In vielen Cassavetes-Filmen sind kleine Komödien verborgen, Komödien über erschöpfte und dennoch erstaunlich umtriebige amerikanische Menschen, die vor alltäglichem Unglück fassungslos sind und die sich dennoch tapfer bemühen, in ein Bild zu passen, das sie für verbindlich halten.

In der Komödie BIG TROUBLE sind kleine Cassavetes-Filme verborgen, Filme über amerikanische Menschen, die sich unter unsäglicher physischer und psychischer Anstrengung erheben wollen, um etwas auszusprechen. Weil aber das unmöglich ist, kommt den Gesten der Menschen größte Bedeutung zu. Gena Rowlands, die immer wieder beschwören, begreifen will, während sie verzweifelt bemüht ist, sich der Zuckungen, der Ausbrüche, der Verwirrungen in ihrem Gesicht zu erwehren; Peter Falk, der immer etwas wegwerfen, wegwischen, abwehren will, der ständig bemüht scheint, aus Verlierergesten Gewinnergesten zu machen: ein ideales amerikanisches Paar am Rande des Untergangs. Cassavetes‘ Menschen versuchen sich durch Lachen, durch Atmen, durch Gesten, durch Entfernungen und Annäherungen, durch Pausen auszudrücken, weil ihnen die Sprache kaum noch für die Fragen, geschweige denn für Antworten taugt. Aber so weit geht Cassavetes in seinen schrecklichsten Momenten zu behaupten, daß auch diese Sprache des Körpers, der Blicke, der Bewegungen korrupt und untauglich werden kann. BIG TROUBLE ist keine Komödie über Körper; es ist eine Komödie über Körpersprache.

Alan Arkin hat sich nun in die Cassavetes-Welt gewagt, der gutmeinende, vermutlich eher liberale (wenn er nur dazu käme, darüber nachzudenken), mittelständische Großstadtamerikaner, der gelernt hat, am amerikanischen Weg des Lebens stumm zu verzweifeln, ohne die hysterischen Ausbrüche eines Jack Lemmon, ohne die Traurigkeit eines Woody Allen.

Die Geschichte, die Cassavetes erzählt, passt sich seinem Film-Kosmos perfekt ein, ist aber gleichzeitig auch Genre-Kino, eine Gaunerkomödie, in der einmal nicht die Verkettung des Unwahrscheinlichen, sondern die zähe Kraft des Faktischen für die Pointen sorgt. Und das große Ding gelingt weder noch misslingt es spektakulär; es geht nur so vollständig daneben, daß die ganze Sache schon wieder gut ausgehen muss. Die Handlung basiert auf dem Prinzip der doppelten Verneinung und illustriert die Alltagsweisheit, daß niemand so dumm denken kann, wie es kommt.

Alan Arkin ist Leonard Hoffman, ein von Geldsorgen geplagter Versicherungsvertreter, der es zu einem typischen Vorstadthaus, einem typischen Auto, einer typischen, sorgenden Frau und drei musikalisch begabten Söhnen gebracht hat, die unbedingt in Yale studieren sollen, ihrer Karriere wegen. Auf normalem Wege ist das Geld dafür nicht zu bekommen, und Robert Stack als sein Chef Graham Winslow III garniert seine Ablehnung einer Unterstützung auch noch mit markigen Sprüchen vom eigenen Weg zum Erfolg.

Um aus seinen Schwierigkeiten herauszukommen, geht Hoffman auf das Angebot der schönen Blanche Ricky (Beverly d’Angelo in der Gena-Rowlands-Rolle) ein, ihrem herzkranken Mann den Gnadentod zu gönnen, um an eine Versicherungssumme zu kommen. Wie im Gaze-Vorhang des Prachtbungalows (falsch, wie alles andere, stellt sich hinterher heraus) verheddert sich Leonard Hoffman in den Intrigen von Blanche und ihrem Mann Steve (Peter Falk im Safari-Anzug): Reichtum, der keiner ist, Chinesen, die statt Geld Kreditkarten, Rentenanträge und Lotterielose erhalten, der großartige Herzanfall Steves im Supermarkt, wo sich Blanche und Leonard zur Konspiration getroffen haben, ein „Sardinenlikör“, der Hoffman die Sprache verschlägt, und schließlich der Mord: Blanche, ganz femme fatale mit der Kordel vom Rücksitz, Leonard im gleichen Anzug wie Steve, auf Krücken in den Zug, um an der verabredeten Stelle abzuspringen, damit ein tödlicher Sturz vorgetäuscht werden kann. Diese Geschichte ist ja nun wirklich nicht ganz unbekannt. Nachher aber kommt alles anders: Der Ermordete ist nicht wirklich tot, sondern taucht als Blanches Rechtsanwalt auf. Die Intrige wird durch ein paar dumme Zufälle und den dicken Versicherungsdetektiv O’Mara (Charles Durning) vereitelt. Der wird nun gekidnappt, und nun versuchen Leonard und Steve mit Gewalt an das Geld zu kommen. Zweimal brechen sie bei Winslow III ein, und beim zweiten Mal kommen sie einer absurden Gruppe von Terroristen in die Quere. Bei dem Chaos, das dabei entsteht, werden sie zum Schluss als Helden und Retter von Winslows Vermögen gefeiert. Yale ist für die Drillinge gerettet.

Thomas Mann hat den „großen Wörtern für Gut und Böse, Schön und Häßlich“ misstraut, „weil sie sich über die Grenzen hinweglügen“, die der menschlichen Erkenntnis gesetzt sind. Cassavetes ist wohl ein Filmemacher, der mit den großen Wörtern auch den großen Bildern misstraut, weil sie sich über die Grenzen der Erkenntnis im Film hinweglügen. Auch seine Methode ist eine nichtromantische Ironie, die die Begrenztheit der Erkenntnis selber zum Thema hat. Den ganzen Film über wissen wir nicht mehr als Leonard Hoffman, aber seine Reaktionen sind so unangemessen, weil so hoffnungslos „normal“, daß eine Form verzweifelter Distanz entsteht. Man muss Cassavetes‘ Menschen, selbst in dieser Komödie, lieben und zugleich wissen, daß ihnen nicht zu helfen ist. Sie gehören, wie Thomas Manns Bürger; einer untergehenden Klasse von Menschen an. Mit BIG TROUBLE hat Cassavetes sich erlaubt, diesen Untergang mit Heiterkeit zu sehen. Cassavetes parodiert die „großen“ Bilder, indem er das in ihnen benutzte Vokabular auf „kleine“ Dinge anwendet. Wie in allen Cassavetes-Filmen gibt es Probleme mit der Entfernung. Manchmal sind die Leute von Leonard einfach zu weit entfernt, ein andermal wieder viel zu nahe, um „vernünftige“ Kommunikation zu ermöglichen; er und seine etwas streisandelnde Frau (Valerie Curtin) haben eine mittlere Entfernung für einander gewählt. Erst am Ende finden sie sich zu einem kleinen Kuss, aber da ist sowieso schon wieder ein kleines Chaos ausgebrochen.

Alan Arkin muss spucken, kotzen, auf Knien gehen, die Stimme verlieren, einmal nach oben, einmal nach unten in Ohnmacht fallen, auf der Straße liegend von einem Truck überfahren werden, stammeln und schreien (zum Beispiel während sich das Mordgeschehen ungebührlich in die Länge zieht), aber nie kommt der Film in die Nähe einer Klamotte (auch keiner guten Klamotte). Es kann nämlich stets gar nichts anderes passieren, weil das Normale dann doch immer wieder über alle Sehnsucht triumphiert.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film 9/86