger anpackt, setzt er von Anfang bis Ende der „Integration“ eine sehr distinkte Grenze. Deswegen endet er auch nicht mit einer „orgiastischen“ Feier des in der multikulturellen Familie neu entstandenen Menschen (eines multikulturellen „Superfranzosen“ sozusagen), sondern nur mit der Entlassung und der Entlastung der Heldin (als einem von vielen Menschen, die es lernen, mit einer gespalteten Identität zu leben). Und jetzt ist der Vater schon zufrieden, dass es nur einen Hans gibt. Und die Zuschauer natürlich auch. Denn die Antwort auf das Chaos der Welt ist ein neues Biedermeier.

Der türkische Patriarch in „Einmal Hans mit scharfer Soße“ ist in Wahrheit der verständigste und toleranteste von allen (für die Komik im Culture Clash ist eher die Mutter zuständig, die das eigentliche Regiment führt), die zwei Väter von „Monsieur Claude und seine Töchter“ geben sich dagegen an heftiger Reaktion nichts nach: Als Charles Vater André Koffi erfährt, dass die Töchter Verneuils einen Araber, einen Juden und einen Chinesen geheiratet haben, ist er erstaunt: Was sind das für Leute? Sind das Kommunisten? Aber nein, Claude Verneuil und André Koffi sind beides gute Gaullisten; am Ende hat unser Asterix seinen Obelix gefunden. Er ist also schwarz? Bof! Hauptsache man ist sich einig. Was die Familie, die Ordnung, die Nation und das gute Essen anbelangt. In beiden Filmen ist übrigens das Kulinarische ein wichtiger Schlüssel zum kulturellen Dialog; im französischen Film schließt er, im deutschen Film macht er die Beteiligten eher ratlos.

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Schwestern-Umarmungen sind in beiden Filmen Schlüsselbilder. Die Verweiblichung von Geschichte und Gesellschaft ist ein wichtiges Ferment der multikulturellen Superkultur. Und doch ist ein merkwürdig restauratives Element am Werk: Die patriarchale Familienstruktur wird eher genutzt als in Frage gestellt. Das Anti-Ödipale macht die internen Konflikte der Familien weicher, aber auch undeutlicher. Keine von diesen Töchtern, in Frankreich wie in Deutschland, scheint auf die Idee kommen zu können, den ganzen Heiratsquatsch zu lassen, oder sich wenigstens weniger Sorgen um die heile Welt des Vaterherzes zu machen; nicht eine von ihnen wagt einen Augenblick die Rebellion gegen die Instanzen von Familie, Tradition und Staat. Zwar müssen oder wollen sie, im Gegensatz zu ihren Müttern, berufstätig sein. Aber zur gleichen Zeit arbeiten sie voller Eifer mit am Weg zurück, zu den ein bisschen offener gewordenen Familien, zu den ein bisschen toleranter und tolerierbareren Religionen, zu den post-nationalistischen aber deswegen nicht wirklich unchauvinistischen Formen des Französisch-Seins oder des Deutsch-Seins. Zur Restauration des Vater-Zentrums.

Es geht wieder einmal um das Zauberwort: Identität. Und da beginnen sich Form und Inhalt der beiden so gleichen und doch so verschiedenen Integrations- und Toleranz-Hochzeitsphantasien zu entsprechen. Der französische Film bietet eine kontinuierliche Dramaturgie: Drei Feste, auf denen sich jeweils Entscheidendes tut. Konflikt, Retardierung, Lösung. Der deutsche Film dagegen variiert immer wieder die gleichen Situationen und vermittelt, selbst da, wo es emotionaler wird, das aufdringliche Gefühl, auf der Stelle zu treten. Es wird hier nichts der supra-französischen Großfamilie entsprechendes geben, das Türkische und das Deutsche bleiben in einer gespannten Distanz, in einer Gesellschaft, in einer Familie, in einem einzelnen Menschen. Die erhoffte Entkrampfung will in der deutsch-türkischen Komödie einfach nicht gelingen. Das ist nicht nur der Vorlage und dem allzu bequemen Konzept der Regisseurin geschuldet; es ist vielleicht einfach wirklich so.

Aber ob nun ein multikultureller Superfranzose oder ein türkisch-deutsches Doppelwesen entsteht, es ist nicht zu haben ohne ein Bekenntnis zu einem erzkonservativen, rundum anschlussfähigen, karrieristischen, sozial bornierten, korrumpierbaren und privatistischen Lebensstil. Und wieder ist es der französische Film, der dafür ein Bild findet, das wenigstens an der Oberfläche der rauen Wirklichkeit kratzt: Als sich ein arabisch-stämmiger jugendlicher Angeklagter an Rachid, den Anwalt, der seine Verteidigung führt, mit der Anrede „Bruder“ wendet, faucht er ihn an: Ich bin nicht dein Bruder. Ich bin dein Anwalt. Dazu macht er ein ziemlich verdrießliches Gesicht. Da kotzt ihn etwas gewaltig an. Und vielleicht arbeitet auch etwas in ihm. Um so wichtiger, sich sogleich mit dem Mobiltelefon wieder mit der Familie zu verbinden.

Dass sich hinter den kulturellen auch ökonomische und soziale Konflikte verbergen, wird in beiden Filmen vollkommen ausgeblendet. Keiner von ihnen riskiert einen Blick über eine mehr oder weniger geschlossene bürgerliche Welt hinaus. Nicht dorthin, wo zu sehen wäre, dass das Schlösschen der Familie Verneuil in Chinon ebenso wie der Grillgarten der Familie Coskun in Salzgitter nur Inseln eines befristeten Glücks sind. Wie wird man die verteidigen?

Gibt es womöglich Leute, die Akif Pirincci lesen und „Einmal Hans mit scharfer Soße“ gucken? Gibt es Leute, die Marie Le Pen wählen und „Monsieur Claude und seine Töchter“ gucken? Und die sich bei beidem wohlfühlen? Das wird man doch noch mal fragen dürfen.

Georg Seeßlen

Dieser Text ist zuerst erschienen in: DIE ZEIT, 10-07-2014

Bilder: Monsieur Claude und seine Töchter“ (Neue Visionen Filmverleih) 

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