Kaum etwas gibt das destruktive Verhältnis von Beschleunigung, Globalisierung und populärer Mythologie so genau wieder wie unsere verrückte Liebe zum Automobil, die, wie jede Liebe, ihre weißen und ihre schwarzen Seiten hat. Irgendwann musste David Cronenberg, der Meister der Obsessionen zwischen Technologie und Körper, sich diesem Thema widmen. CRASH erzählt eine Liebesgeschichte zwischen menschlichem Fleisch und metallischen Maschinen, so wie vor 30 Jahren Jean-Luc Godard in WEEKEND die tödlichen Liebesgeschichten zwischen dem Kleinbürger und seinem mechanischen Statussymbol erzählte. Und während bei Godard, auch im Tod, der geschlechtliche Status sich über die Maschine stabilisierte, so zerfließen, auch im Tod, die Grenzen der Geschlechter in David Cronenbergs Film.

Eine Frau, die sich lasziv auf einem glänzenden Automobil einem unsichtbaren Mann anbietet; ein Regisseur, der eine Mitarbeiterin zum Quickie in einem Studio-Nebenraum drängt. Auf dem Balkon eines Hochhauses, weit über dem Straßennetz, auf dem sich unablässig die Autos bewegen, wie der Blutstrom der Stadt, stehen James und Catherine Ballard und erzählen sich die Sex-Abenteuer des vergangenen Tages und erregen sich daran. Dann ist James Ballard auf der Straße unterwegs; ein Augenblick der Unachtsamkeit, und das Auto stößt frontal mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammen, was dessen Beifahrer das Leben kostet. Wie in Trance und in einem Gewirr von Blut und geborstenem Metall sehen sich Ballard und die Fahrerin des anderen Wagens, Helen Remington, in die Augen. Im Krankenhaus begegnet er ihr wieder, später noch einmal, als er das Wrack seines Autos besucht. Rasch und heftig schlafen die beiden miteinander, als müssten sie etwas Versäumtes nachholen. Helen führt Ballard in eine Gruppe, deren Mitglieder sich ganz dem Schauspiel von Autounfällen verschrieben haben. Zunächst wird er Zeuge, wie berühmte Autounfälle vor Publikum nachgespielt werden; heute gibt man den Tod von James Dean. Der Initiator dieser makabren Veranstaltung ist Helens Arzt Vaughan, der Ballard schon im Krankenhaus durch seine beinahe gierige Art aufgefallen ist, mit der er seine Narben und Wunden betrachtete.

Zu der Gruppe gehören noch der Fahrer Colin, der an der Rekonstruktion des tödlichen Autounfalls von Jayne Mansfield arbeitet, und Gabrielle, deren Körper nur durch metallene Beinschienen in Funktion gehalten wird. Videoaufnahmen von Autounfällen dienen als Aphrodisiaka in dieser seltsamen Gruppe, der sich schließlich auch Catherine anschließt. Vaughan ist so etwas wie ihr Philosoph; er schwärmt von der „Umformung des menschlichen Körpers durch moderne Technologie“ und meint damit immer neue Zusammenstöße von Sexualität und technologischer Gewalt. Als sie zu einem Unfallort kommen, den sie mit einer zärtlichen Neugier und kindlicher Lust inspizieren, entdecken sie den Unfallverursacher: Colin, der in Frauenkleidern und Perücke den Unfall von Jayne Mansfield nachgelebt hat. Die Rituale steigern sich, die Gruppenmitglieder inszenieren miteinander Unfälle, und am Ende stößt James den Wagen seiner Frau über eine Böschung, um mit ihr unter den Trümmern zu schlafen. Auch sie ist über diese unsichtbare Grenze gegangen, die man offensichtlich nur durch den Crash erreicht.

Der Film entstand nach dem Roman von J.G. Ballard (der Name der Hauptfigur verweist auf den Autor), der freilich noch ganz in der Tradition der aufklärerischen, kritischen Science-fiction der siebziger Jahre steht. Ballard will vor der „Erotisierung des Autos“ warnen und entwirft dabei zugleich, was Cronenberg eine „Psychologie des 21. Jahrhunderts“ nennt. Während Ballard diese jedoch rationalisiert, als eine gesellschaftlich produzierte erklärt, nimmt Cronenberg sie sozusagen als gegeben, er versucht, sie zu zeigen, was heißt, er versucht einmal mehr „das Unzeigbare zu zeigen“. Seine Figuren leben zwar in einer Welt, die der unseren ausgesprochen ähnlich sieht, ihr Innenleben, ihr Begehren und ihre Motivationen aber gehören einem anderen Universum an, einer anderen Seelenkonstruktion, die die Figuren annehmen, sobald sie in einen Autounfall verwickelt worden sind. Der Unfall ist nicht nur der grimmige Flash, der die Protagonisten süchtig macht, er ist auch das Tor zu einem vollkommenen Umbau der Persönlichkeit, der erste Schritt jener „Umwandlung“, von der Vaughan spricht.

