Ist die Französische Revolution schuld? In seinem Buch „Im Kopf des Terrors“ analysiert der Deutschiraker Nahem Wali die heutigen Gesichter der Gewalt – und landet bei der „terroristischen Logik eines Robespierre“. 

Ist die Französische Revolution schuld am Terror unserer Tage? Die Frage klingt absurd. Auf nichts anderes jedoch läuft die Argumentation Najem Walis hinaus. In seinem neuen Buch erinnert der deutsch-irakische Schriftsteller an die „terroristische Logik eines Robespierre“. Sie werde „immer die Schule bleiben, die ihre Nachfolger, die sich mit diesem vergifteten Samen infizieren, durchlaufen werden … in Frankreich, Europa und dem Rest der Welt“. Die Brüder El-Bakraoui, die Selbstmordattentäter von Brüssel, Salah Abdesalam, der Drahtzieher der Pariser Anschläge 2015 und Maximilien de Robespierre, der „Blutrichter“ des Pariser „Terreur“, wären demnach Verbrecher aus demselben Geiste.

Wali, 1956 im irakischen Basra geboren und 1980 nach Deutschland geflüchtet, ist einer der Autoren in Deutschland, dessen literarisches Werk dermaßen von den Erfahrungen von Gewalt, Krieg und Terror durchdrungen ist, dass man aufhorcht, wenn dieser außergewöhnliche Schriftsteller, lange Kulturkorrespondent der arabischen Tageszeitung „Al-Hayat“, politisch-philosophisch zu abstrahieren versucht, was er in seinen Romanen am Beispiel der Schreckensherrschaft Saddam Husseins, der Vertreibung der Juden aus Bagdad oder des Iran-Irak-Krieges ästhetisch-konkret verarbeitet.

Wali will, wie er in der Einleitung schreibt, „den Terror selbst und seine mannigfaltigen Gesichter erforschen“ und eine „Reise in den Kopf des Terrors unternehmen“. Vor allem will er die Perspektive durchbrechen, die den Terror nur als Problem der muslimischen Welt sieht. Er sei vielmehr, ruft er in der Einleitung in Erinnerung, „so alt wie die Menschheit, so vielfältig wie der Mensch und die Orte an denen er lebt.“ Tut sich aber selbst schwer mit der wünschenswert differenzierten Betrachtung, zu der er mahnt.

Wali ist ein Essay im besten Sinne des Wortes: Ein Versuch jenseits jeder akademischen Scholastik, leergelaufener Diskursformeln, kurzum: Er ist eine Übung im freien Denken auf unsicherem Terrain, eher assoziativ als strukturiert. Der Autor stützt sich dabei nämlich nicht auf sozialwissenschaftliche Analysen. Sondern versucht sich an einer Art Kulturgeschichte des Terrors. Als Autor felsenfest überzeugt von der prophetisch-diagnostischen Kraft der Literatur meint er das Wesen des Terrors aus den Klassikern ableiten zu können.

Als Kronzeugen ruft er Autoren wie Ernest Hemingway und andere, vor allem aber Georg Büchner auf. Er zitiert Robespierres Satz im 1. Akt von „Dantons Tod“ vom „Schrecken als Ausfluss der Tugend“ und der „unbeugsamen Gerechtigkeit“. Und in der revolutionären Geheimorganisation, die Fjodor Dostojewski in seinen „Dämonen“ entwirft, sieht er „das Bild enthüllt, nach dem alle künftigen Terrororganisationen handeln sollten“.

Das klingt überzeitlich, unhistorisch und resistent gegen Empirie. Als Beleg für die Evidenz dieser literarischen Fiktionen führt Wali aber zwei aktuelle Beispiele an. Menschen, denen es der Terror ermöglicht habe, „dem Bösen in ihrem Inneren freien Lauf zu lassen“: Der deutsche Automechaniker Stefan D. als Mitglied der islamistischen „Lohberger Brigade“ in Syrien und der deutsche Fremdenlegionär Nils M. in seinen fünf Jahren als Soldat der Fremdenlegion bei Einsätzen in Afrika. „Der Krieg“, so fasst er ihre Bekenntnisse zusammen, „dient … als Gelegenheit, andere zu töten … ohne eine Strafe zu erwarten“.

