Von der Schlacht in die Schule
Yussef Bazzis Roman erzählt von einer ­Jugend im libanesischen ­Bürgerkrieg zwischen Töten und Saufen und Die-Schulbank-drücken

Mögen tut man ihn nicht: Yussef Bazzi ist ein Angeber, ein Chauvinist, er tötet Menschen und trinkt zu viel; auch Nachdenken gehört nicht zu seinen Stärken. Andererseits ist Bazzi gerade 14 Jahre alt als er seine erste Schlacht im Libanonkrieg 1980 mitmacht. Wer würde eine Pubertät im Bürgerkrieg überstehen, ohne zu verrohen?

Yassir Arafat sah mich an und lächelte ist das erste Prosastück des inzwischen wieder in Beirut lebenden Autors Yussef Bazzi. Zuvor hat der 1966 in Bereit geborene Schriftsteller und Journalist sich mit vier veröffentlichten Lyrikbänden einen Namen in der arabischen Welt gemacht. Sein Geld verdient er sich als fester freier Autor für die Beiruter Tageszeitung al Mustaqbal, die von der Familie des 2005 ermordeten ehemaligen Premierminister Rafik Hariri herausgegeben wird.

In seinem Roman erinnert sich Bazzi, wie er innerhalb von sechs Jahren vom marginalen Helfershelfer zum immer noch unwichtigen, aber einigermaßen entlohnten Söldner aufsteigt. In einer maximal emotionslosen Weise beschreibt der Ich-Erzähler seinen Alltag während des libanesischen Bürgerkriegs. Ein Alltag, der vom Exzess, von der Angst und dem Fehlen jeder Empathie bestimmt ist. Auf sterbende oder tote Menschen in unmittelbarer Nähe reagiert der junge Anti-Held, indem er von seinen eigenen physischen Schmerzen berichtet: „Ich stolpere über eine Leiche, stürze und stehe auf mit schmerzendem Knie.“

Auch verzichtet der Erzähler darauf, einen politischen Überbau zu kolportieren. Der Leser erfährt nicht, warum die jungen Männer kämpfen, sondern nur, dass und wie sie es tun. Zumeist laufen sie auf Befehl einfach in das umkämpfte Territorium hinein, schießen ihre Magazine leer, und rennen dann weg, sofern sie das noch können. Gelegentlich exekutieren sie auch Gegner, aber über solche Zwischenfälle wird kaum gesprochen. Als Kämpfer beobachtet Bazzi jene Hinrichtungsszenen und lässt sie unkommentiert. Als Erzähler listet er sie gleichfalls ohne Kommentar auf. Er selbst scheint sich an ihnen nicht beteiligt zu haben. Jedenfalls erzählt er nichts davon. Und ebenfalls im Gegensatz zu seinen Kameraden hat Bazzi immer Glück. Die Kugeln und Granaten treffen stets die anderen.

Das Besondere und auch schwer Erträgliche an diesem Kriegsbericht ist die gleichgültige Grundhaltung des Erzählers. Bazzi unternimmt noch nicht einmal den Versuch, das eigene Töten oder sonstige Tun zu rechtfertigen. In einem Interview sagte er 2008: „Für uns war Politik eine Art Religion. Gegenüber der ‚Sache’, wie wir es nannten, war unser Leben und das der anderen billig. Ich persönlich habe nicht verstanden, worum die Politik sich tatsächlich gedreht hat. Das kam erst viel später.“

Damals war das Soldatwerden für den vaterlosen Bazzi schlicht die einfachste Möglichkeit, erwachsen zu werden. Er hatte keine Lust mehr auf sein Elternhaus und auf seinen Stiefvater, also besorgte er sich eine Uniform: „Sommer 1981. Ich bin 14 Jahre. Mahmud Al-Taki trägt meinen Namen in das Heft ein und bringt in die Ausrüstungskammer: Ein paar Rangers, Khaki­uniform, das Sturmabzeichen der Partei auf der Schulter, ein Patronengürtel mit drei Magazinen Munition, zwei Granaten, eine schlanke Kalaschnikow mit abgesägten 11er Lauf.“ So wird Bazzi Mitglied der Syrischen Nationalen Milizen. „Der Sold beträgt sechshundert libanesische Lira und eine Packung Zigaretten pro Tag.“

