Nächtliche Stadt. Ein ziemlich schmieriger Typ fährt rauchend sein Auto. Schnitt. Eine Oper. Eine hochschwangere Frau wankt in den Gang; ihr Mann, der schmierige Typ von vorhin, guckt Tennis im Minifernseher und kümmert sich nicht besonders darum, nimmt stattdessen ein Opernglas, um seine Freundin zu beobachten, die ihm ein paar drastisch-laszive Szenen vorspielt. Schwein, das!

Im Krankenhaus wird auch Tennis geguckt; das harte „Poc“ der Aufschläge klingt wirklich böse, und die „ough“-Keucher der Aufschläger wirklich obszön, das ist mir schon aufgefallen, wenn irgendwo Tennis im Fernsehen lief und daneben das Leben ganz normal weitergehen wollte. Die Krankenschwester, die die Heldin des Films sein wird, beobachtet eine blinde Frau, die sich befummelt und verfolgt sie. Man sieht den blutigen Bauch einer Frau.

Der schmierige Typ kommt mit seinem Armschlitten zu einer Familie: Als er ihr gerade irgendwelche Oxygen-Unfugmaschinen anzudrehen versucht, kommt die Krankenschwester, um den Tod der Tochter mitzuteilen. Der Vater dreht durch, hält alles für ein ausgemachtes Betrugsmanöver und schießt mit dem Revolver aus dem Fenster. Man entkommt gemeinsam. So beginnt alles mit einem Frühstück (der Kerl ist übrigens so mies, daß er Büchsenmilch aus der Milchbüchse trinkt, wenn’s niemand sieht), einem Beischlaf und einer schmierigen Idee: die Krankenschwester soll Adressen von Patienten besorgen, damit der Kerl den armen Leuten seinen Unfug verkaufen kann, der ihnen falsche Hoffnungen macht.

Aber dann sieht die Krankenschwester zuerst, daß sie einen furchtbaren Fehler gemacht hat, und dann, wie schmierig der Typ eigentlich ist. Aber da ist es schon zu spät, der Pariser ist geplatzt – Entschuldigung, aber so heißt es im Dialog – und das Verhängnis nimmt wieder mal seinen Lauf.

Die Beziehung zu der blinden Frau kann kein gutes Ende nehmen, sie stürzt sich vom Dach, und was da bei der Abtreibung an die Welt kommt, das gibt’s doch nicht, wie der Arzt sagt, der vielleicht heimlich in die Krankenschwester verliebt ist. Der Böse schwängert auch noch die Freundin der Heldin, die es ganz buchstäblich im Auto zerreißt. Da erschießt die Krankenschwester den Bösen, der Arzt hilft ihr zu entkommen. Am Schluß war wahrscheinlich alles nur ein schlimmer Traum bei einer Frühgeburt; der Mann ist aber wirklich so schmierig.

Das Prinzip des Films ist die verschachtelte endlose Wiederholung. Der miese Typ macht die Frauen mit den immer gleichen Sprüchen an, sagt, er halte sie für eine Schwedin, und daß das ein Kompliment sein soll, die Rollen wiederholen sich in Traum und Wirklichkeit, und daß es um die Leiden des Wegs ins Leben, die Analogie von Geburt und Tod geht, drängen die Bilder mehr auf, als daß sie es erfahren lassen.

Ein kleiner Horrorthriller, der an der Überdeutlichkeit seiner Konstruktion, seiner Typen und seiner Neurosen leidet und an der Aufgeblasenheit seiner Geheimnisse; ein Film, der manchmal recht passable Bilder findet, aber nie in die Gänge kommt, weil er sich zu lange mit seinen wirklich schaurigen Nonsens-Dialogen aufhält. Was, zum Beispiel, will man, wenn man morgens todmüde von der Nachtschicht nachhause kommt und nicht schlafen kann? „Eine kleine Belohnung“. „Ja, eine kleine Idee kriegen von einem anderen Leben.“ Oder so: „Sie können mir nicht helfen, Sie machen alles nur noch schlimmer, merken Sie das nicht?“ – „Machen Sie einmal, nur einmal das, was ich Ihnen sage … Sie haben eben einen Mann erschossen. Sie müssen Vertrauen zu mir haben.“ Am Ende, als hätten wir es immer noch nicht verstanden: „Es gibt eine Tür, durch die wir alle gekommen sind. Niemand geht da gern durch. Aber jeder weiß, daß er da eines Tages durchgehen muß.“ Etc. Ich wette, solche Dialoge würden in einem schnelleren, vielleicht auch in einem lustvolleren Film nicht so auffallen. Hier aber scheint es, als ginge es überhaupt vor allem um diese glücklosen Wort-Tennisspiele vollendeter Tautologien.

Verflucht sei das Drehbuch, das deutsche Drehbuch, das Drehbuch des deutschen Drehbuch-Films. Dabei müßte doch, wie Truffaut sagt, alles geschehen, während man zuschaut, müßten Filme mindestens so beobachtet wie inszeniert sein, gerade dann, wenn sie sich mit dem Trick der Genre-Muster solche Intimität ergaunern wollen. Es ist aber nichts zu inszenieren, was nicht da ist, nicht in den Schauspielern und nicht in den Worten. Die Angst ist in diesem Film nicht zu sich gekommen, sie hat sich nur noch besser versteckt hinter blanker Denunziation. Die Beziehungskisten des neuen Mittelstandes sind verrottet, Aids lauert, und das Böse hat die fettglänzende Gestalt aus einem viktorianischen Melodrama. Der Regisseur versucht uns etwas vorzumachen: er habe Bilder für etwas gefunden, für die Nicht-Liebe, die Einsamkeit und den Nicht-Tod. Für etwas, das die Männer den Frauen antun und die Natur den Menschen. Aber er hat nur Bilder für ein Drehbuch gefunden, das gar nichts sehen will, aber von seiner Macht nicht für einen Augenblick lassen will. Verflucht sei das Drehbuch und so weiter.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht  in  epd film