Irm Hermann verband Drama und Milieu. Bei Fassbinder war sie das Gesicht kleinbürgerlicher Gewalt. Ein Nachruf auf eine der eckigsten Darstellerinnen des deutschen Films. |
Sie war eine der bezaubernden Nicht-Schauspielerinnen des deutschen Kinos, die ganz anders funktionieren als jene Berufsschauspieler, die in andere Rollen schlüpfen. Irm Hermann war immer nur Irm Hermann, aber das war etwas vom Spannendsten, was man auf Leinwänden und Bildschirmen sehen konnte. Denn sie spielte nicht, sie war die junge Frau aus dem süddeutschen Kleinbürgertum, die davon träumte, „mal was ganz anderes“ zu machen als das, wozu sie vom Klassenschicksal bestimmt zu sein schien.
Aber der Inhalt ihres Spiels war genau das: Die Formalismen, die Begrenzungen, die Traurigkeiten, auch die Gewalt des Kleinbürgertums. Kein Wunder, dass Rainer Werner Fassbinder ihr eine zentrale Rolle in seinem Film-Kosmos zuordnete. Sie war das Dazwischen, das Scharnier, die Schnittstelle in seinen Etüden über Unterdrückung und Befreiung.
Ihr Stil war eine besondere Form der Abstraktion. Die Worte kamen aus ihr heraus wie etwas Fremdes, das man sich mit großer Anstrengung und großem Trotz aneignen muss, und ihr Körper bewegte sich, als wäre er gewöhnt, immer ganz buchstäblich anzuecken. Das ist ein Mensch, der nicht dazugehört und sich davon nicht zerstören lässt.
Irm Hermann, 1942 in München geboren, spielte auch die Schrecken ihrer Klasse. Das Zerstörerische. Von Der Händler der vier Jahreszeiten hat Fassbinder gesagt, es solle ein „simples Melodram“ sein; dank Irm Hermann war es aber auch ein Horrorfilm. Jemandem zuzusehen, der zugleich so zerstörerisch und so unglücklich ist! Auf Irm Hermann schien das Los der Frauen ihrer Klasse über Generationen hinweg zu lasten. Das wunschlose Unglück.
Die Schauspielerei und das Kino waren für Irm Hermann aber auch eine Befreiung. Je älter sie wurde, desto sanfter wurde sie. Am Ende, etwa in der von Harald Schmidt inspirierten Serie Labaule & Erben, spielte sie eigenwillige ältere Damen, die sich mit besonderen Fähigkeiten in ihrer Isolation eingerichtet haben.
Verbindung von Drama und Milieu
Abgesehen von Händler der vier Jahreszeiten war Irm Hermann sowohl bei Fassbinder als auch bei anderen Regisseuren zumeist eine Figur aus dem Hintergrund, eine Verbindung von Drama und Milieu. Immer in einer Zwischenposition zwischen Hervortreten und Verschwinden. Nicht mehr zu Hause in der Welt der Sekretärinnen (sie selbst hatte vor ihrer Karriere beim ADAC in dieser Funktion gearbeitet und war irgendwie und beinahe aus Versehen in die Theater- und Filmwelt gewechselt), aber auch nicht angekommen in der Welt des großen Ehrgeizes und der großen Gefühle.
Die Beziehung zwischen Fassbinder und Irm Hermann – weit über die künstlerische Zusammenarbeit hinausgehend, wie man so sagt – ließe sich wahrscheinlich nur als Melodrama wiedergeben, in dem es immer nur um Abhängigkeit und Befreiung und neue Abhängigkeit und neue Befreiung gehen konnte. An ihrer Person ließe sich zeigen, welch ein gefährlich-schöner Trickster Fassbinder war, der Menschen aus ihren bürgerlichen Gefängnissen locken konnte, damit sie zu Darstellern dieses Gefängnisses wurden. Der Preis für die Befreiung von einer Klasse war die Abhängigkeit von einer Person.
So musste Irm Hermann auch zur Darstellerin einer zweiten Befreiung werden. Schon etwas entspannter konnte sie ihre Hintergrund-Figur in den Münchner Geschichten von Helmut Dietl gestalten. Ihre Aufgabe bestand nun darin, nicht in ein Rollenklischee – die verhärmte, verhärtete, unglückliche Frau, der man auch die eine oder andere Bösartigkeit zutraut – zu verfallen. Aber selbst als Gebrauchsdarstellerin in Familien- und Kriminalserien blieb doch immer genug Fremdheit und Einzigartigkeit, um selbst kleinere Auftritte zu etwas ganz Besonderem zu machen. Musste man ihr wirklich Rollennamen wie „Frau Klein“ (1986 im Hamburger Tatort) verpassen? Oder als „Tante Hedwig“ in Loriots Pappa ante Portas das Schreckbild einer Ehefrau abgeben, die hinter der Fassade von Harmonie und Genügsamkeit Unterdrückung und Lieblosigkeit verbirgt?
Zusammen mit ihren früheren Fassbinder-Kolleginnen Hanna Schygulla und Margit Carstensen spielte sie 2016 in dem Eva Mattes-Tatort mit dem Titel Wofür es sich zu leben lohnt. Irm Hermann wurde es nicht los, wollte es wohl auch nicht los werden, die Aura der Fassbinder-Schauspielerin. Die Virtuosin der Entfremdungsbilder. Nur in den Filmen von Christoph Schlingensief war das mehr als Zitat und Rekonstruktion. Hier war sie um vieles freier, Mitautorin. Das Melodram war endgültig in die Gefilde von Horror und Groteske gesteigert. In Die 120 Tage von Bottrop und Das deutsche Kettensägenmassaker durfte Irm Hermann auch einmal laut werden.
Dass sie eine Sprachkünstlerin war, zeigte sich nicht nur in ihren Hörspielproduktionen. Ihre Stimme durchschnitt den zähen Brei der Normalitäten, also vergeblich; sie war ein Instrument in einer außergewöhnlichen Stimmung. Schneidend war manches an ihr, auch dieses Lächeln, von dem niemand weiß, ob es erzwungen, ironisch oder echt ist.
Ein Hund namens Muhackl ist in Wofür es sich zu leben lohnt der beste Adressat für eine im tiefen Herzen doch gütige Hexe. Ein Muhackl ist im Bayerischen ein ruppiger, derber, auch listiger, aber deswegen noch lange nicht unsympathischer Mann. Es war vielleicht der Geist von Rainer Werner Fassbinder, der Irm Hermann in dieser Rolle begleitete, in der sie entspannt, humorvoll und Menschen zugewandt war wie nie zuvor. Fast glücklich. Und so wollen wir sie in Erinnerung behalten.
Georg Seeßlen
ZeitOnline | 28.05.2020
Foto oben: Irm Hermann | www.avant-gar.de | User: angelika maria boes, 2008 (Ausschnitt) | Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en | Datei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File: IrmHermann.jpg
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