Eine letzte üble Nachrede auf George W. Bush in zehn Einlassungen zur Tragödie und Groteske der Macht des »schlechtesten Präsidenten aller Zeiten«.

1. Hamlet

Eine Tragödie der Macht besteht darin, dass einem Menschen, der weder seelisch noch geistig dafür geeignet ist, die Macht übertragen wird und er mit wachsender Macht mehr Unheil stiftet. Eine andere besteht darin, dass bereits in der Übertragung der Macht ein unlösbarer Konflikt von Moral und Loyalität eingebaut ist; der falsche Mann auf dem Thron verliert noch nicht einmal das Odium des Falschen, wenn er das Richtige tut, was allerdings selten geschieht. Eine dritte Tragödie der Macht schließlich entsteht durch ein nicht zu bewältigendes Erbe, so dass der Mächtige von Gespenstern und von Schuld gepeinigt wird, der zögert, wo er handeln, und handelt, wo er zögern müsste. Die Groteske besteht darin, dass dieser selbe Mensch noch nicht einmal bemerkt, wie er durch falsches Handeln und falsches Zögern die Grundlagen der eigenen Macht und das Objekt seiner Begierde verliert. Die Groteske besteht darin, dass alle Gegner Phantasmen, alle Berater Verräter sind, alle Schlachten schon verloren sind, bevor sie geführt werden. Die sichtbare Schäbigkeit der Macht, die sichtbare Diskrepanz zwischen der Anmaßung und der Wirkung: In der Groteske implodiert die Macht, sie terrorisiert einen inneren Kreis, während sie in einem äußeren Kreis auf eine eiserne Gleichgültigkeit trifft. Das metaphysische Bild dafür: Niemand ist so ganz und gar von Gott verlassen wie dieser bigotte Herrscher.

2. Bushisms

Nicht der Plot trennt die Tragödie von der Groteske der Macht, sondern das Bild und die Sprache. Das größte Vergnügen des institutionalisierten Bush-bashings in den langen Jahren dieser Herrschaft bereiteten die bushisms, die das limitierte und eigenwillige Artikulationsvermögen des Präsidenten betreffen. Im Gegensatz zu einem Sprachverhedderer wie Edmund Stoiber ist Bush ein veritabler Sprachschöpfer, der das eigene System zur Kenntlichkeit verfremdet. Zu seinen Schöpfungen gehört etwa das schöne misunderestimated (missunterschätzt), was impliziert, dass man jemanden falsch oder richtig unterschätzen kann und damit eine zweite Ebene der Welt- und Selbstwahrnehmung einzieht. Es ist ein System der Inkompetenz, eine Kindergartensprache der internationalen Politik, die durch eine Art Yale-Kakao gezogen wurde, overreaching und undercomplex. Im bushism trifft sich die Selbstoffenbarung eines Menschen, der Zeit seines Lebens am falschen Platz war, mit der unterdrückten Kreativität des trockenen Alkoholikers. Eine semiotische Nacktheit des Kaisers. Doch die Sammlungen von bushisms gingen an der Realität der Herrschaft so vorbei, wie es beinahe alle persönlich-politischen Karikaturen taten; eine der Grunderfahrungen von Alice im Wunderland war es, dass die Beziehung zwischen Wörtern und dem, was sie bedeuten, keine Frage der Logik ist, sondern eine der Macht. Die Groteske der Macht ist stabiler als die Tragödie der Macht. Sie zwingt auch die Untertanen zur Würdelosigkeit.

3. Imperium der Angst

Das amerikanische Imperium wurde schlimmer denn blind gegenüber der Welt, nämlich blind gegenüber sich selbst. Eine in diesem Imperium eingebaute globale Psychose, nämlich selber genau die Monster zu schaffen, die man dann in panischer Abwehr bekämpfen muss, also nichts anderes als die Selbstregulierung des Imperiums durch das Kreisen der Angst, sie konnte in der Bush-Ära nicht mehr funktionieren, weil jegliche Kontrolle der Angst verloren ging. Es war nichts anderes als ein ins globale ausgedehnter McCarthyismus, was zunehmend die Gesellschaft beherrschte, und durch seine Globalisierung konnte dieser neue McCarthyismus auch nicht wieder überwunden werden, denn er kehrt ja nun als endloses Echo aus aller Herren Länder an seinen Ursprungsort zurück. Die Welt ist ein mccarthyistischer Raum geworden durch die Bush-Regierung. Dieser Herrscher konnte die Angst nicht benutzen, denn er war selbst der größte aller Angstneurotiker seiner an Angstneurotikern wahrlich nicht armen Gesellschaft. Auch seine Verwandlung von Hamlet in Ubu konnte seine Herrschaft zwar verlängern, sie konnte ihm aber die Angst nicht nehmen, die zu verstehen ihm wiederum die Intelligenz fehlte. Der Ubu gewordene Hamlet musste die Welt vereinfachen, um sie beherrschen zu können, und er vereinfachte sie im Zeichen seiner Angst vor dem Versagen, vor der Gewalt, vor seiner Entlarvung, vor dem Vater, vor den Dämonen in seinem Inneren.

