Matta (1911-2002): La Vertu noire (Black Virtue), 1943, Tate, London, ©Tate, London 2012 / ©VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Matta (1911-2002): La Vertu noire (Black Virtue), 1943, Tate, London, ©Tate, London 2012 / ©VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Roberto Matta wird derzeit in Hamburg und bald in Baden-Baden mit einer großen Einzelschau gewürdigt. Der Chilene stand im Zentrum der Tragödien der Moderne.

Roberto Matta – er wollte nur Matta genannt werden, als wäre er kein Mensch, sondern eine Idee – war ein Künstler auf der Suche nach der großen Einheit, der Einheit von Biografie und Werk, von Politik und Kunst, von Aussage und Form. Und zugleich erlebte er das unentwegte Auseinanderbrechen dieser Elemente. Kurzum, er stand im Zentrum der großen Tragödie der Moderne.

Matta war – so beginnt seine Moderne, und so beginnt seine Arbeit, ihr etwas entgegenzusetzen – in der Welt umhergetrieben. Er wurde am 11.11.1911 in Santiago de Chile geboren, studierte Architektur, kam 1933 nach Paris zu Le Corbusier. Roberto Matta war, wie man so sagt, unstet, lernte auf seinen Reisen nach Spanien Dalí und Federico García Lorca kennen; zurück in Paris war Matta, ohne gefragt worden zu sein, dem Kreis der Surrealisten zugeschrieben. Eine andere Moderne lernte er in London beim Bildhauer Henry Moore kennen, in Skandinavien gab es die Begegnung mit der „lichten Architektur“ und in Russland die mit der Revolution und dem, was aus ihr geworden war. Als er schließlich 1938 den Schritt von der Architektur zur Malerei wagte, war Europa für ihn schon verloren. Er floh vor den Faschisten nach New York, und hier beginnt sein eigentlicher Aufstieg: Matta wird ein wichtiger Vertreter der amerikanischen Moderne, die eine andere Beziehung zur Gesellschaft anstrebt als die europäische. In den fünfziger Jahren Rückkehr nach Europa, insbesondere Italien, es folgen Aufenthalte in Kuba, um dort zu lehren, aber auch, in seiner Diktion, zu lernen. Und er ist eine wichtige Gestalt beim Kulturkongress in Havanna, der einen neuen Weg der Beziehung von revolutionärer Politik und Kunst sucht. Matta ist auf der Seite der Studenten im Mai 1968 in Paris, und er ist ein Bewunderer von Salvador Allende. Nach dessen Sturz 1973 hat er noch einmal seine Heimat verloren. Vielleicht auch nach und nach die Hoffnung darauf, dass Kunst in die Politik eingreifen kann. Er stirbt 2002 in Italien.

Matta (1911-2002): La Commune de Paris et la Révolution française, um 1975, Fondazione Echaurren Salaris, Rom, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Matta (1911-2002): La Commune de Paris et la Révolution française, um 1975, Fondazione Echaurren Salaris, Rom, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Mattas künstlerische und biografische Reisen folgten einem, oder vielleicht dem Projekt der Moderne: sich selbst neu zu erschaffen, durch eine Revolution, durch die Kunst. Das begann mit der Herkunft aus der Schicht der chilenischen Landbarone, die durch die Vertreter des neuen Industrie- und Finanzbürgertums verdrängt wurde. Mattas Kunst war ein Versuch, mit „seiner“ Klasse zu brechen, so sehr wie mit einer Familie, in der die patriarchalen Strukturen jeder individuellen Äußerung, jeder Neugier auf die äußere Welt, mit Gewalt begegneten. Dieser doppelte Bruch freilich führte nie zu einer endgültigen Lösung. Ebenso wenig wie der dritte Bruch, der mit der Formen- und Materiallehre der ästhetischen Tradition. Riskieren wir es, „die moderne Kunst“ als vielfältigste Weise zu interpretieren, auf diesen dreifachen Bruch zu reagieren – den Bruch mit der Klasse (was oft genug den Bruch mit einer Nation, einer Heimat bedeutet), den Bruch mit der alten Familie (mit der Flucht in die „Gruppe“, die Partei, das Manifest) und schließlich den Bruch mit der bildnerischen Tradition – und riskieren wir es, Roberto, und dann eben nicht mehr Roberto, Matta als einen typischen Vertreter zu beschreiben, als poetische Erfüllung des Dramas.

