Februar 2008. Berlinale. Haus der Kulturen der Welt. Tilda Swinton. Der schwullesbische Teddy-Spezial-Preis ging an das Derek Jarman-Team, an seine good companions. Ich stand vorn an der Bühne, und dann geschah es. Tilda erkannte mich wieder! Sie schob einige TV-Teams beiseite, ergriff meinen Kopf, herzte & küsste mich. Hierzu musste sie sich herunterbeugen, obwohl ich mit 175 cm total normal bin, aber sie ist nun mal einen Kopf größer.

1986! Unser gemeinsamer Film auf Hallig Hooge, die Nordsee dicht mit Eisschollen! Wochenlang zusammen auf einer Warft! Schlingensief trieb uns auf die Schollen, ganz „Egomania“. Und ihr ist das präsent! Wie mir, aber ich war ja inzwischen nicht Hollywoodstar geworden. Und dann fragte sie nach ihm, dem Christoph. Ich hatte ihn Stunden vorher getroffen, und er hatte nach Tilda gefragt, ob sie ihn besuchen käme, aber sie sei ja wohl abgereist. Jaja, sagte sie jetzt, aber das sei ja vorgestern gewesen. Für den Special Teddy sei sie wiedergekommen. Mir fiel ein, dass ich etwas über sie gelesen hatte. Sie habe von h die Nase voll und wolle lieber etwas mit good companions machen. – Ich vermittelte das date mit Schlingensief, und es war wie vor 22 Jahren, als ich als Liebesbote Dienst tat und die Jungfamilien der Teams von Jarman und Schlingensief zusammenbrachte. Auf der Berlinale 1986.

Übrigens, wem das alles zu eitel klingt: Zeitzeugen dürfen das.

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Schlingensief, Swinton, Kier – Egomania; © Foto: Filmgalerie 451

1986 also. Eines dieser Berlinale-Festessen. Ich stand vor dem runden Tisch des Jarman-Teams. Derek lächelte mich erfreut an. Als ob ich ein alter Freund wäre. War ich aber nicht. Wir sahen uns zum ersten mal. Seitdem sind 22 Jahre rum, und ich habe hunderttausend Sachen vergessen. Nicht aber das Lächeln und diese, wie soll ich sagen, Zuwendung. Klar also, dass es damals am „Caravaggio“-Tisch Jarman war, den ich fragte, was ich Tilda Swinton fragen sollte, nämlich ob sie nicht ihren Team-Tisch verlassen und an unsern Tisch, den „Menu total“-Tisch, zu Schlingensief kommen wolle. Jarman und Swinton kuckten rüber. Schlingensief war Mitte zwanzig, knackig und  momentan schüchtern, also reizend. Die neuen „Caravaggio“-Stars sagten: „Machen wir“. Und sie kamen.

Tilda Swinton war von Jarman für „Caravaggio“ gecastet worden.
“It was a meeting and as I say he had a camera so it was always going to be about a combination of his meeting you and also the camera’s meeting with you, but we just got talking and I’m sure that’s what all his castings sessions were like with everybody. He just wanted to know if you were going to have anything to say to each other.
He was just so familiar to me. It felt like it was as if we’d just picked up some conversation that we’d left off. We just started chatting and we just went on.
I’d seen “Jubilee”. It felt like a place I wanted to be, you know, he felt like he was somebody I really should be around and wanted to work with. A kind of roving group and then Simon Fisher Turner and I and various other people joined in. We went on in that group. The group was what he was interested in and as such he was interested in what everyone could contribute. So it was just one big chat really.”

„Er war so familiär, es war, als ob wir ein Gespräch von früher fortsetzten“. So reden good companions. Ein Team, das Jarmans Tod – 1994 – überdauert. Tilda Swinton hatte in Dereks letztem Film (wenige Monate zuvor fertiggestellt) off-Texte gesprochen. „Blue“ (1994). Zu sehen war blau und nichts als blau. Jarman war blind geworden. Aber wir hören jetzt zu, wie er Swinton beim casting zugehört hatte. Heute, 2008, ist sie executive producer des „Derek“-Films, dem Gemeinschaftswerk der companions, und es ist höchste Zeit auf die anderen zu kommen. Tilda Swinton war nicht allein, eben nicht.

Wenn ich mich doch erinnern könnte, wer damals noch am Team-Tisch saß. Ein Jüngerer, attraktiv. Simon Fisher Turner muss es gewesen sein. Für die „Caravaggio“-Musik verantwortlich (und später für „The Last Of England“, 1987,  „Blue“ und „Derek“). Lesen wir die credits in „Derek“, haben wir die Teamfamilie zusammen. Im Kreis sitzend, stelle ich sie mir vor, auch wenn der Abspann linear verläuft, dem Ende zu.

Zur Zeit von „Caravaggio“ war Jarman in der Schwulenbewegung aktiv geworden. Als 1987/88 die Thatcher-Regierung die berüchtigte Klausel 28 in ein Gesetz einbrachte, mit dem die Publikation und Verwendung von Material verboten wäre, das der „Förderung der Homosexualität“ dienen könnte, reagierte Jarman mit seinen Filmen. Tilda Swinton berichtet, wie er die Folgen ausmalte, – für Jungs, die nun mit sich allein bleiben mussten. No company.

Tilda: “He always used to talk about what it was like, or what it would be like, because it wasn’t necessarily his experience, but he always used to think what it would be like to be 15 growing up on the Isle of Man knowing that you’re gay and if you could just read somewhere, or if you could just see in a film programme that there might be a film… or if you could just see on the television an openly gay artist talking, then you’d have company”.

“Was ich mir wünsche”, so Jarman, „ist eine Generation, die schnell mit sich zurechtkommt, die nicht erst durch all das hindurch muss, wie es meine Generation musste. Ich lernte zufällig eine Gruppe von Leuten kennen, die sich dafür einsetzte, dass sich etwas änderte: das war mein Glück. Sie wurden mir Weggefährten und halfen mir, mit meinem Leben zu Rande zu kommen.“

Wenige Wochen nach der Berlinale 1986 war die Verbindung der Jarman/Schlingensief-Familien auf der zugefrorenen Nordsee besiegelt und in „Egomania“ dokumentiert worden. Bei guten Freunden zählen die Jahrzehnte nicht. 2008 machen wir weiter, als wäre es gestern gewesen. Tilda Swinton soll grade einen Oscar bekommen haben. Na und? Schadet doch nichts! Aber richtig toll ist es mit Tilda unter good companions.

Dietrich Kuhlbrodt

Dieser Text ist zuerst erschienen im: Schnitt 2/2008