4. Die Hinterwäldler

So wie sich das Backwood-Amerika und das moderne Amerika innerhalb der Bush-Ära derart radikal auseinanderentwickeln mussten, dass nicht einmal mehr die üblichen Versöhnungsangebote der Popkultur, der Musik, der Nahrungsmittel, des Fernsehprogramms, der Rasenmäher und der Themenparks noch zu einer gemeinsamen Sprache verhalfen, so strebten die Welt-Erzählung und die bushistische Amerika-Erzählung auseinander. Ganz bewusst zog dieser Präsident Linien über die Welt, die die eigene von den anderen Erzählungen trennten (und mit Erzählungen meine ich in der Tat weder »Erklärungen« noch politische Mythen, sondern das Nationen-Märchen, ohne welches das Reich nicht existieren kann). Er verlangte von der Welt, an Amerika zu glauben (und er tat es selber nicht). Der kreatonististische Fundamental-Debilist in den Backwoods ist jedoch fest davon überzeugt, dass aus den vagen und widersprüchlichen Weltverhältnissen klare Bilder erstehen müssen, und das nicht allein in der traditionellen ideologischen Dualisierung (pro-amerikanisch oder anti-amerikanisch, was anderes gibt es für den Backwood und seine politischen Redner nicht, und anti-amerikanisch, also unpatriotisch, das ist die schlimmste Form der Backwood-Angst, kann nicht nur der Fremde sein, sondern auch der Bruder, der Nachbar, das eigene Kind), sondern auch in einer semiotischen Form: Die Erlösung besteht nicht darin, den Feind zu bezwingen (er ist nicht zu bezwingen, er ist ja, wie der Teufel, immerdar), sondern darin, ihn sichtbar zu machen.

5. Ordnung und Popcorn

Paradoxerweise gehört es zu den Lähmungen der Bush-Ära, dass dieser Präsident auch wiederum selber eine Blendung durch Sichtbarkeit darstellte. Verbales Bush-Bashing war mehr als ein Ventil für eine Zeit, in der nun wirklich alles bergab ging, es nährte auch das Missverständnis einer Alternative. Tatsächlich aber hat (übrigens ganz wie im alten und im neuen Europa) das andere Lager, das liberale, demokratische, humanistische, aufgeklärte, seine Aufgabe nicht ernst genug genommen. Die Opposition zerfiel unter anderem deswegen, weil in ihr der Zusammenhang zwischen einer Krieg führenden Weltmacht und einer in Fernsehbigotterie und Backwood-Angst versumpfenden Kleinbürgerwelt nicht mehr herzustellen war. Die Innenseite und die Außenseite der Herrschaft im absteigenden amerikanischen Imperium sind auf ganz unterschiedliche Weise dem politischen Diskurs nicht mehr zugänglich: Ein extremes Zusammenziehen im Inneren und ein ebenso extremes Ausdehnen im Äußeren, was sich früher in Rhythmen, in wellenförmigen Bewegungen, in sozialen Architekturen und mythischen Erzählungen immerhin auffangen ließ, ist in der Zeit der Bush-Administration zur Groteske geworden: Menschen sollen die Weltherrschaft sichern, denen schon das eigene Wohnzimmer an Unübersichtlichkeit zu viel ist. Menschen, die nicht einmal ihren Popcorn-Eimer unter Kontrolle haben, sollen Ordnungen errichten. Menschen, die sich aus Angst nicht einmal mehr vor die eigene Haustüre trauen, sollen die Welt zusammenhalten.

6. Hysterie

Dennoch hat keineswegs Backwood-Amerika über das moderne Amerika gesiegt, ihm aber wohl Motive und Diskurse aufgedrängt, aus denen man generationenlang keinen Ausweg finden wird. Der Grund dafür ist, dass Bush nicht nur die USA, sondern vor allem das Backwood-Amerika gar nicht wirklich vertreten hat. Denn es wäre nur einesteils konsequent, wenn das fundamentalistische, bigotte, rückwärtsgewandte, gewalttätige, nationalistische Backwood-Amerika in Bush einen adäquaten Führer gefunden hätte. Dem aber war nicht so. Das einzige, was Bush und seine Gefolgschaft zusammenhielt, waren die gemeinsame Angst und die gemeinsamen Neurosen (religiöse, mediale und familiäre Vergiftungen); ansonsten aber war es auch dieser Klientel hinlänglich bekannt, dass der Präsident auch nach ihren Wertvorstellungen ein Versager, ein Verräter und ein Betrüger war. Mit Bush konsolidierte sich also nicht das Selbstbewusstsein des Backwood-Amerika, sondern es hysterisierte sich im Gegenteil. Während es seine politische Sprache verlor, drehte es seine kulturellen und religiösen Impulse ins Maßlose.