Matta (1911-2002): L´Impencible, 1957, Privatsammlung, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Matta (1911-2002): L´Impencible, 1957, Privatsammlung, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2012

In Mattas Arbeit gibt es eine Reihe Wendungen und Neubestimmungen, die Reisen seines Lebens bedeuteten auch Reisen in der Welt der Formen und Farben. Man kann seine Bilder auch als ein fortwährendes malerisches und skulpturales Tagebuch der Tragödien und vor allem der Grotesken des 20. Jahrhunderts ansehen. Was ihn, von der Vorgehensweise, einzigartig macht, ist indes seine „technique des morphologies psychologiques“, eine automatische Malerei, in der es nicht mehr um Repräsentierung, aber auch nicht um Abstraktion geht, sondern um eine direkte materielle Umsetzung innerlicher Vorgänge. In der entscheidenden Phase dieser Technik füllt Matta die (oft riesigen) Leinwand mit farbgesättigten Schwämmen und gibt so, auf wuchtige Weise, seinen dann wieder detailreichen Pinsel-„Erzählungen“ eine Bühne. Matta spielt die Ereignisse seiner Zeit auf dieser inneren Farbbühne durch, oft reagiert er mit Erschrecken und Entsetzen, wie auf Hinrichtungen der Kommunisten im Spanischen Bürgerkrieg, oft mit skurrilen und grotesken Erfindungen auf Industrie und Kapitalismus.

Matta malte das Entsetzen der Moderne über die Ungeheuerlichkeit der Modernisierung. Das meinte bei ihm vor allem die Reaktion auf Industrie, Ausbeutung und Krieg. Wenn man seine Bilder heute sieht, dann überträgt sich diese direkte und oft drastische Reaktion, als spüre man in ihnen noch den Nachklang jener Zeit, in der „die Logik des Ausgegrenzten“ (Matta) noch wagt, sich kritisch einzumischen. Mattas großartigste Arbeiten sind Farbe und Form gewordener Zorn. Aber zur gleichen Zeit gibt es auch eine andere Reise, eine Reise ins Archaische, in Traumlandschaften (die ihre südamerikanische Provenienz nicht verbergen), in ozeanische Zustände. Dies macht Mattas Bilder so einzigartig, dass in ihnen politisches Bewusstsein, konkrete Wahrheit und ein surrealer, psychischer, kosmischer Flow noch miteinander harmonieren. Eben das, was durch sein Auseinanderbrechen der letzten großen Revolte der Moderne den Garaus machte.

Ausstellungsansicht "Matta. Fiktionen". Photo: Ulrich Perrey

Ausstellungsansicht „Matta. Fiktionen“. Photo: Ulrich Perrey

Ein Gang durch Matta-Bilder der verschiedenen Perioden seiner Arbeit ist wie eine Abfolge von Psychotrips, sarkastischen politischen Kommentaren und der gemalten Suche nach dem Zusammenhalt. In Mattas Bildern freilich gibt es kein Ende, die Rahmung ist ein Hohn, es geht immer weiter, hinterm Horizont oder in die Tiefe. Immer wieder setzt er sich auch mit malerischen Vorbildern, etwa mit den Äpfeln Cézannes auseinander, greift Formen der Straßenkunst, der Murales und Graffiti auf, parodiert und variiert Topologien, Kartografien und Anatomien. Die Titel seiner Bilder, Coigitum (1972), Xpace and the Ego (1945) oder Splitting the Ergo (1946) zum Beispiel, beschreiben „unmögliche“, aber rebellische Weisen des Wahrnehmens und des Denkens. Matta versuchte beständig, das „Außermalerische“ in die Malerei hinein zu holen und umgekehrt die Malerei ins Außermalerische zu verlängern, auch in den öffentlichen, den politischen Raum hinein. Deswegen kann man seine Bilder nicht wirklich „haben“, sie sind immer ein Geschehen, ein Dialog, sie müssen immer weiter, über sich selbst hinaus gedacht werden. Er hat keine politischen Bilder gemacht, Matta hat die Bilder politisch gemacht. Er hat es jedenfalls versucht, und darin steckt unsere schönste Erinnerung an die Kunst des sehr vergangenen Jahrhunderts der Moderne.

Georg Seeßlen (Der Freitag, 20.12.2012)

Bilder: Ausstellung „Matta. Fiktionen“ noch bis So, 06.01.2013 in der Kunstmeile Hamburg

ab Sa. 19. Jan 2013 bis So. 2. Jun 2013 im Museum Frieder Burda in Baden-Baden