Die abschreckende alttestamentarische Geschichte vom Turmbau zu Babel hat Menschen nicht abhalten können himmelwärts zu bauen. Boomende Mega-Städte in Asien und Saudi-Arabien scheuen keine Grenzen nach oben. 828 Meter ragt das weltweit höchste Gebäude empor, der sogenannte Chalifa-Turm in Dubai. Von der Silhouette her eine veritable Hochhausrakete, mit dem Energiebedarf einer Kleinstadt. 2000 Gebäude mit über 100 Höhenmetern sind in den letzten zwei Jahren gebaut worden, die Hälfte davon in China. Dort beherbergen sie, bis hin zu dreizehn Stockwerken, sogar Schweine.

Doch auch in Europa, in Frankfurt oder Zürich, Wien oder Berlin ist die Hochhauswelle angestoßen, bzw. die Debatte darüber, ob die Jahrzehnte lang verpönte Bauform eine mögliche Antwort auf dringend zu lösende Wohnungsfragen ist. Denn das Hochhaus punktet mit einem geringeren Flächenverbrauch und der Möglichkeit viel Wohnraum zu schaffen. Es spreche die Sprache der urbanen Zukunft, heißt es derzeit in Architektenkreisen. Jüngst wurde von der Stadt Frankfurt, dem Deutschen Architekturmuseum (DAM) und der DekaBank der wichtigste Architekturpreis (IHP) für Hochhäuser vergeben. Von über 1000 Projekten suchten die Auslober 31 Bauvorhaben aus 14 Ländern aus. Der Preis, der alle zwei Jahre vergeben wird, will ästhetische und technische Innovationen, Nachhaltigkeit, sowie städtebaulich interessante Einbindungen würdigen. Diese Kriterien sollen im folgenden an Hand des Gewinners „Norra Tornen“ etwas genauer betrachtet werden.

Die „Norra Tornen“ (zu dt.: nördliche Türme) stehen in Stockholm. Ihre gelungene städtebauliche Einbindung wird mit dem Argument begründet, daß Doppeltürme und Bögen in Schwedens Hauptstadt eine lange Tradition haben. Wie ein klassisches Stadttor seien die „Norra Tornen“ konzipiert und somit ein gelungener „Eingang“ zu dem neu entstehenden Stadtteil Hagastraden. Bis 2030 sollen dort 50 000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Der erste der zwei Türme ist bereits bezogen, 125 Meter ist er hoch. Sein Zwilling wird etwas niedriger und gerade gebaut. Beide Gebäude sind dann die höchsten Gebäude Stockholms mit insgesamt 320 Eigentums-Wohnungen.

Sie werden zweifellos, auch durch die jetzt erhaltene Auszeichnung, Signalcharakter haben. Und sie sind ein höchst anschauliches Beispiel dafür, wie Architektur die Attraktivität eines wirtschaftlichen Standorts markieren soll. Um jedoch Spekulationen und Leerstand von vornherein auszuschließen – und das ist wirklich interessant und könnte Vorbildcharakter haben – hat Stockholm ein Gesetz erlassen, daß nur derjenige kaufen darf, der auch dort wohnt. Verkauft jemand seine Wohnung zum Beispiel nach 10 Jahren, was frühestens erlaubt ist, wird er mit extrem hohen Steuern belastet.

Die „Norra Tornen“ setzten sich aus einzelnen Beton-Bauelementen zusammen, die wabenartig versetzt angeordnet sind, weshalb sie mit Bienenstöcken verglichen werden. Kastenartige Erker, tief gelegte Balkone, große Fensterflächen – die Formen wiederholen sich würfelartig. Vorgefertigte Wände, Böden und Fassadenteile bilden ein modulares System. Es ermöglicht schnell und unter widrigen klimatischen Umständen zu bauen. Ein Stockwerk pro Woche, das ist für europäische Verhältnisse wirklich sensationell, weshalb die beiden Türme von der Bautechnik her derzeit als die innovativsten Wolkenkratzer weltweit gefeiert werden. Der Architekt, Reinier de Graaf (Partner von OMA, dem Office von keinem geringeren als Rem Kohlhaas) spricht in diesem Zusammenhang von seinem „Plattenbau“, was nicht abwertend verstanden werden soll, ganz im Gegenteil. Mit bereits vorproduzierten einzelnen Teilen auf einem schmalen Grundstück ein Höchstmaß an Varianz zu erreichen, war das erklärte Ziel des deutlich vom Brutalismus und der Moderne beeinflußten Architekten. Sein Bau erinnert stark an eine DER Ikonen der modernen Architektur, das 1967 in Montreal errichtete „Habitat 67“, ein Wohnhauskomplex aus stufenförmig angeordneten Beton-Quadern.