7. Familiengeschichte

Zum Imperialen der USA gehört eine Herrschaft der »großen Familien«. Die Familie Bush herrscht über ein ökonomisches System, das sich immer wieder durch politische Ämter vernetzt hat, eine Art Gegenbild zu den Kennedys (mehr »Denver« als »Dallas«). Es gehört zur mythischen Geschichte der großen Familien, dass der furchtbarste, kränkeste und tückischste der Erben für eine Zeit der Mächtigste wird und dabei das Erbe der gesamten Familie verspielt. George W. ist der älteste, einer, der drauf und dran ist, zum schwarzen Schaf zu werden. Nichts deutet darauf hin, dass George W. Bush wenigstens ein ehrenhafter Rechter werden könnte. Der Einberufung nach Vietnam entkam er durch seine Verpflichtung bei der Nationalgarde, was ihm den Ruf eines draft dodgers, des klassischen Drückebergers (mit Papis Hilfe), einbrachte. 1978 begann er dann seine eigenen Geschäfte im Ölbusiness. 1984 musste sein Unternehmen nach dem Einbruch der Preise fusionieren, und Bush brachte es wie durch ein Wunder zum Vorsitzenden des neuen Unternehmens, das bald darauf ebenfalls in Schwierigkeiten geriet und aufgekauft wurde, Mr. Bush wurde als einer der Direktoren der Harken Energy Corp. übernommen.

8. Entzug und Chance

Bereits in den siebziger Jahren wurde Bush zum ersten Mal auffällig wegen seines Alkoholproblems; zu den Auflagen nach dem Entzug der Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit am Steuer gehörte der radikale Entzug. So begann die religiöse Karriere von Mr. Bush; er wechselte von den Anglikanern zu den Methodisten (zu denen übrigens auch Hillary Clinton gehört) und wirkte fortan als »wiedergeborener Christ«, was man sich weniger als eine ausgeformte Sekte vorstellen muss oder eine Art besonderen Glauben, sondern als eine besondere Verbindung von Religion und Leben. Was in den Religionen des alten Europa als Bigotterie abgetan wird, nämlich ein formalisiertes, sozial inszeniertes, äußerliches und intolerantes Frömmlertum, das ist hier gerade Inhalt. Es ist daher folgerichtig, dass Religion weniger etwas Metaphysisches anbelangt als ein therapeutisches Selbstmanagement, ein soziales Coaching, das nicht den Himmel, sondern den Erfolg verspricht.

9. Bad bad Cop

Die amerikanische Gesellschaft kann man mit einem sehr kurzen Satz beschreiben: Es gibt sie nicht. Lebensweisen, Anschauungen sind in verschiedenen Bedingungen so unterschiedlich, dass man eher von verschiedenen Welten sprechen muss. Politik ist daher die Organisation von inneren und äußeren Kräften, die diese verschiedenen Welten irgendwie zusammenhalten. Ein »guter« Präsident ist eine mythische Figur, die eine solche Innen/Außen-Erzählung erfüllt, ohne im Rest der Welt allzu viel Schaden anzurichten. (Eine Moderation der Kreise der Angst, wenn man so will.) Ein »schlechter« Präsident lässt diesen Mythos zerfallen. Nun aber waren die politische Biographie und die öffentliche Erscheinung von Bush jr. doch dergestalt, dass ihm die Aura des »schlechten Präsidenten« vom konservativsten Beobachter gar nicht abzusprechen war. Der Verdacht liegt also nahe, dass von verschiedenen Seiten sogar ein »schlechter Präsident« gewünscht wurde (übrigens nicht das erste Mal, dass in der amerikanischen Geschichte in einer Verbindung aus Machtkalkül und Neurose sehenden Auges ein »schlechter Präsident« gewählt wurde, wie im Western nahezu zwanghaft ein »schlechter Sheriff«). Nur wurde dieser »schlechte Präsident«, der einen neuerlichen Umbau der sozialen Ökonomie begleiten sollte (eben ein Neoliberalisierungstrottel), durch verschiedene Umstände »bedeutender«, als er nach dem Willen seiner Macher hätte werden sollen.

10. Der Rest ist Schweigen

So schließt sich der Kreis in der Erzählung vom »schlechtesten Präsidenten aller Zeiten«. Der Fundamentalismus, der Ausgangsmechanismus der Erzählung, zerstört deren Grammatik. Er erzeugt eine Unfähigkeit zur symbolischen Politik inmitten einer Gesellschaft, die überhaupt nur durch symbolische Politik, oder gar durch die Politik der Symbole, zusammengehalten wurde. So ging die Gleichung von Familienroman und Historie als Tragöde nicht auf, und, genauer besehen, nicht einmal als Farce. Bush hat, mit anderen Worten, sogar darin versagt, ein »schlechter Präsident« zu sein.

Autor: Georg Seesslen
Text veröffentlicht in jungle world Nr. 44, 10/ 2008