Diese Psyche des 21. Jahrhunderts, zu der der Autounfall nur ein Schlüssel sein mag, entwickelt sich jenseits der Trennung von Innen- und Außenwelt, zeigt den ich-losen, un-biographischen Menschen: James Spader, unfertig, ein wenig leer das Gesicht, einer, der nie zum reagierenden Subjekt wird, sondern alles ihn Umgebende wie ein Schwamm aufsaugt und reproduziert (eine ideale „Leerstelle“ in der nicht-mythischen Erzählweise des Films: das Abbild „kalter“ Neugier); im Drogennebel Rosanna Arquette, die um so mehr Körper wird, je weniger natürlich er ist; Deborah Unger, die narzisstische „kühle Blonde“ (wie von Hitchcock erfunden), die sich darbietet, aber den Blick abwendet: die nervöse, intensive Holly Hunter, Inbegriff der Erfolgreichen. Alle diese Figuren haben eigene Strategien, Abweisung und Distanzlosigkeit miteinander zu verbinden. Schon vor dem jeweiligen Crash-Erlebnis sehnen sie sich nach Verbindungen ihres Körpers mit der Maschine, wollen die Kälte im Augenblick der größten Hitze spüren. Diese Menschen „erleben“ nicht, selbst ihre Begierde, selbst ihre Furcht ist etwas, das erscheint, als wäre es außerhalb von ihnen selbst. Aber eben darin liegt auch ihre Chance: Sie definieren sich selbst vollkommen autonom, erfinden den Körper, die Sexualität, das Begehren für sich neu. Die Crash-Süchtigen sind, anders besehen, auch eine Gruppe von „Autoren“ (und stehen daher in der Reihe der Cronenberg-Helden); an die Stelle der Ich-Bildung tritt möglicherweise in der Psychologie des 21. Jahrhunderts das Motiv der Ich-Erfindung. Der Automobil-Crash ist dafür das optimale Medium, weil er das Symbiotische zwischen Mensch und Maschine zugleich aufhebt und, auf einer höheren Ebene, bestätigt. Mensch und Maschine durchdringen einander im Crash und in der nachfolgenden Renaissance. Der „Leere“ dieser Charaktere steht die vernarbte Eindeutigkeit von Elias Koteas als Vaughan gegenüber, der möglicherweise am weitesten fortgeschritten ist in der Umwandlung, aber zugleich, wie alle Propheten, der Vergangenheit mehr angehört als seine Jünger. Bezeichnenderweise kehrt sich bei ihm die Reihenfolge von Crash und Sex um; Ballard wird zuerst verführt und dann mit dem Automobil attackiert.

Cronenbergs Film scheidet, seit seiner Uraufführung in Cannes, wieder einmal die Geister. Während die einen in ihm „langweilige Pornographie“ sahen, erkannten die anderen ein „absolutes Meisterwerk“. Er ist nichts von beidem und etwas Besseres: ein Film, in dem und mit dem es sich zu denken lohnt, und zwar über das zur Zeit Denkbare hinaus. Aber noch überschreiten wir die Grenze nicht. Nein, gewiss nicht seine Besessenheit, sein skandalöses Spiel mit einer Todesgeilheit macht CRASH zu einem eher schwächeren Cronenberg (was immer noch heißt: einem weit überdurchschnittlichen Film), sondern seine Vorsicht, seine Distanz.

Er zeigt diese Besessenheit, rückt ihr, nicht ohne Schamlosigkeit gelegentlich, auch nahe, aber nur in wenigen Augenblicken läßt er sich wirklich von ihr anstecken. Der Kreis schließt sich am Ende, Ballard hat auch seine Frau auf die andere Seite geholt, und vielleicht war alles nur Traum und Inszenierung für eine dann doch wieder romantische Liebesgeschichte. Der Schritt in die Seele des 21. Jahrhunderts ist uns ebenso notwendig wie verwehrt.

Es gibt allerdings ein paar Szenen, die unvergesslich bleiben werden: Rosanna Arquette, die mit ihren metallenen Beinschienen zur Probefahrt in ein neues Auto steigt und sich wie eine scharfe Verstrebung ins Polster bohrt; der Verkäufer leidet und weiß nicht , wie er das seinem Boß erklären soll; Arquette ist auf eine teils bekiffte, teils philosophische Art glücklich. Da ahnt man etwas vom Leben auf der anderen Seite. Oder das Blut, der tote Hund, die Perücke in der Rekonstruktion von Jayne Mansfields tödlichem Unfall: ein Bild, das radikaler als alle anderen die Frage nach der Kunst stellt. Cronenberg entwirft, darin ungeheuer konsequent, diese Begegnung mit etwas völlig Fremden in einer durch und durch normalen Welt. Nein: die global beschleunigte Normalität ist der Grund dafür, warum die Grenze überschritten werden muss. Darum ist CRASH zugleich die gelungene Verfilmung von Ballards Buch und der Widerspruch dagegen. Es kann so kommen!, mahnt Ballard. Es muss!, fügt Cronenberg hinzu.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd film 11/96