Gut verdienende Singles und Paare, eine solvente Mittelschicht, wohl eher eine Berufselite, soll in den Türmen wohnen. Die großen dreifach verglasten Fenster lassen viel Licht herein, suggerieren Freiheit und Luxus, sind aber nicht zu öffnen. Die Appartements, zwischen 47 und 270 qm groß, sind auch nicht billig. 105 qm kosten ungefähr 1,3 Millionen Euro, die Penthouse Wohnung ist für 6 Millionen Euro zu haben. Bei dem vielen Nebel und Regen in Stockholm dürfte man jedoch eher selten von der tollen Aussicht profitieren. Daß die „Norra Tornen“ aber als eine Architektur gefeiert werden, die die Gleichheit zelebriere, hört sich schon sehr seltsam an. Auch, daß nicht wenige Architektur-Enthusiasten dem Hochhaus per se einen egalitären Charakter zuschreiben wollen.

Weitere „Beschwörungsformeln“, Umschreibungen dessen, was man auf- und bewerten will, lauten: Hybrid, partizipativ und nachhaltig. Alles Vokabeln, die nicht nur dieses, sondern auch viele andere Groß-Projekte derzeit benutzen um ihre Attraktivität zu etikettieren. Hybrid meint eine Verbindung von Wohnen, Arbeiten und Einkaufen, eine Durchmischungsmöglichkeit, die bei einem Hochhaus grundsätzlich gegeben sei. In den „Norra Tornen“ sollen im Untergeschoß Gewerbeeinheiten untergebracht werden. Nur, wer wohnt schon freiwillig ebenerdig neben einer 8-spurigen Autobahn und direkt an einer riesigen Kreuzung? Partizipativ, ein weiterer Punkt, der von der Jury besonders gelobt wird, bedeutet, daß es einen Yoga- und Partyraum gibt, ein Gästeappartement, eine Sauna und ein kleines Kino, Räumlichkeiten, die von allen Bewohnern genutzt werden dürfen. Am verführerischsten und paradoxalsten aber ist das Thema Nachhaltigkeit. Auch in diesem Punkt hält die Jury die „Norra Tornen“ für vorbildlich.

Doch kein anderer Baustoff wie Beton bzw. Zement, Stahl und Sand ist so extrem energieintensiv und verantwortlich für ein Viertel der weltweit produzierten Treibhausgase. In Deutschland fallen z.B. pro Bundesbürger drei Tonnen Bauschutt an. Kein anderer Wirtschaftszweig verbraucht so große Mengen an Rohstoffen und erzeugt so viel Abfälle wie die Bauwirtschaft. Reinier de Graaf bezweifelt ganz offen, ob sein Gebäude 100 Jahre überlebt, oder bereits nach einigen Jahrezehnten eventuell Müll sein wird. Daß natürliche Baustoffe nicht nur länger halten, solider gebaut sind, sondern auch Wohlbefinden und Gesundheit garantieren, scheint für die Frankfurter Jury jedenfalls kein Thema zu sein. Vielleicht war beid er Auswahl auch einfach kein Hochhaus dabei, welches nicht aus Beton gebaut wurde. Aber sollte ein weltweit Aufsehen erregender Preis nicht Signale setzen? Und die Innovationen fördern, die den Begriff „Nachhaltigkeit“ zurecht verdienen. Bambus z.B. erweist sich als so belastbar wie Stahl, und Hochhäuser aus Holz gibt es! In Bergen (Norwegen) wurde bereits ein 14-stöckiges Appartement, vollständig aus Holz gebaut, realsiert. Und Frankreich ist nicht nur Avantgarde in der Entwicklung von cleveren, natürlichen Isolierungen aus Stroh, sondern auch im Experimentieren mit natürlichen Baustoffen. In Saint-Dié-des-Vosges steht ein sozialer Wohnungsbau mit sieben Etagen vollständig aus Holz und Stroh.

Beton zu kaschieren in dem er z.B. mit Natursteinattrappen beklebt wird um Natürlichkeit zu suggerieren, ist im Moment der neuste Architekten-Hit. Bei den „Norra Tornen“ wurde mit einer farbigen Steinkornmischung gearbeitet, um den Beton natürlich aussehen zu lassen. Ein abgemildeter Brutalismus sozusagen. Wie sich das Hochhaus urbanistischen Problemen (Wohnungsfrage/Klimawandel/Mobilität) stellt bzw. diese zu lösen in der Lage sein wird, bleibt abzuwarten. „Norra Tornen“ jedenfalls liefert diesbezüglich keine überzeugenden Antworten.

Daniela Kloock

Bild oben: Die Norra Tornen vom Norden aus gesehen. Sie bilden ein Tor zur Innenstadt Stockholms.

Von Johannes Scherman – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0,

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