Mit dieser „Beweisführung“ verwandelt Wali das Phänomen Terror schleichend in eine Art anthropologische Konstante und den Terroristen in einen modernen Wiedergänger des Herostrat, der im Jahr 365 v.u.Z. eines der sieben Weltwunder, die Bibliothek von Ephesos in Brand steckte, um seinen Namen unsterblich zu machen. Jean-Paul Sartre hat den Protagonisten seiner Erzählung „Herostratos“ dieser antiken Gestalt nachempfunden. Für Wali fühlt sich dieser kleine Angestellte Paul Hilbert nur wohl, wenn er „dieses Ding“ bei sich trägt, „das explodiert und knallt“.

Dann jedoch ruft Wali das „Gefühl des Scheiterns“ der „gesellschaftlichen Verlierer“, den „Kindern des Ghettos“ der französischen Banlieues auf. Oder er beklagt das „aristokratische Gefühl von Langeweile“, das junge Europäer zu Kämpfern des Islamischen Staates werden lässt. Und deutet damit soziale Ursachen des Terrors an – soziale Ächtung und Zivilisationsmüdigkeit.

Spätestens hier wird seine These porös, dass Terror nur einer nihilistischen Logik folgt, es seinen Vollstreckern einzig und allein um das Prinzip „Zerstörung um der Zerstörung willen“ geht. Ein Prinzip, das schon das Geschichtsbild seines letzten Romans „Bagdad Marlboro“ (2014) grundierte. Gerade hat eine Studie der Weltbank zum gewaltsamen Extremismus bei über 8000 IS-Rekruten festgestellt: „Es gibt eine starke Beziehung zwischen der Arbeitslosenrate bei Männern in einem Land und der Tendenz dieses Landes, Rekruten für den Terror bereitzustellen“. Gemessen daran klingt Walis Fazit: „Das Töten ist ein Instinkt, genauso wie das Böse. Das Gute ist eine Idee, eine Haltung, genauso wie der Frieden“ biologistisch verkürzt. Was nicht heißen soll, dass man den ethischen Imperativ darin negierte.

Walis Kernanliegen ist absolut nachvollziehbar: Er will „dem Terror“ den Schein der politischen und religiösen Legitimität nehmen, mit dem der seine Bluttaten bemäntelt. Und ähnlich wie bei dem heftig umstrittenen Vergleich zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus in der Totalitarismus-Theorie ist Walis These zumindest versuchsweise statthaft, dass der saudische Wahhabismus und die Französische Revolution vergleichbar sind, weil beide auf denselben Selbstlauf des Terrors gegen „Ketzer“ beziehungsweise Gegner des „Gemeinwillens“ setzen.

Die Circulus-vitiosus-Formel Robespierres, dass Terror ohne Tugend verhängnisvoll, Tugend ohne Terror aber machtlos sein, könnten die „Hüter der Heiligen Stätten“ in Mekka und Medina – Wali nimmt sie so schonungslos aufs Korn wie die Taliban oder die Salafisten – vermutlich auch unterschreiben. Dennoch erwartet man bei einer so heiklen Versuchsanordnung für ein so komplexes Phänomen wie den Terrorismus im Zeitalter der Globalisierung doch ein etwas komplexeres Fazit als die Wiederholung von Dostojewskis dämonisierendem Mantra von dem „Teuflischen, das sich nicht beherrschen lässt“.

Ingo Arend

taz – die tageszeitung vom 21.11.2016

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Najem Wali: Im Kopf des Terrors. Vom Töten mit und ohne Gott

Aus dem Arabischen übersetzt von Markus Lemke

Residenz-Verlag, Salzburg 2016

160 S., 19,90 Euro