Die Verheißung? An Dinge heranzukommen, die in seinem Alter noch verboten sind: Waffen, Whisky, Zigaretten, Frauen. Es geht um Macht, die er wie die meisten seiner Kombattanten an Besitztümer und die Kontrolle über „die Straße“ knüpft. Die flüchtige und einmalig bleibende Begegnung mit Arafat, der ihn anlächelt bevor er sich in der Militärzentrale ein üppiges Mahl servieren lässt, ist demgegenüber nachrangig. Eindrücklicher für den jungen Mann ist die Freude über den eigenen Körper, der zunehmend an Kraft gewinnt und raumgreifend werden darf. Frauen sind daher noch ein bisschen aufregender als alles andere, auf das er nun Zugriff bekommt, aber letztlich sind auch sie nur ein Konsumgut unter vielen. Natürlich kennt man das: die Beschreibung des Krieges als erschreckend banale Männlichkeitsaufführung ist mehrfach unternommen worden.

Dabei hat Klaus Theweleit in seinen Männerphantasien sicher die bislang konsistenteste Analyse für den Prozess geliefert, wie der männliche Leib unter Bedingungen des Krieges zum „Körperpanzer“ umgebaut wird. Die Folgen dieser gesellschaftlich gewollten männlichen Abhärtung und der mit ihr verbundenen Erotik sind dabei weniger banal; sie sind auf komplexe Weise schrecklich. Denn immer bauen sie auf der Abwehr des Weichen, des Durchlässigen, des vermeintlich Weiblichen auf. Die Vergewaltigung als Zeichen der absoluten Dominanz über den weichen Körper ist aus dieser Perspektive „notwendig“. Die Erinnerungen von Bazzi zeigen diesen Zusammenhang einmal mehr.

Bazzis Bericht aber besticht nicht allein durch die nüchterne Beschreibung einer stets erotisierten soldatischen Brutalität. Er verweist noch auf ein weiteres, nicht weniger grausames Faktum: die Nähe, die Durchdringung. So kehrt Bazzi nach der Schlacht immer wieder nach Hause zurück, um zu schlafen und etwas zu essen – um kurz Pause vom Krieg zu machen. Er lernt auch die ganze Zeit über weiter für die Schule. Zwischen Töten und Saufen besteht er die Mittelschulprüfung, am Ende auch die Oberstufenprüfung. Krieg, Schule, Elternhaus, das Kennenlernen seiner späteren Ehefrau – alles ist unmittelbar miteinander verknüpft. Es gibt kein Jenseits vom Krieg.

Als Lesende fragt man sich die ganze Zeit: Was lernen diese Jungs eigentlich in der Schule, dass sie ohne wesentliche Probleme, am nächsten Tag in die Welt des Kriegs wechseln können – und umgekehrt, dass sie direkt von der Schlacht in die Schule gehen und dort reüssieren können? Auch wenn die Erzählung keine Antwort gibt, sie macht deutlich, wie ein Bürgerkrieg die Gesellschaft in allen Bereichen brutalisiert.

Das vom Verlag angefügte Glossar übrigens, gibt dem Leser die notwendigen Daten und Erklärungen an die Hand, auf die der Erzähler keine Aufmerksamkeit verwendet, weil sie für ihn als Kämpfer seiner Zeit keine Bedeutung hatten. Und unterstützt auf diese Weise den Versuch des Autors, aus eigener Anschauung die Geschichte eines Prototyps zu erzählen. Nichts anderes nämlich stellt Bazzi nach seinem eigenen Verständnis dar: Den Prototyp einer im Bürgerkrieg aufgewachsenen Generation. Diesen zu beschreiben, ohne zu beschönigen, aber auch ohne sich selbst fertigzumachen, in anderen Worten: sich bei aller nachträglichen Ernüchterung treu zu bleiben – das ist seine Intention und dieser Balanceakt gelingt. Er macht die Lektüre so eindringlich.

Text: Ines Kappert

Text erschienen: freitag, 07.10.2009

Yussef Bazzi: Yassir Arafat sah mich an und lächelte.

Aus dem Arabischen von Nermin Sharkawi,

Diaphanes, Berlin 2009, 104 S., 14,90 Euro

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