1989 war nicht nur das Jahr als die Berliner Mauer fiel und damit die Grenze zwischen Ost- und Westeuropa, es war auch das Jahr in dem das Fernsehen punktgenau zur Weihnachtsfeier keine Märchenidyllen lieferte, sondern die schrecklichsten (Live)-Bilder seiner Mediengeschichte.

Sie kamen aus Rumänien, aus dem Land, welches die Literatur-Nobelpreisträgerin Hertha Müller als das finsterste und ärmste Land bezeichnete – ein Land, welches, wie sie sagt, allein über die Angst funktionierte. Vollkommen unerwartet konnte plötzlich die ganze Welt am Fernsehapparat verfolgen, wie dieses wohl brutalste Regime des Ostblocks zu Fall kam – wie die Herrschaft des Nicolae Ceausescu, der mehr als 20 Jahre lang Leid und Hunger über sein Land gebracht hatte, jäh zu Ende ging. Die Ereignisse überschlugen sich: die überstürzte Flucht des Despoten und seiner Frau im Helikopter aus Bukarest, seine kurz zuvor gehaltene öffentliche Rede vor der vor dem Parlament versammelten Menge, die niedergebrüllt worden war, schließlich die Besetzung des staatlichen Fernsehsenders. Wenig später, während man hierzulande „Stille Nacht, heilige Nacht“ anstimmte, übertrug das Fernsehen auch die Bilder von der Exekution des Paares. Nach einem kurzen, dubiosen Prozeß erschossen Militärs Nicolae Ceausescu und seiner Frau Elena vor einer Kasernenwand in Targoviste, dem Ort an dem einst der sogenannte Dracula residierte.

Im Unterschied zu all den anderen weitgehend friedlich verlaufenen Umstürzen innerhalb des kommunistischen Herrschaftsgebiets gab es in Rumänien nicht nur einen Tyrannenmord, sondern auch viele Tote unter den Zivilisten. Es wird von 1500 Opfern gesprochen. Bis heute ist ungeklärt, wer die Mörder waren – die Taten sind ungesühnt. Rückblickend wird von einer blutigen Revolution gesprochen, auch von einer „gestohlenen“ oder „unvollendeten“ Revolution ist die Rede. Zeitzeugen, Wissenschaftler, Politiker und Historiker sind sich bis heute uneins, was damals wirklich geschah. War es ein Staatsstreich, ein Putsch? Wer zog die Fäden? Was ist aus den Tätern geworden, z.B. aus den Mitgliedern des gefürchteten Geheimdienstes Securitate? Vieles liegt im Dunkeln, belastet die (politische) Gegenwart. Erst vor einem Jahr wurde auch eine UN-Resolution verabschiedet, die den rumänischen Staat zu einer juristischen Aufarbeitung seiner Geschichte nach 1989 auffordert.

Anton Roland Laub, in Berlin lebender Fotograf, geboren 1974 in Bukarest, sucht einen eigenen Zugang, um sich diesen Ereignissen und den schwer belastenden Erinnerungen anzunähern. Dazu hat er u.a. die Orte, die heute erfolgreich touristisch vermarktet werden, aufgesucht. Er war in der Kaserne in Targoviste – seit 2003 ein Museum des Kommunismus – hat dort die Exekutions-Wand ebenso abgelichtet, wie Tische und Stühle des Raums, in dem der sogenannte Prozeß stattfand, sowie ein Schlafzimmer mit Eisenbetten und dünnen Matratzen. Ob es wirklich diese Betten waren in denen Ceausescu und seine Frau ihre letzten Nächte verbrachten bleibt fraglich. Letztendlich ist es egal, ob all dies nachträglich inszeniert oder authentisch ist. Denn es geht dem Künstler um die Gefühle und Gedanken, die die Bilder auslösen sollen. „Last Christmas“ nennt Laub diese Werkgruppe.

