Das Kino ist eigentlich ein absurder Raum. Nirgendwo sonst treffen Kunst und Kommerz, Vertrautes und Fremdes, Dunkelheit und Licht so unmittelbar aufeinander. Und nirgendwo sonst ist ein Bruch mit dem Alltag dermaßen erwünscht und ersehnt. Wie aber sieht ein so ungewöhnlicher Ort aus? Im Folgenden geht es um die Architektur, die diesem komplexen Gemengelage gerecht zu werden versucht.

Lange bevor sich die US-amerikanischen Kinopaläste als reine Illusionsmaschinen an der Üppigkeit großer Theaterräume orientierten gab es die von Schaustellern betriebenen Wanderkinos. Diese wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den sogenannten Ladenkinos abgelöst, als mit den ersten großen Warenhäusern der Einzelhandel in die Krise geriet. Besitzer kleinerer Geschäfte suchten nach neuen Einnahmequellen und richteten erstmals Kinos ein. Mit der Gründung von Film-Aktiengesellschaften begann dann die Professionalisierung der Kinoarchitektur. Ein breiteres und vor allem zahlungskräftigeres Publikum sollte angezogen werden. So dachte der Techniker Albert Brocke bereits 1908 über ein „ständiges Kinematographentheater“ nach, welches zuallererst verkehrsgünstig liegen sollte. Kassen- und Toilettenräume müssten vorhanden sein, vor allem jedoch ein Schankbetrieb, um die Eintritts-Tickets zu verteuern. Andere die Architektur betreffende Tendenzen gingen in Richtung Luxurierung und Auratisierung. Der Film sollte endlich seinen eigenen glamourösen und bequemen Rahmen bekommen: Teure Mahagony-Wände, kunstvolle Kristallleuchter, Perlmuttfiguren, Springbrunnen, edel ausgestattete Séparés – der Kinoraum selbst wurde zum einzigartigen Erlebnis. Heute bleibt nur Staunen bei der Betrachtung alter Photographien dieser Kinopaläste und die Frage, welche vergleichbaren gestalterischen Qualitäten eine aktuelle Kinoplanung aufweisen könnte.

Eine Antwort hierauf sucht die Architektin und Designerin Anne Battisweiler. In ihrem Münchner Büro beschäftigt sie sich seit vielen Jahren schwerpunktmäßig mit der Planung von Kinoneubauten und Umbauten. Dabei setzt sie vor allem auf ausgefeilte Lichtplanungen, wie beispielsweise organische Leuchtdioden oder Lichttechnologien, die sich in Stoffe und Baumaterialien integrieren lassen. „Denken Sie an leuchtende Bezugsstoffe an Kinosesseln und Bühnenvorhängen oder wechselnde Projektionen an Decken und Wänden“. Was sie im Interview an Ideen äußert, kann im Neubau des Cineplex Memmingen bereits begutachtet werden. Das Gebäude ist schon von der Autobahnabfahrt deutlich durch seine Lichtgestaltung zu erkennen und fällt auch im Inneren durch ein sich farblich veränderndes LED Licht im Thekenbereich, an den Wänden und an der Kasse auf. Sogar das Popcorn wird lichttechnisch in Szene gesetzt.

Um den Versuch sinnlich- emotionaler Inszenierungen geht es auch bei dem neu eröffneten Megaplex Kino in Pasching / Linz Österreich. Mitten in einem Einkaufszentrum befinden sich auf sage und schreibe 11.000 Quadratmetern 14 Kinosäle. Diese gehen alle von einem langen Foyer ab, welches mit einer wabenartigen Glaskuppel überdacht ist. Glamour (nachts bei Sternenhimmel) und lichte Größe (tags bei Sonne) sollen durch dieses architektonische Detail aufkommen. Sitzgelegenheiten, kleine Cafes und Bars und auffallende Wanddekorationen strukturieren das Ganze. Jeder Kinosaal ist anders gestaltet. Obwohl Schwarz das Dogma der Kinosaalarchitektur ist, entschied man sich hier für lila- und rosé-Töne, angeblich der Liebe zur Nostalgie wegen. Höhepunkt des Ganzen ist der IMAX Saal für 600 Zuschauer, mit einer 14 Meter hohen und 25 Meter breiten Leinwand; das IMAX ist nicht nur das größte Österreichs, sondern auch das erste und einzige, welches wirklich als solches geplant wurde. Man wirbt also mit Kinokunst in Superlativen. Blickt der Besucher beim Eintreten jedoch auf die steil angelegten Sitzplätze fühlt er sich winzig klein. Das 25 Millionen Euro Projekt soll, so Mario Huber Geschäftsführer und Kinobetreiber der zweiten Generation, 13 Millionen Zuschauer jährlich anlocken. Auch aus Tschechien und Bayern soll das Publikum kommen, so hofft man.

Nicht ganz so gigantomanisch sind die Pläne für das im Berliner Friedrichshain – zwischen der sogenannte Mercedes Benz Arena und der East Side Gallery – bis 2018 entstehende größte Kino der Hauptstadt. Hier sind ebenfalls 14 Säle geplant, jedoch nur auf „lächerlichen“ 6.500 Quadratmetern. Unter anderem soll es auch einen riesigen Premierensaal mit bequemen Ledersesseln geben, selbstverständlich eine großen Leinwand, dazu 360 Grad Soundsystem, modernste Projektionstechnik und Bedienung am Platz. Das Ganze inmitten eines Areals mit Restaurants, Hotels, Boutiquen und weiteren Veranstaltungshallen. „Integration in die Umgebung“, nennt man frech solch ein bauliches Vorhaben. Offensichtlich gehen auch hier die Planer von fetten Jahren mit vollen Geldbeuteln der Kinobesucher aus.

Ganz andere Konzepte verfolgen die kleinen Kinos „um die Ecke“.

Sie wollen mit Intimität punkten. Das heißt überschaubare Raumdimensionen, eine integrierte, eher bescheiden gestaltete, Gastronomie, hier und da eine separate Raucherlonge, und kinder- und altengerechte Möglichkeiten mit den Räumen umzugehen. Ein bisschen erinnert das schon an die Ladenkinos früherer Zeiten. Wie damals werden leerstehende Geschäfte und kleine Lokalitäten wieder zu Kinos. Das Direkte, Persönliche soll hier ermöglicht werden, eher eine Wohnzimmeratmosphäre soll herrschen. Aber auch Neubauplanungen wie das Berliner Eiszeit Kino, welches jüngst nach einem Umzug seinen Betrieb wieder aufgenommen hat, gehen in diese Richtung. Das Kino öffnet sich jetzt zur Straße hin, große Glasscheiben vermitteln den Eindruck von Transparenz, der Kassenbereich ist in den Bistrobereich integriert. Vielleicht, so hoffen die Betreiber, kommt man erstmal nur zum Kaffeetrinken und bleibt dann Bochum einen Film zu sehen.

Die Kinoarchitektur scheint also derzeit zwei sehr unterschiedliche, aber nicht völlig unbekannte Wege zu gehen. Eines jedoch ist klar: Der Gang ins Kino bleibt abhängig von vielen Komponenten, die Architektur ist nur eine davon.

Daniela Kloock

Bild oben: Cinéma national Uránia (Uránia Nemzeti Filmszínház), 1088 Budapest, VIII. kerület, Rákóczi út 21 | Yelkrokoyade – Own work | CC BY-SA 3.0