Die Infragestellung von Abbildungen bzw. das Thema der Austauschbarkeit von Interpretationen behandelt auch eine andere Serie, „Asti“. Benannt nach den Sonderzeichen auf einer rumänischen Schreibmaschine. Laub fotografierte hierzu die Schreibmaschine seines Vaters aus verschiedenen Perspektiven vor einem Greenscreen.

Diese Fotografien stehen sinnbildlich für die Überwachung durch die Securitate. Einmal im Jahr mußten den Behörden getippte Kontrollblätter abgegeben werden, sodaß jede schriftliche Äußerung an Hand der jeweiligen Drucktypen rückzuverfolgen war.

Ganz im Gegensatz zu der bei „Last Christmas“ gezeigten Armut, Leere und Schäbigkeit stehen die Aufnahmen aus einem anderen Zyklus, der sich mit dem Privathaus Ceaușescus auseinandersetzt. Man sieht das viel zitierte goldene Badezimmer ebenso wie prunkvolle Schlaf- und Arbeitsräume, oder Details, Insignien der Macht, wie ein offen stehender Kleiderschrank voller Pelze. Doch in der Öffentlichkeit zeigte sich das Paar demonstrativ in schlichter Arbeitskleidung. Auch hierzu gibt es in der Ausstellung einige Fotografien, teilweise in ungewöhnlich verrutschter Perspektive – ein Hinweis darauf, wie leicht Wahrnehmung sich verschieben läßt.

Den ganzen Kitsch und Pomp hinter geschlossenen Türen verdeutlichen die Aufnahmen aus dem sogenannten „Haus des Volkes“. Dieser Monumentalbau, mit Räumen breiter und länger als Fußballfelder, ist bis heute das flächenmäßig größte Gebäude Europas. Bei Baubeginn Ende der 1970er Jahre mußten 40 000 Menschen ihre Häuser verlassen. Diese wurden ebenso abgerissen wie ein Dutzend Kirchen und mehrere Synagogen. Ganze Stadtviertel in Bukarest und Hunderte von Dörfern verschwanden in der Regierungszeit Ceausescus. Der Machtwille des „irdischen Gottes“, des „Sohns der Sonne“, des „Genies der Karpaten“ – wie er sich gern nennen ließ – kannte keine Grenzen. In der Hauptstadt konnten lediglich sieben der über 100 Kirchen gerettet werden. Sie wurden auf Schienen gehoben und verschoben. Laub hat diese absurden „Versetzungen“ recherchiert und in seinem vielbeachteten Werk (Ausstellung und Buchveröffentlichung) „Mobile Churches“ dokumentiert. Die wenigen noch erhaltenen Gotteshäuser fristen seit damals ein verborgenes Dasein, versteckt oder eingeklemmt hinter und zwischen riesigen, typisch sozialistischen Wohnblöcken. Sie wirken wie ein Symbol für eine gleichermaßen verkantete wie verstellte und verborgene Vergangenheit dieses Landes und seiner jüngsten Geschichte. Anton Roland Laub zeigt mit seinen Fotografien Orte, in denen eine furchtbare Geschichte eingeschrieben ist. Mit seinen Arbeiten verbindet sich die Hoffnung, dass Kunst ein Angebot sei, um die Vergangenheit zu befragen und sich traumatischen Erinnerungen zu stellen.

Daniela Kloock

Bild oben: Collage, ohne Titel aus der Serie Last Christmas (of Ceaușescu) | Anton Roland Laub

 

AUSSTELLUNG

Last Christmas (of Ceaușescu)

 27. November – 31. Januar 2021

aktuell nur online-Programm
– Kurzvideo: Virtueller Ausstellungsrundgang / Facebook
– 14. Dezember – Kurzvideo: Buchvorstellung.
– 21. Dezember – Podcast: Buchvorstellung & Vortrag mit Frizzi Krella und Lotte Laub.

Rumänisches Kulturinstitut Berlin
RKI Galerie
Reinhardtstr. 14
10117 Berlin
icr.ro/berlin/rki-galerie/de